Sunday, January 29, 2023
"Alles in allem sieht es ziemlich düster aus"
"Alles in allem sieht es ziemlich düster aus"
Artikel von T - Online • Vor 1 Std.
Rishi Sunak wollte als britischer Regierungschef das Land aus der Dauerkrise führen. Danach sieht es momentan aber nicht aus – auch wegen seiner Kollegen.
In der Schule hieße es: Versetzung stark gefährdet. Das Zwischenzeugnis für Rishi Sunak fällt äußerst kritisch aus. Am kommenden Donnerstag ist der britische Premier einhundert Tage im Amt. Doch statt des erhofften Befreiungsschlags stecken die Konservativen tief im Umfrageloch fest – und müssen mit neuen Negativ-Schlagzeilen kämpfen. Wegen einer Steueraffäre sah sich der Partei- und Regierungschef am Sonntag gezwungen, seinen Generalsekretär Nadhim Zahawi zu entlassen. "Ein ernsthafter Bruch der ministeriellen Regeln", wie Sunak im Entlassungsbrief schrieb.
"Die Rückkehr des Tory-Sumpfes", titelte nun sogar die Zeitschrift "Spectator", die als Hausblatt der Konservativen gilt. Oppositionschef Keir Starmer lästerte über seinen Gegenspieler Sunak: "Fragt er sich langsam, ob dieser Job einfach zu groß für ihn ist?"
Dabei war der 42-Jährige angetreten, um nach skandalumwitterten Jahren unter Boris Johnson und Chaoswochen unter Liz Truss die Regierung endlich wieder in ruhige Wasser zu lenken. "Integrität, Professionalität und Rechenschaftspflicht auf allen Ebenen" kündigte Sunak an, als er am 25. Oktober in die Downing Street einzog – dritter Premier binnen eines Jahres. Der einflussreiche Bauminister Michael Gove versprach, die Regierung sei fest entschlossen, "so langweilig wie möglich zu sein".
Auftakt noch geglückt
Der Auftakt galt durchaus als geglückt. "In seinen ersten drei Monaten als Premier hat sich Sunak stabiler und pragmatischer gezeigt als seine Vorgänger", sagt der Politologe Mark Garnett von der Universität Lancaster der Deutschen Presse-Agentur. Gemeinsam mit Finanzminister Jeremy Hunt beruhigte er die Finanzmärkte, die von Truss' erratischer Wirtschaftspolitik ins Chaos gestürzt waren.
Dass der Schatzkanzler – entgegen des konservativen Dogmas – dazu Steuererhöhungen ankündigte, schien wenig zu kümmern. Mit seinen Versprechen, die Schulden zu senken, Wartezeiten für Rettungswagen und in Notaufnahmen zu reduzieren und illegale Einreise zu stoppen, nahm der Neue wichtige konservative Sorgen ins Visier. "Insgesamt macht Rishi einen anständigen Job, und sein Austausch mit der Fraktion ist ziemlich gut", zitierte der "Telegraph" einen Tory-Abgeordneten.
Früh Kabinett umgebildet
Doch am Thema Integrität droht Sunak zu scheitern. Wieder erschüttern Skandale das Bild in der Öffentlichkeit. Vor Zahawi musste bereits Staatsminister Gavin Williamson seinen Hut nehmen, wegen Mobbingvorwürfen. Auch gegen Vize-Regierungschef Dominic Raab, der als engster Verbündeter Sunaks gilt, läuft deshalb eine Untersuchung. Innenministerin Suella Braverman wurde ins Kabinett berufen, obwohl sie nur eine Woche zuvor wegen des Bruchs von Sicherheitsvorschriften zurückgetreten war. Dass Sunak an Zahawi so lange festhielt und Braverman duldet, zeige, dass ihm seine hohen Standards weniger wichtiger seien, als seine Partei in Schach zu halten, kommentiert "Byline Times"-Korrespondent Adam Bienkov.
Sunak habe sich als schwacher Anführer gezeigt, weil er trotz der Skandale die Kabinettsmitglieder nicht entlassen oder sogar erst eingestellt habe, urteilt der Politologe Tim Bale im dpa-Gespräch. Schärfer kritisierte die "Byline Times" den Premier: "Nach drei Monaten hat er es nicht nur versäumt, sich Vertrauen zu verdienen, sondern er hat dazu beigetragen, den Ruf seiner Partei noch weiter im politischen Sumpf zu versenken als seine Vorgänger."
Labour enteilt
Unter Sunak kommen die Konservativen nicht voran. In Umfragen erreichte Labour zuletzt Werte von fast 50 Prozent, die Tories dümpeln bei 20 – ein solches Ergebnis bei der nächstes Jahr geplanten Parlamentswahl würde die konservative Fraktion wegen des Mehrheitswahlverfahrens marginalisieren.
Dass der Premierminister im Tarifstreit im öffentlichen Dienst hart bleibt, hilft ihm auch nicht. Die Sympathie der Wähler liege aufseiten der Streikenden und Sunak wirke vor allem "gemein", sagt Bale. "Alles in allem sieht es ziemlich düster aus".
Dabei gilt der Premier beileibe nicht als Alleinschuldiger. Die Lage für die Tories war schon unter Johnson miserabel. Sunak habe eine äußerst schwierige Situation geerbt, sagt Politologe Garnett. "Er hat genug getan, das darauf hinweist, dass er unter den richtigen Umständen und mit fähigen Kollegen ein erfolgreicher Premierminister hätte werden können", sagt der Experte. "Aber für das Land sieht es bestenfalls so aus, als wäre er der richtige Mann zur falschen Zeit."