Friday, January 27, 2023
Der Mythos vom Auswandern: Gebildete verlassen Deutschland, aber kommen meist zurück
Merkur
Der Mythos vom Auswandern: Gebildete verlassen Deutschland, aber kommen meist zurück
Artikel von Matthias Schneider • Vor 13 Std.
Der Mythos vom Auswandern: Gebildete verlassen Deutschland, aber kommen meist zurück
Die Jungen, Gesunden und vor allem gut Gebildeten wandern aus. Was angesichts des wachsenden Fachkräftemangels zunächst erschreckend klingt, offenbart auf den zweiten Blick ein erfreuliches Muster.
München – Eine groß angelegte Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung lässt aufhorchen: Die meisten Menschen, die aus Deutschland auswandern, haben einen akademischen Berufsabschluss, sie sind jünger, gesünder und zufriedener als jene, die nicht migrieren. Die Studie ist mit mehreren tausend Teilnehmern aussagekräftig. Befragt wurden Auswanderer, Rückkehrer und nie Migrierte.
Bedeuten die Ergebnisse, dass die Stärksten der Gesellschaft sie verlassen? Mitnichten, erklärt Jean Décieux, der als Wissenschaftler an der Studie beteiligt war, unserer Zeitung: „Meist wandern hochgebildete Leute aus Deutschland aus, aber sie kehren fast immer – mit den gesammelten Erfahrungen – nach Deutschland zurück.“ Denn für 58 Prozent der Auswanderer sind berufliche Gründe der ausschlaggebende Faktor. „Daneben gibt es Ausbildungs-, Lifestyle- und familiäre Gründe“, sagt Décieux. „Anzeichen für eine Talentflucht, englisch Brain Drain, gibt es in Deutschland nicht, wir beobachten eher zirkuläre Wanderungsbewegungen bei den Fachkräften.“
Denn häufig gingen die Menschen aus Karrieregründen ins Ausland, kämen aber für die Familie zurück: „Weil man hier vielleicht seine Kinder lieber großziehen möchte oder weil die Eltern älter werden.“
Dementsprechend ziehe es die Deutschen vor allem in hochentwickelte Länder mit florierenden Arbeitsmärkten. „Digitale Nomaden“, die vom Strand aus digital in Deutschland arbeiten, seien zumindest nicht das typische Bild des deutschen Auswanderers.
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Die bayerischen Arbeitgeber begrüßen die Arbeitsmigration
Die bayerischen Arbeitgeber begrüßen die Arbeitsmigration, sagt Bertram Brossardt, Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der bayerischen Wirtschaft (vbw): „In einem Auslandsaufenthalt sammeln die Beschäftigten Erfahrung und erweitern ihren Horizont. Bei Rückkehr profitieren unsere Unternehmen von dieser internationalen Expertise.“ Doch der Standort Deutschland müsse sich – Stichwort Steuern – um Attraktivität bemühen, damit die Migranten zurückkehren.
Die beliebtesten Auswanderungsländer der Deutschen sind die Schweiz, die USA, Österreich, das Vereinigte Königreich, die Türkei, Spanien, Frankreich, Polen, die Niederlande, Australien, China oder Kanada. „50 Prozent der Wanderungen gehen in die EU-27-Staaten und Großbritannien – wir haben aber in 169 Ländern Deutsche erreicht“, sagt Décieux. Insgesamt gingen jedes Jahr bis zu 250 000 Deutsche ins Ausland.
Dabei bedeutet kulturelle Nähe nicht automatisch, dass die Migranten vor Ort besser zurechtkommen: „In Thailand, Chile, Senegal oder Brasilien finden sich die Deutschen trotz größerer kultureller Unterschiede vergleichsweise gut zurecht“, erklärt der Migrationsforscher. Eine besonders große emotionale Bindung wurde beispielsweise bei Deutschen in Kanada, Finnland oder Ungarn festgestellt.
Nur rund drei Viertel der Migranten sind berufstätig
Doch nur rund drei Viertel der Migranten sind berufstätig: „Wir haben einen großen Anteil an Schülerinnen und Schülern sowie Studierenden – 13 Prozent –, denen oft nahegelegt wird, Auslandserfahrung zu sammeln.“
Rentner sind mit 2,2 Prozent allerdings kaum vertreten – trotz oft geringerer Lebenskosten im Ausland. „Allgemein können wir aus der Migrationsforschung sagen, dass mit zunehmendem Alter die Bereitschaft zu wandern sinkt“, erklärt Décieux.
So zahlte die Deutsche Rentenversicherung 2021 keine 250 000 Renten an Deutsche im Ausland. Die meisten (rund 27 000) leben in Österreich, dicht gefolgt von der Schweiz (26 000), den USA (23 000) und Italien (22 000). Das Klischee vom Rentner auf Mallorca stimmt also nur selten.
Deutlich häufiger empfangen ehemalige Gastarbeiter deutsche Renten: Gut 1,5 Millionen ausländische Versicherte empfangen Leistungen der Deutschen Rentenversicherung. Mit großem Abstand führt hier Italien (rund 363 000), gefolgt von Spanien (193 000) und Österreich (96 000). VON MATTHIAS SCHNEIDER