Monday, January 23, 2023

EU-Außenminister: Rätseln über deutsche Haltung zu Panzerlieferungen

Frankfurter Allgemeine Zeitung EU-Außenminister: Rätseln über deutsche Haltung zu Panzerlieferungen Artikel von Thomas Gutschker • Vor 2 Min. Annalena Baerbock und der finnische Außenminister Pekka Haavisto am Montag beim EU-Außenministertreffen in Brüssel Als Annalena Baerbock am Montagmorgen beim Rat der EU-Außenminister ankam, ging es gleich wieder um das Panzer-Thema. „Im Moment ist die Frage noch nicht gestellt worden, aber wenn wir gefragt würden, würden wir nicht im Weg stehen“, hatte die Außenministerin zuvor dem französischen Fernsehsender LCI zu Exportgenehmigungen für den Leopard 2 gesagt. Aber für wen hatte sie da gesprochen: für ihre Partei, die Grünen, für das Auswärtige Amt oder für die gesamte Bundesregierung, von der derlei zuvor nicht zu hören war? Baerbock wich der Frage aus. Man müsse alles tun, „um die Ukraine zu verteidigen, damit die Ukraine gewinnt, sagte sie ganz allgemein – und machte dann auf dem Absatz kehrt, bevor die nächste bohrende Nachfrage sie ereilte. So setzte sich das Rätseln über Deutschland in Brüssel fort. Die drei Außenminister der baltischen Staaten forderten Berlin abermals zur Lieferung von Panzern auf, wie sie es schon am Wochenende in abgestimmten Tweets getan hatten. Es gebe „keine guten Argumente“, warum der Ukraine jetzt nicht Kampfpanzer geliefert werden könnten, sagte Edgars Rinkevics aus Lettland. „Deutschland ist ein Motor Europas“, sekundierte Urmas Reinsalu aus Estland, „daraus erwächst eine besondere Verantwortung.“ Russland werde „uns weiter verbal terrorisieren und versuchen, uns einzuschüchtern“, trotzdem müsse man tun, „was unsere Verpflichtung in einem genozidalen Krieg ist“. Baltische Staaten machen Druck Über das Thema Angst sprach ausführlich der Litauer Gabrielius Landsbergis: „Ich glaube, dass wir die Angst davor besiegen müssen, Russland zu besiegen.“ Es war ein Versuch, das Zögern der Bundesregierung, insbesondere des Kanzlers und seiner SPD, tiefenpsychologisch anzugehen. In der Tat vermeidet Olaf Scholz ja seit Beginn des Krieges die Formulierung, dass Russland besiegt werden müsse. Er spricht lediglich davon, dass die Ukraine nicht verlieren dürfe. Verknüpft wird das bei ihm und anderen mit Hinweisen auf die Gefahren einer Eskalation des Krieges. „Wenn wir akzeptieren, dass Russland verlieren kann und tatsächlich verlieren muss, um künftige Kriege zu vermeiden“, hielt der litauische Außenminister dagegen, „dann können wir all die Waffen liefern, die die Ukraine benötigt.“ Er verband das mit einem Exkurs in die Geschichte seines Landes. Als Litauen 1990 um seine Unabhängigkeit rang, seien die westlichen Freunde so besorgt über ein Zerbrechen der Sowjetunion gewesen, „dass sie uns stoppen wollten“. Ihr Argument damals: Das wäre Gorba­tschows Ende und damit das Ende der Öffnung. Man habe sich davon aber nicht aufhalten lassen, so Landsbergis, und stehe nun als Zeichen des historischen Siegs als EU-Mitglied in Brüssel. Die Sowjetunion sei zwar zerbrochen, doch sei auf Gorbatshow mit Jelzin ein weiterer Reformer gefolgt. 500 Millionen Euro für Waffenlieferungen an die Ukraine Im engeren Sinne stand das Thema Panzer nicht auf der Tagesordnung der Minister. Es ging vielmehr um eine neue Tranche von 500 Millionen Euro, um Waffenlieferungen an Kiew zu subventionieren, um die Vorbereitung weiterer Sanktionen gegen Russland und darum, wie das Land rechtlich für seinen Angriffskrieg zur Rechenschaft gezogen werden kann. Bei diesem Thema hatte sich Baerbock eine Woche zuvor in einer Grundsatzrede in Den Haag festgelegt: auf ein hybrides Tribunal, das nach ukrainischem Strafrecht und internationalen Verfahrensregeln stattfinden solle, und zwar in einem anderen Land, naheliegenderweise in Den Haag selbst. Die Ministerin erweckte dabei den Eindruck, sie habe das mit dem ukrainischen Außenminister abgesprochen. Mit ihren Kolleginnen und Kollegen aus den EU-Staaten jedenfalls hatte sie sich nicht abgestimmt, wie am Montag deutlich wurde. Nicht ein Außenminister unterstützte öffentlich ihren Vorstoß. Stattdessen sprachen sich etliche für einen anderen Weg aus: ein „echtes“ internationales Sondertribunal, von den Vereinten Nationen eingesetzt und allein nach internationalem Recht. So äußerten sich die Vertreter Frankreichs, Belgiens, Litauens und Estlands. „Wir denken mit anderen Staaten über die Möglichkeit nach, eine Ad-hoc-Jurisdiktion zu schaffen“, sagte etwa die französische Außenministerin Catherine Colonna, die die „notwendige Legitimität“ besitze und die russische Führung „bis zur höchsten Ebene“ zur Verantwortung ziehen könne. Das wäre nach Baerbocks Vorschlag nicht möglich. Der russische Präsident, der Ministerpräsident und der Außenminister könnten, solange sie im Amt sind, nicht angeklagt werden, weil sie gegenüber der Ukraine Immunität genießen. Nur über die Vereinten Nationen ließe sich das aushebeln – wenn nicht über den Sicherheitsrat, wo Russland sein Veto einlegen kann, dann über eine breit getragene Resolution der UN-Vollversammlung, die ein Sondertribunal einsetzen würde. Diesen Weg will die Bundesregierung aber nicht gehen, weil sie nicht mit der notwendigen Unterstützung der Staaten rechnet. Es sei der „realistischere“ Ansatz, heißt es erläuternd. Frankreich, das selbst dem Sicherheitsrat angehört, hat hier jedoch eine andere Einschätzung. Diese Debatte wird noch eine Weile weitergehen, bevor sich die EU-Staaten auf eine gemeinsame Linie verständigen. Das betrifft auch das zehnte Sanktionspaket, an dem nun gearbeitet wird. Es soll zum ersten Jahrestag des Kriegsbeginns, dem 24. Februar, fertig sein. Zuletzt hatten die Staaten eine Preisgrenze für russisches Rohöl festgelegt, an die sich ihre Transportunternehmen und Versicherer halten müssen, wenn sie an Drittstaaten liefern. Die gleiche Debatte wird nun über raffinierte Produkte wie Benzin und Heizöl geführt, wobei es unterschiedliche Vorstellungen über die Tiefe des Markteingriffs gibt. Offen war am Montag auch, ob die Minister weitere Waffenhilfe für Kiew genehmigen würden. In den vorbereitenden Gremien hatte Ungarn seinen Vorbehalt eingelegt, ohne ihn inhaltlich zu begründen. Vermutet wurde, dass Budapest so Druck aufbauen wollte, um einige Russen von der Sanktionsliste zu streichen.