Monday, October 31, 2022

Inger Støjberg

Frankfurter Allgemeine Zeitung Matthias Wyssuwa - Vor 4 Std. Als Inger Støjberg vor dem Supermarkt ankommt, steht sie sofort im Zentrum der Aufmerksamkeit. Es ist Samstagnachmittag im kleinen dänischen Slagelse, als ihr Wahlkampfbus auf den Parkplatz rollt. Kaum ist sie ausgestiegen, kommen die Menschen, um ihr die Hand zu schütteln, sie zu umarmen und Fotos zu machen. Støjberg lächelt in die Kameras. Aus der einst bürgerlichen Politikerin ist ein Star der Populisten geworden. Und gleichzeitig dürfte die von ihr gegründete Partei zum Untergang einer der lange Zeit erfolgreichsten rechtspopulistischen Parteien Europas beitragen: der Dänischen Volkspartei. Am Dienstag wählen die Dänen ein neues Parlament, die Umfragen sagen ein knappes Rennen zwischen dem roten Block der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und dem blauen Mitte-rechts-Block voraus. Seit der Wahl 2019 haben mehrere Parteien neue Führungen bekommen, es gab spektakuläre Austritte, neue Parteien sind entstanden und anderen droht der Absturz. So ist Støjberg aus der bürgerlichen Partei Venstre ausgetreten, für die sie als Integrationsministerin mit einem unerbittlichen Kurs bekannt geworden war. International Schlagzeilen machte sie mit den Vorstoß, von Asylbewerbern Wertgegenstände zu konfiszieren, um die Kosten der Unterbringung decken zu können. Nun hat sie mit den Dänemarkdemokraten ihre eigene Partei gegründet und steht in Umfragen bei etwa acht Prozent. Die Dänische Volkspartei, die in den letzten zwei Jahrzehnten die Politik im Königreich mitgeprägt hat, muss um den Einzug in das Folketing bangen. Nach ihrer Gründung 1995 ist sie mit harscher Kritik an der Asyl- und Integrationspolitik rasant gewachsen. Von 2001 an unterstützte sie eine bürgerliche Regierung, und verlangte Verschärfungen bei der Asyl- und Integrationspolitik. Ihre Erfolge veränderten nicht nur Gesetze, sondern auch den Ton, in dem die Parteien über diese Themen redeten. Bei der Wahl 2015 erzielte sie ihren größten Erfolg: Mit 21,1 Prozent wurde sie stärkste Kraft im blauen Block. Sie wollte aber nicht in die Regierung, sondern unterstützte Venstre und die Ministerin Støjberg. Dann kam der Absturz. Schon 2019 reichte es nur noch für 8,7 Prozent, in Umfragen steht die Partei jetzt zwischen zwei und drei Prozent – bei zwei Prozent liegt die Sperrklausel. Dänemark verfolgt nach all den Jahren heute einen harten Kurs in der Asyl- und Integrationspolitik, selbst unter den seit 2019 regierenden Sozialdemokraten: Besonders der Versuch, in Ruanda Zentren für Asylbewerber einzurichten, in denen sie die Bearbeitung ihrer Anträge abwarten sollen, hat für Aufsehen gesorgt. 2021 kamen nur etwa 2000 Asylbewerber nach Dänemark, beim Nachbarn Schweden waren es fünfmal so viele. Der harte Kurs ist inzwischen weitgehend Konsens in Kopenhagen; zum ersten Mal seit langer Zeit stehen im Wahlkampf Asyl und Integration auch nicht im Fokus, sondern die verschiedenen Krisen; Sicherheit, Energiepreise, Gesundheitspolitik. Die Volkspartei ist aber nicht nur so etwas wie ein Opfer ihres Erfolges geworden. Schon die Entscheidung, 2015 nicht in die Regierung zu gehen, war umstritten. Dann versuchte der damalige Vorsitzende, die Partei etwas in Richtung Mitte zu schieben, und kam sogar den Sozialdemokraten näher. Nach dem schwachen Abschneiden 2019 brach der Streit um Führung und Ausrichtung offen aus. Kleine Parteien gab es schon, die auf die gleichen Wähler zielten – und dann kam Støjberg. Støjberg: Wollen keine Volkspartei 2.0 sein Die 49 Jahre alte Politikerin war zwar Ende 2021 zu 60 Tagen Haft verurteilt worden, weil sie als Ministerin 2016 rechtswidrig entschieden hatte, dass minderjährige Asylbewerber nicht mit ihrem Ehepartner untergebracht werden sollten. Ihrer Beliebtheit bei manchem Wähler konnte das aber nichts anhaben. Sie gilt als Frau der klaren Sprache, und gibt vor, für jene zu sprechen, die angeblich von den Eliten in der Hauptstadt nicht gesehen würden. Nachdem sie die Strafe in diesem Frühjahr verbüßt hatte, kündigte sie die Gründung der Dänemarkdemokraten mit ihr selbst als Parteichefin an. Mehrere Abgeordnete der Volkspartei wechselten gleich zu ihr. Dafür brauchte es nicht einmal ein eigenes Programm. Die Dänemarkdemokraten seien eine bürgerliche Partei mit einer strengen Ausländerpolitik, äußerte Støjberg nach der Gründung. In Slagelse sagt sie, man sei nicht einfach eine „Dänische Volkspartei 2.0“. Es gehe nicht nur um Immigration. Aber sie wolle den dänischen Wählern auch sagen, dass es gefährlich wäre, wenn man jetzt bei der Integration vom bisherigen Kurs wieder abwiche.