Tuesday, January 31, 2023
Roger Köppel: Der Geisterfahrer
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Frankfurter Allgemeine Zeitung
Roger Köppel: Der Geisterfahrer
Artikel von Johannes Ritter • Vor 2 Std.
Roger Köppel sieht immer alles anders und ist stolz darauf. „Je mehr Leute sich einig sind, umso mehr erregt das meinen Widerspruch“, sagt der Verleger und Chefredakteur der Schweizer Zeitschrift „Weltwoche“, der auch als Abgeordneter der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei im Parlament sitzt. Doch der belesene Unruhegeist ergeht sich keineswegs in philosophisch stiller Skepsis. Köppel treibt eine knabenhafte Lust an Frechheit und Provokation, er sprüht vor Ideen, und wohl kaum etwas lässt ihn selbstzufriedener strahlen, als wenn er wieder eine Ungeheuerlichkeit von sich gegeben hat.
Er treibt es damit weit – zum Beispiel wenn er sich immer wieder zum Verteidiger und Sprachrohr des russischen Präsidenten Wladimir Putin macht. In klassischer Täter-Opfer-Umkehr hat er die Leier vom bedrohten Russland angestimmt, dem „hochmütigen Westen“ eine Mitschuld am Ukrainekrieg zugeschrieben und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj unterstellt, eine Diktatur errichten zu wollen.
Am Vorabend des russischen Einmarschs in der Ukraine schrieb Köppel: „Putin entlarvt den hohlen Moralismus seiner Gegner. Und die Dekadenz des Westens. Während sich unsere Politiker damit befassen, ob Minderjährige ohne Einwilligung der Eltern bei der Einwohnerkontrolle für siebzig Franken ihr Geschlecht abändern dürfen, fährt Putin mit seinen Panzerdivisionen auf.“ Vielleicht sei das der Schock, den der Westen brauche, um wieder zur Vernunft zu kommen.
Mitgefühl mit den Geächteten
Bereits zuvor hatte sich Köppel moskaufreundlich positioniert: „Es gibt viele Ukrainer, die lieber zu Russland gehören würden“, sagte er im Dezember 2021 im Interview mit dem deutschen Ableger des Propaganda-Senders Russia Today. Wenige Wochen später erschien in der „Weltwoche“ eine Lobhudelei über den Sender mit der Überschrift: „Russlands Fernsehen gegen die Einfalt“. Einen Tag vor Russlands Einmarsch in die Ukraine erschien ein Bild Putins als Aufmacher auf dem Cover der „Weltwoche“, darunter die Überschrift „Der Missverstandene“. Das bezog sich auf einen Text, den ein langjähriger Russia Today-Mitarbeiter in dieser Ausgabe über „Putins Krieg um Russlands Seele“ geschrieben hatte. Das Mitgefühl mit den Geächteten reicht bei Köppel sehr weit. „Köppel ist ein Geisterfahrer, der alle anderen für Geisterfahrer hält“, urteilte der Zürcher „Tages-Anzeiger“ vor ein paar Jahren.
Dazu passt auch seine Begeisterung über die Fußballweltmeisterschaft in Qatar. Den FIFA-Präsidenten Gianni Infantino beschrieb er als „großen Gewinner dieser hervorragenden WM“ und lobte das Ausrichterland über den grünen Klee. Köppel war beim Endspiel zugegen, wie Twitter-Selfies beweisen. In der „Weltwoche“ feierte er unter der Überschrift „Katar öffnet unsere Herzen“ Infantinos wirre Wutrede vor Turnierbeginn als „Volltreffer“.
Damit nicht genug, applaudierte er im Videobeitrag „Weltwoche Daily“ dem Emir von Qatar dafür, dass dieser dem argentinischen Spielführer Lionel Messi bei der Siegerehrung einen arabischen Umhang überstreifte. Er meinte darin eine „Geste höchster Ehrerbietung“ und gar ein „Signal für die Versöhnung zwischen Islam und Christentum“ zu erkennen. Die Kritik an dieser Geste, die weithin als Machtdemonstration des Emirs gewertet worden ist, erzürnt Köppel, zumal sie ausgerechnet in Deutschland besonders laut gewesen sei. Dass Bundesinnenministerin Nancy Faser, SPD, bei einem anderen Spiel die „One Love“-Spielführerbinde am Arm getragen hatte, entlockt Köppel den Verweis auf die Abgründe der Geschichte: „Gott schütze uns vor deutschen Politikern mit Armbinden.“
Köppels politische Inkorrektheit hatte ihn eine Zeit lang zu einem häufigen Gast in deutschen Talkshows gemacht, wo es gern kontrovers zugehen soll. Damals war er in Deutschland nach dem Tennisstar Roger Federer der wohl bekannteste Schweizer – nur eben kein typischer: So aggressiv wie Köppel verhalten sich die wenigsten Eidgenossen, schon gar nicht fern ihrer Heimat. Köppels Präsenz im deutschen Fernsehen indes nahm mit dem Erstarken der ihm sehr nahestehenden AfD wieder ab; man fand nun im eigenen Land Stimmen genug, über die sich die Zuschauer aufregen konnten.
Ursprünglich mal linksliberal
Köppels einst schon mal erfrischende politische Inkorrektheit ist inzwischen längst zum berechenbaren Rechtspopulismus geworden. Die damit verbundenen Grenzüberschreitungen, sein Ehrgeiz und enormer Fleiß – seine Arbeitstage beginnen oft um vier Uhr morgens – werden häufig mit den Schicksalsschlägen in der Jugend in Verbindung gebracht, die ihn angeblich hart gemacht haben. Als er 13 Jahre alt war, warf sich die im ostpreußischen Königsberg geborene Mutter vor einen Zug, wie der Journalist Daniel Ryser in einer Köppel-Biographie schrieb. Wenige Jahre später starb der unternehmerisch gescheiterte, trunksüchtige Vater. Köppel dementierte diese Ereignisse öffentlich nicht, betonte aber mehrfach, dass er dank der Unterstützung durch Verwandte eine gute Jugend gehabt habe.
Ideologisch war er ursprünglich im linksliberalen Milieu beheimatet. Diese Prägung begleitete ihn während seines Studiums der Philosophie und Geschichte sowie während der anschließenden Arbeit als Feuilletonredakteur des „Tages-Anzeigers“. Dann aber begeisterte er sich für Christoph Blocher, den schwerreichen Doyen der Schweizerischen Volkspartei. Von ihm übernahm er die Glorifizierung der Schweizer Souveränität, die Verachtung für die EU und den Kampf gegen die Einwanderung. Im Jahr 2001 wurde Köppel Chefredakteur der „Weltwoche“ und bürstete das einst linke Wochenblatt auf rechts. Es folgte ein zweijähriges Intermezzo als Chefredakteur der „Welt“ in Berlin, wo er keinen bleibenden Eindruck hinterließ. Zurück daheim, wurde Köppel 2006 Chefredakteur und Eigentümer der „Weltwoche“. Angeblich half ihm Blocher damals bei der Finanzierung des Kaufpreises von geschätzt zehn Millionen Franken. Köppel weist dies im Gespräch mit der F.A.S. zurück und sagt: „Ich habe in meiner ganzen beruflichen Laufbahn von niemandem auch nur einen Rappen geschenkt bekommen.“
Köppels Haltung ist für das Geschäft mal gut und mal weniger gut. Er selbst gibt zu, dass mit seinem extremen Querulantentum Absturzgefahr besteht: „Wir gehen immer auch ein Risiko ein.“ Viele seiner überwiegend älteren männlichen Anhänger dürften indes frohlockt haben, als der verheiratete Vater von drei Kindern 2018 schrieb: „Der Mann ist stärker triebgesteuert als die Frau. Es muss so sein, weil die Frauen schlussendlich die Kinder kriegen.“ Und vielen wird es gefallen haben, als er Donald Trumps ehemaligen Chefideologen Steve Bannon in Zürich groß auf die Bühne brachte. Während der Corona-Pandemie schloss sich Köppel dann den Gegnern gesundheitspolitischer Maßnahmen an – und fand Unterstützung. Während dieser Zeit sei das Interesse an der „Weltwoche“ gestiegen, sagt der Verleger. Er ließ 2022 sogar den umstrittenen – und inzwischen in erster Instanz wegen Nötigung verurteilten – Aktivisten Nicolas Rimoldi für die „Weltwoche“ schreiben.
Doch gerade seine Haltung zu Putin dürfte Köppel nun auf die Füße fallen. Er bringt damit nicht nur seine Kritiker zur Weißglut, er verprellt auch Leute aus dem eigenen Lager. Ein Beispiel ist Henryk Broder. Der Journalist beendete im Juni seine Arbeit für die „Weltwoche“, weil dort „Putinversteher“ zu Wort kämen. Er schätze Köppel sehr, sagte der selber gern provokante Broder der „Neuen Zürcher Zeitung“, aber dieser sei irgendwann an der Kreuzung falsch abgebogen. Was die „Weltwoche“ zur Ukraine publiziere, sei unerträglich. Aus demselben Grund beendete die deutsche Journalistin Claudia Schumacher wenige Wochen nach Kriegsbeginn ihre Zusammenarbeit mit der „Weltwoche“. Auch der Schweizer Kriegsreporter Kurt Pelda löste im Juni seinen erst vier Monate zuvor unterzeichneten Redakteursvertrag auf. Auf Anfrage der F.A.S. begründet er dies mit Sicherheitsbedenken: „Es wäre für mich gefährlich geworden, für ein Blatt in die Ukraine zu reisen, das so offen die russische Position übernimmt.“
„Weltwoche“ verliert an Auflage
Köppel bedauert die Abgänge, zeigt aber kein Verständnis. Die „Weltwoche“ pflege größtmögliche Vielfalt, sie besitze gar keine einheitliche politische Linie. Es kämen regelmäßig Autoren zu Wort, die ihm diametral widersprächen. Das stimmt: Der ehemalige Parteipräsident der Schweizer Sozialdemokraten Peter Bodenmann bestückt beispielsweise jede Woche eine Kolumne im Blatt. Doch Köppels kremlfreundliche Aussagen zum Ukrainekrieg haben in der öffentlichen Wahrnehmung deutlich mehr Gewicht als vereinzelte kritische Stimmen im Blatt. Dass die „Weltwoche“ deshalb nun Leser verliert, dementiert Köppel. „Über die gesamte Zeit des Ukrainekriegs sind unsere Abozahlen gewachsen“, behauptet er, ohne jedoch Zahlen zu nennen.
Gemessen an der Ende März 2022 gemeldeten verkauften Auflage von 36.000 Exemplaren, ist die „Weltwoche“ jedoch nur noch ein Schatten ihrer selbst. Seit 2011 hat das Blatt mehr als die Hälfte der Auflage verloren. Aktuell sieht auch die Anzeigenlage dürftig aus. Im Vorweihnachtsheft war etwas mehr Werbung abgedruckt, allerdings nicht immer auf Anhieb erkennbar: Unter einem Artikel über ein BMW-Motorrad, der sich im Layout nicht von redaktionellen Beiträgen unterschied, war bloß vermerkt, dieser sei „in Zusammenarbeit von BMW Motorrad Schweiz und der Weltwoche“ entstanden.
Schon 2019 war der Verdacht aufgekommen, dass es Köppel mit der gebotenen Trennung zwischen Werbung und Redaktion nicht so genau nimmt. Damals durfte der chinesische Botschafter in der Schweiz jeden Monat ungefiltert seine Meinung in der „Weltwoche“ ausbreiten. Zugleich gab es im Blatt plötzlich auffallend viele Anzeigen chinesischer Unternehmen. In Kenntnis eines internen E-Mail-Austauschs zwischen den Beteiligten folgerte die „Neue Zürcher Zeitung“, dass es zu Gegengeschäften zwischen der Botschaft und dem Verlag gekommen sein dürfte. Diese Behauptung entbehre jeder Grundlage, entgegnet Köppel im Gespräch.
Er beteuert, die „Weltwoche“ sei seit 2007 ununterbrochen profitabel gewesen. Über konkrete Zahlen spricht er nur, wenn es um sein publizistisches Lieblingskind geht, das Videoformat „Weltwoche Daily“ mit seinem Anspruch, „unabhängig, kritisch, gut gelaunt“ zu sein. Per Pressemitteilung gab er Anfang Dezember bekannt, dass er damit monatlich mehr als eine Million Zuschauer erreiche. Dies geschieht allerdings mit schmutziger Schützenhilfe: Jedes „Daily“-Video ist auch im rechtsextremen und islamfeindlichen Blog „Politically Incorrect“ (oder „PI-News“) zu finden, der unter Beobachtung des deutschen Verfassungsschutzes steht. Doch diese Verbindung stört Köppel nach eigenem Bekunden nicht. Er habe das nicht selbst veranlasst und könne nicht verhindern, dass seine Sendungen weiterverbreitet würden. „Ich bin nicht verantwortlich für meine Zuschauer, aber jeder, der sich interessiert, ist herzlich willkommen.“
Sehr wohl verantwortlich ist Köppel freilich für den Inhalt seiner Beiträge. Und für die Auswahl von Autoren wie Stefan Homburg, Thilo Sarrazin, Matthias Matussek – und Tom Kummer. Der Schweizer, der einst Interviews mit Hollywood-Stars erfand (und damit seinerzeit unter anderem auch die „Weltwoche“ betrog), firmiert als „literarischer Korrespondent“. Dazu sagt Köppel bloß: „Für mich ist die Qualität eines Artikels entscheidend und nicht die Vergangenheit des Autors.“
Durch Abwesenheit aufgefallen
In der Politik hat Köppel inzwischen erleben müssen, dass sein hochtouriges Polarisieren nicht unbedingt zum Erfolg führt. Nach seinem Eintritt in die Schweizerische Volkspartei 2015 zog er zwar glanzvoll in die große Kammer des Parlaments (Nationalrat) ein. Aber in seiner umstrittenen Doppelrolle als Chefredakteur und Politiker hat er mit seinen polemischen Einlassungen über die Jahre dazu beigetragen, dass sich die Grenze des Sagbaren in der Schweiz weiter nach rechts verschoben hat. Damit hat er sich bei vielen im Parlament unbeliebt gemacht. Dort gilt Köppel bis heute als Außenseiter, zu dem selbst manche Parteifreunde lieber auf Distanz bleiben.
Ohnehin muss der im komplexen Zwei-Kammer-System der Schweiz besonders langsame parlamentarische Prozess für den hyperaktiven Workaholic eine Quälerei sein. In Bern ist Köppel bisher nicht durch wegweisende politische Vorstöße aufgefallen, sondern durch Abwesenheit: Wie die Schweizer Zeitung „Blick“ jüngst vorrechnete, hat er in den vergangenen drei Jahren jede fünfte Abstimmung verpasst und 13 Prozent der Sitzungstage unentschuldigt gefehlt. Er müsse sich nun einmal auch um die Verlagsgeschäfte kümmern, rechtfertigt sich Köppel.
Zu Beginn seiner politischen Karriere dachten viele, dass er Blochers Erbe antreten und dereinst in die Regierung einziehen könnte. Doch das hat sich erledigt. Als sich im vergangenen Herbst nach dem Rücktritt eines Ministers die Chance bot, einen Platz auf der Regierungsbank zu ergattern, hob Köppel nicht einmal die Hand. Er habe kurzzeitig überlegt zu kandidieren, sagt er heute. Aber seine Erfolgschancen wären nicht groß gewesen. In der Tat: Für einen Hardliner wie ihn hätte es im konsensorientierten Parlament keine Mehrheit gegeben. Schon mit seinem Anlauf zur Wahl in die einflussreiche kleine Kammer des Parlaments (Ständerat) war er 2019 trotz großen persönlichen Einsatzes gescheitert.
Im Oktober sind Parlamentswahlen. Dem Putin-Apologeten Köppel könnte die Abwahl drohen. Er zuckt mit den Achseln: „Natürlich kann ich für das, was ich schreibe oder sage, von den Wählern abgestraft werden. Das ist Demokratie.“ Vermutlich ist sein Listenplatz zu gut, um nicht wiedergewählt zu werden. Aber mehr als die „Position zu halten“ ist für ihn in Bern nicht drin. Dabei sei Stillstand für ihn die Hölle, sagt der Köppel-Biograph Daniel Ryser: „Köppel ist ein sehr unruhiger Geist, für den es immer alle paar Jahre weitergehen muss.“ Doch seine politische Karriere steckt in der Sackgasse.