Tuesday, January 24, 2023

Leopard-2-Lieferung: In Polen ist Scholzing ein geflügeltes Wort

ZEIT ONLINE Artikel von Michał Kokot • Gestern um 20:52 Auch wenn die Panzerfrage wohl geklärt ist, wird Olaf Scholz in Polen parteiübergreifend zu viel Zögerlichkeit vorgeworfen. Dafür gibt es inzwischen einen Fachterminus. Polens Premier Mateusz Morawiecki kritisiert die Haltung der Bundesregierung in der Panzerdebatte. Es lag wohl auch am Druck, den vor allem Polen in den vergangenen Tagen auf die Bundesregierung aufgebaut hat. Zuletzt hatte Verteidigungsminister Mariusz Błaszczak an diesem Dienstag den offiziellen Antrag an die Bundesregierung gestellt, eine Lieferung von Leopard-2-Panzern an die Ukraine zu genehmigen. Polen hatte zuvor angekündigt, dass es bereit sei, im Rahmen einer internationalen Koalition 14 Leopard-Panzer an die Ukraine zu geben. "Es ist unsere gemeinsame Sache, denn es geht um die Sicherheit ganz Europas", schrieb Błaszczak auf Twitter. Am selben Tag erklärte auch Polens Premier Mateusz Morawiecki, er hoffe, dass die Antwort aus Deutschland schnell komme. Obwohl "die Deutschen zögern, ausweichen und in einer Art und Weise handeln, die schwer zu verstehen ist". Ihm sei nicht klar, ob sie dies aus Angst täten, sagte er auf einer Pressekonferenz. "Oder glauben sie, dass eine Rückkehr zu den Beziehungen zu Russland noch möglich ist?" Am Dienstagabend hieß es schließlich laut übereinstimmenden Medienberichten, dass der Bundeskanzler sich entschlossen habe, Kampfpanzer an die Ukraine zu liefern, und dass auch die Verbündeten mitzögen. Seit Wochen hatte Polen gedrängt, dass Deutschland Leopard-2-Kampfpanzer an die Ukraine liefert und anderen Staaten die Ausfuhr genehmigt. Da die Panzer aus deutscher Produktion stammen, muss die Bundesregierung dafür ihre Zustimmung erteilen. Bereits vor zwei Wochen sagte Polens Präsident, die Entscheidung, 14 Leopard-2-Panzer an die Ukraine zu liefern, sei in Polen eigentlich schon gefallen. Es müsse nur noch eine Koalition mit weiteren Ländern abgesprochen werden. Russland hat weit mehr Panzer als die Ukraine In der polnischen Regierung herrschte die Hoffnung, man könne in einer Koalition die Lieferungen beschleunigen. Am Freitag auf dem Nato-Gipfel in Ramstein hatte die deutsche Regierung die Lieferungen nicht zusagen wollen. Noch am selben Tag hatte der ukrainische Verteidigungsminister Oleksij Resnikow – wohl in Absprache mit Polen – verkündet, es würden in Polen "bald" ukrainische Soldaten an den Leopard-2-Panzern ausgebildet. Premier Morawiecki hat das am Dienstag nicht dementiert, wollte sich aber über Details "aus Sicherheitsgründen" nicht äußern. Tatsachen wurden also geschaffen, um den Druck auf Deutschland zu erhöhen. Warum Polen darauf besteht, so schnell wie nur möglich die Panzer an die Ukraine zu liefern, erklärt die aktuelle Kriegslage in der Ukraine. Der ukrainischen Armee ist es zwar gelungen, wichtige Stützpunkte im Osten zu halten, wie die Stadt Bachmut etwa, dennoch sollen bald Hunderttausende weitere russische Soldaten an die Front verlegt werden. Deren Angriffe zu stoppen, kann für die Ukraine im weiteren Verlauf des Krieges schwierig werden. Zwar hat Polen bislang 200 Panzer an die Ukraine übergeben, vor allem solche des alten sowjetischen Typs T-72. Doch Russland ist mit der Zahl ihrer Panzer den Ukrainern weit überlegen. Die Ukrainer besitzen rund 700 solcher Maschinen, die Russen haben über 10.000 Stück. Darüber, dass die Panzer an die Ukraine geliefert werden sollen, herrscht in Polen eine seltene überparteiliche Einigkeit. Am lautesten sagen ihre Meinungen Politiker der regierenden Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS). Sie werfen Deutschland nicht nur Zurückhaltung, sondern Zynismus vor. Olaf Scholz ziele auf eine Niederlage der Ukraine ab, um so zu den energiepolitischen Geschäftsbeziehungen mit Putin zurückkehren und ihm die Hand schütteln zu können, behauptete am Dienstag der PiS-Europaabgeordnete Adam Bielan. Bielan ist ein erfahrener Spindoktor, der in der Vergangenheit viele Wahlkämpfe der regierenden PiS geführt hat. Seine Äußerung ist vor allem auf die Innenpolitik gerichtet. Obwohl die Parlamentswahl erst im Herbst stattfindet, sind die Politiker bereits im Wahlkampfmodus. Seit Monaten stellt die polnische Regierungspropaganda Deutschland als den alten neuen Feind dar, der nur darauf warte, Polen wirtschaftlich und politisch zu schwächen. Oppositionspolitiker werden gar als Verräter dargestellt, weil sie angeblich in zu großer Nähe zu deutschen Politikern stünden. Das alles soll die Wähler des national-konservativen Regierungslagers mobilisieren. Heftige Kritik an den Deutschen kommt aber auch aus den Reihen der polnischen Opposition. Selbst der Co-Vorsitzende der Sozialdemokraten, der Partei Neue Linke, Włodzimierz Czarzasty, hat Olaf Scholz unlängst hart kritisiert. "Deutschland verhält sich in dieser Angelegenheit falsch. Ich verstehe diese Politik nicht, ich mag sie nicht. Wir versuchen Scholz zu erklären, dass er falsch handelt", sagte er am Wochenende. Inzwischen wird in Polen auch das vom britischen Historiker Timothy Garton Ash geprägte Scholzing ein zunehmend populärer Begriff. So kommentiert die linksliberale Gazeta Wyborcza das Vorgehen des Bundeskanzlers: "Scholzing, also die Taktik von Olaf Scholz, militärische Hilfe zu versprechen und zu verzögern, kann ihm innenpolitisch nützlich sein. Es darf aber nicht vergessen werden, dass die Ukrainer für jede Verzögerung durch den Westen mit ihrem eigenen Blut bezahlen werden." Im Zentrum der Kritik in Polen steht der Vorwurf, dass die Politik in Deutschland jahrelang Geschäfte mit Russland unterstützt hat und dass dafür jetzt die Ukraine und ganz Europa einen Preis zahlen müssen. Es sind längst nicht nur die Vorwürfe der Politiker, die man regelmäßig im Fernsehen hören kann. Laut der letzten Umfrage des Nachrichtenportals Oko.press geben im Januar bereits 52 Prozent der Polinnen und Polen Deutschland eine Mitschuld am Krieg in der Ukraine. Und 64 Prozent stimmen der These zu, Deutschland habe eine "zu milde" Politik gegenüber Russland betrieben.