Friday, October 28, 2022

Moskau bedrängt die Moldau – nun schlagen die USA zurück

Neue Zürcher Zeitung Deutschland Moskau bedrängt die Moldau – nun schlagen die USA zurück Volker Pabst, Istanbul - Gestern um 10:45 Im Zentrum von Chisinau finden seit Wochen Proteste gegen die Regierung statt. Organisiert werden die Kundgebungen von der Partei von Ilan Sor, einer der nun mit Sanktionen belegten Personen. Rodion Proca / Imago Der russische Überfall auf die Ukraine hat das Bewusstsein für die Bedrohungslage der kleinen Moldau geschärft. Die ehemalige Sowjetrepublik verfügt weder über nennenswerte Streitkräfte, noch ist sie Teil eines Verteidigungsbündnisses. Vielmehr sind in Transnistrien, dem abtrünnigen Landesteil im Osten, russische Truppen stationiert. Sollte Wladimir Putin seinen Eroberungszug über die Ukraine hinaus fortsetzen, wäre die Moldau das naheliegendste Ziel. Das Land ist aber nicht nur militärisch schwach, sondern gegenüber jeglicher russischen Einflussnahme ausserordentlich verletzlich. In der Moldau lebt eine grosse russischsprachige Minderheit, einflussreiche politische Kräfte haben Verbindungen nach Moskau. Zudem ist das Land energiepolitisch stark von Russland abhängig und verfügt, als einer der ärmsten Staaten Europas, kaum über Reserven, um auf wirtschaftliche Verwerfungen zu reagieren. Moskau erhöht den Druck Diese zweite, hybride Bedrohung ist zurzeit besonders akut, denn Russland erhöht den Druck. Der Staatskonzern Gazprom hat, nach mehreren drastischen Preiserhöhungen, im Oktober die Gaslieferungen in die Moldau um 30 Prozent gedrosselt. Nun droht Moskau, die Lieferungen ganz einzustellen, falls die Moldau die ausstehenden Schulden nicht bezahle. Das Land bezieht weiterhin fast sein gesamtes Gas aus Russland, die staatliche Gasgesellschaft Moldovagaz gehört zu 51 Prozent Gazprom. Der wahre Schuldner ist zwar eigentlich Transnistrien. Die abtrünnige Region, die sich dem Einfluss der moldauischen Regierung entzieht und stark von Moskau abhängig ist, bezieht seit Jahren Gas, ohne dafür zu bezahlen. Dennoch fordert Russland das Geld nun von Chisinau. Seit dem Sommer organisiert zudem eine Oppositionspartei mit Verbindungen nach Moskau Proteste gegen die angeblich durch die Regierungspolitik verschuldeten hohen Energiekosten. Investigativjournalisten haben aufgedeckt, dass die meisten Demonstranten für ihre Teilnahme bezahlt werden. Dennoch ist der Druck gross. Die Inflation im Land liegt zurzeit bei 34 Prozent. Flüchtige Oligarchen Vor diesem Hintergrund stärken die USA der Regierung in Chisinau nun den Rücken. Das Finanzministerium in Washington hat am Mittwoch auf der Basis der sogenannten Magnitsky Act mit Verweis auf «Russlands böswillige Einflussnahme» gegen neun Personen und zwölf Firmen Sanktionen verhängt. Das Gesetz erlaubt die Ahndung schwerwiegender Korruptionsdelikte und Menschenrechtsverbrechen, auch wenn diese ausserhalb der USA verübt wurden. Die Strafmassnahmen umfassen unter anderem das Einfrieren aller Vermögenswerte und das Verbot einer Einreise in die USA. Ins Visier genommen wurden die beiden Oligarchen Vladimir Plahotniuc und Ilan Sor. Beide flohen 2019 aus dem Land, nachdem die heutige Präsidentin Maia Sandu, eine dezidierte Korruptionsbekämpferin, zur Regierungschefin gewählt worden war. Plahotniuc soll in der Türkei leben, Sor ist in Israel. Dank ihren geschäftlichen und politischen Netzwerken verfügen beide aber weiterhin über grossen Einfluss in der Moldau. Drahtzieher des «Milliardenraubs» Plahotniuc galt lange Zeit als reichster und mächtigster Mann des Landes. Die prowestliche Politik seiner Demokratischen Partei und das Ringen mit den prorussischen Sozialisten um die aussenpolitische Ausrichtung der Moldau waren grösstenteils eine Fassade, hinter der sich alle einflussreichen Kräfte an der Ausplünderung des Landes beteiligten. Der israelisch-moldauische Doppelbürger Sor gilt als Drahtzieher hinter dem sogenannten «Milliardenraub», als 2014 von drei Banken Vermögenswerte von insgesamt einer Milliarde Dollar verschwanden. Die Summe entsprach damals etwa 12 Prozent des moldauischen Bruttoinlandprodukts. Sors Partei steht hinter den erwähnten Dauerprotesten in Chisinau und hinter Versuchen, den EU-Kandidatenstatus der Moldau zu verhindern. Die Sanktionen betreffen auch seine russische Frau Sara, eine von Putin persönlich mit dem staatlichen Orden für verdiente Künstler ausgezeichnete Pop-Musikerin. Angriffe auf Präsidentin Sandu Daneben wurden mehrere russische Staatsbürger mit Sanktionen belegt, die versucht haben, Wahlen in der Moldau zu beeinflussen. Der Unternehmer Igor Tschaika etwa soll in Absprache mit dem Kreml Zahlungen an politische Parteien geleistet haben. Im Gegenzug sollten die Abgeordneten Gesetzesvorlagen unterstützen, um Präsidentin Sandu zu schwächen. Der Geschäftsmann Tschaika ist ein Sohn des früheren russischen Generalstaatsanwalts Juri Tschaika. Ebenfalls auf der Sanktionsliste stehen russische Politikberater mit Verbindungen zum Geheimdienst FSB, die während der Wahlen dem ehemaligen Staatspräsidenten Igor Dodon und dessen Sozialistischer Partei zur Seite standen. Dodon war lange Zeit der wichtigste prorussische Politiker in der Moldau. Angesichts des Bedeutungsverlusts der Sozialistischen Partei unterstützt Moskau nun aber auch andere Kräfte im Land, etwa die Nationale Alternative Bewegung des Bürgermeisters von Chisinau, Ion Ceban. Der ukrainische Geheimdienst stellte kürzlich Unterlagen sicher, die ebenfalls Aufschlüsse über die Operation des FSB in der Moldau geben. Wie die «Washington Post», die Einsicht in die Dokumente hatte, am Freitag berichtete, war Igor Tschaika bereits seit mehreren Jahren der wichtigste Verbindungsmann für die Einflussnahme des Kremls. Die Energiekrise spitzt sich zu Die moldauische Führung begrüsste die Ankündigung aus den USA und gab der Hoffnung Ausdruck, dass nun auch die eigene Justiz gegen Sor und Plahotniuc vorgehen werde. Am anderen Hebel Moskaus, der Energiepolitik, ändert das freilich nichts. Das russische Gas wird nicht nur zum Heizen, sondern auch zur Elektrizitätsgewinnung verwendet. Der wichtigste Stromproduzent ist das Gaskraftwerk Cuciurgan in Transnistrien, das wegen der reduzierten Gasmenge aus Russland nur noch mit halber Kapazität läuft. Aus der Ukraine kann wegen der dortigen Versorgungsprobleme seit einigen Wochen gar kein Strom mehr importiert werden. Entsprechend schwerwiegend wäre es, würde Gazprom der Moldau den Hahn ganz zudrehen. Gegen ein solches Szenario spricht allerdings, dass dies auch die prorussischen Separatisten in Transnistrien von der Energieversorgung abschnitte. Das kann nicht im Interesse Moskaus sein. Dennoch versucht die Regierung in Chisinau unter Hochdruck, neue Bezugsquellen zu erschliessen. Bereits im vergangenen Jahr wurde eine Gaspipeline nach Rumänien gebaut. Bis zur Ausbeutung des grossen, aber erst noch zu erschliessenden Gasfelds im Schwarzen Meer dürfte es noch einige Jahre dauern. Mit Bulgarien wurde diese Woche ein Abkommen über den Transit von Gas via Rumänien geschlossen. Strom wird ebenfalls in Rumänien eingekauft, aber das Angebot ist knapp, und die Preise sind hoch. Das Vorgehen gegen russische Strohmänner wird nicht reichen, damit die Moldau halbwegs unversehrt durch diesen Winter kommt.