Friday, October 28, 2022
"Durchregieren wie in einem Fürstentum": NDR-Redakteure erheben in interner Untersuchung schwere Vorwürfe gegen Direktorin Rossbach
"Durchregieren wie in einem Fürstentum": NDR-Redakteure erheben in interner Untersuchung schwere Vorwürfe gegen Direktorin Rossbach
Philip Kaleta - 28. Okt. 2022
Am Donnerstagabend veröffentlichte der Norddeutsche Rundfunk (NDR) einen Untersuchungsbericht zu den Vorgängen im Funkhaus Hamburg. Zwei NDR-Journalisten aus Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern haben im Auftrag der Intendanz das Führungsverhalten der Hamburger Funkhausdirektorin Sabine Rossbach untersucht, die Arbeitsatmosphäre, mögliche Beeinflussung der Berichterstattung und die Frage, ob journalistische Grundsätze verletzt worden sind.
Ausgelöst wurde die interne Untersuchung durch eine Enthüllung von Business Insider. Wir hatten berichtet, dass PR-Kunden von Rossbachs Tochter jahrelang im Programm des NDR-Hamburg Thema gewesen waren. Ein unabhängiges Recherche-Team des NDR legte später nach: Hunderte Beiträge habe es zu den Kunden der PR-Agentur von Rossbachs Tochter gegeben. Die Direktorin habe E-Mails der PR-Agentur an ihre Redakteure geschickt, mit der Aufforderung: „Mit der Bitte um Berichterstattung“. 70 NDR-Mitarbeiter aus Hamburg sprachen Rossbach daraufhin ihr Misstrauen aus. Die Funkhaus-Direktorin gab später bekannt, nicht mehr "dauerhaft" auf ihren Posten zurückzukehren.
Mitarbeiter hatten Angst vor Rossbach
Nun also die interne Aufklärung. Die Angestellten aus Hamburg berichten von einem „autoritären“ Führungsstil, von „Gutsherrinnenart“ und „Durchregieren wie in einem Fürstentum“ sowie „Top-Down-Mentalität“. Es habe „Kolleginnen und Kollegen gegeben, die Angst vor ihr beziehungsweise vor möglichen Konsequenzen hatten“.
„Signifikant viele Mitarbeitende“ hätten „teils drastisch und emotional“ eine belastete und bedrückende Redaktionsatmosphäre mit anhaltenden Nachwirkungen geschildert, schreiben die NDR-Aufklärer im Untersuchungsbericht.
Demnach habe Rossbach Entscheidungen oft einsam getroffen, über den Kopf ihrer Ressort- und Programmleiter hinweg. Entscheidungen auch über die Verlängerung von Rahmenverträgen könnten womöglich im Alleingang „nach Gutdünken“ getroffen worden sein, „weil sie jemanden nicht mochte“ oder „persönliche Lieblinge“ fördere. Das steht im Untersuchungsbericht.
In einer konkreten Redaktionssituation, in der sich die „Themensbesetzung“ als schwierig erwiesen habe, soll Rossbach gesagt haben, man könne sich durchaus alle Rahmenverträge im Landesfunkhaus anschauen, wer hier in Zukunft noch arbeiten könne und wer nicht.
Die NDR-Aufklärer sehen im Untersuchungsbericht „anhand von Einzelschilderungen und für den Gesamtkontext Indizien für zumindest begünstigende Faktoren“ für Mobbing.
„Divide et impera“, „teile und herrsche“, sei ein Führungsprinzip gewesen, sagen NDR-Mitarbeiter laut Untersuchungsbericht.
Ton „herabwürdigend“ und „bloßstellend“
Es war aber nicht nur Rossbachs Führungsstil. Es war auch ihr Kommunikationsverhalten. Der Ton in der Redaktion sei oft „ruppig“, „rau“, „rustikal“, „harsch“, „herb“, „unterirdisch“, „unangemessen“, „unmöglich“ gewesen, berichten Mitarbeiter. Rossbach habe Redakteure in Konferenzen unterbrochen, sei ihnen „über den Mund gefahren“. Viele hätten den Ton in Diskussionen als zurechtweisend, herabwürdigend, verletzend und bloßstellend empfunden, steht im Untersuchungsbericht. Andere Redakteure hingegen hätten mit dem „derben Umgangston“ von Rossbach gut umgehen können. Aber auch die Mitarbeiter, die sich nicht persönlich angegriffen fühlten, bezeichneten Rossbachs Kommunikation als unangemessen, vor allem in ihrer Rolle als Führungsperson, berichten die NDR-Aufklärer.
In Konferenzen sollen gezielt einzelne Mitarbeitende in herabwürdigender Weise von Rossbach kritisiert worden sein. Gleichzeitig soll sie ausgewählte Lieblinge gehabt haben, vor die sie sich gestellt habe. Der Ton von Rossbach soll irgendwann auch von einigen Mitgliedern in der Redaktion aufgegriffen worden sein. Mit bitteren Folgen: „Die Stimmung war hier so vergiftet, dass man nicht mehr vernünftig arbeiten konnte. Das war sehr bedrückend“, wird ein Mitarbeiter im Untersuchungsbericht zitiert.
Rossbachs selbst sagte den NDR-Aufklärern: „Ich war in Diskussionen sachlich. Und würde für mich auch in Anspruch nehmen, dass es immer sachlich war. Ich sagte aber auch öfter: 'Jetzt muss auch mal Schluss sein'.“
Rossbachs Führungsstil und ihre Kommunikation hätten bei vielen Mitarbeitern zu einem „erheblichen Vertrauensverlust“ geführt. Einige Kolleginnen oder Kollegen hätten sich gewünscht, dass „es einfach aufhört“, steht im Untersuchbericht. Selbst dann, wenn Mitarbeiter persönlich keinerlei schlechte Erfahrungen oder sogar stets gute mit der Direktorin gemacht hätten.
Rossbach selbst sagt zu dem Vorwurf, dass viele ihrer Mitarbeiter Angst hätten: „Angst ist ein schlimmes Gefühl. Aber gegen Angst kann man nicht argumentieren, denn das Gefühl anderer kann man nicht kommentieren. Entweder, das Desaster war so groß oder es wird jetzt groß gemacht. Ich erwarte von gehobenen Redakteuren, dass sie sich melden, wenn sie so leiden. Ich verstehe nicht, wie man zwölf Jahre lang in Angst arbeiten kann.“
„Das ist gerade für Journalisten, die kritisch sein wollen, der Todesstoß“
Diese Konflikte seien intern kaum aufgearbeitet worden, mit Auswirkungen auf die Einhaltung journalistischer Kriterien und des „redaktionellen Miteinanders“, steht im Untersuchungsbericht. „Bei Freien ging es um die Existenz, bei Festen ging es an die Nerven. Manche gingen in die Resignation. Haben sich innerlich verabschiedet“, schilderten Mitarbeiter die Situation gegenüber den Aufklärern.
„Für journalistische Diskussionen, Debatten und das Ringen um Themen war diese Konstellation höchst problematisch. Es wird berichtet, selbst neuen Mitarbeitenden sei geraten worden, bloß nicht mit der Direktorin zu diskutieren. Vor Konferenzen habe es Warnungen gegeben, heute bloß keine kritische Frage zu stellen“, führt der Untersuchungsbericht aus. Themenangebote seien ohne Autorennamen eingereicht worden, aus Angst, Rossbach könnte sie sonst ablehnen. Themenvorschläge waren darauf ausgerichtet, „was ihre Gnade finden könnte“, steht im Untersuchungsbericht. Die NDR-Aufklärer sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Anpassungsfilter“.
„Das ist gerade für Journalisten, die kritisch sein wollen, der Todesstoß“, sagte ein Journalist aus dem Funkhaus zu den NDR-Aufklärern.
„Wenn das da steht, ist das eine klare Anweisung“
Der Untersuchungsbericht geht schließlich auch der Frage nach, ob durch die PR-Kunden der Tochter von Rossbach im Programm des NDR-Hamburg eine unzulässige Beeinflussung der Redakteure durch die Direktorin stattgefunden habe.
Die NDR-Aufklärer stellen fest, dass es in der Redaktion keine klare Orientierung gegeben habe, wie mit PR-Aktivitäten dieser Agentur und einem möglichen Interessenkonflikt umzugehen sei. Es fehlte demnach an offener Diskussion und ebenso an Transparenz seitens der Fernsehchefin über ihre besondere Beziehung zur Agentur Hesse und Hallermann PR. Durch diesen Mangel sei vieles im Vagen geblieben, steht im Untersuchungsbericht.
Rossbach habe von vielen PR-Agenturen Angebote bekommen, nicht nur von Hesse und Hallermann. Die Mails soll sie an ihre Redaktionsleiter weitergeleitet haben, auch die von der Agentur ihrer Tochter. Einige der Mails ihrer Tochter leitete sie ohne Vermerk weiter an ihre Angestellten, andere mit Anmerkung wie: „Sollten wir haben, wenn es nicht geht, bitte absagen, wenn ja, bitte Termin bestätigen oder schieben, wäre sicher auch was für Brisant“. Es gab aber auch sehr deutliche Vermerke wie „Mit der Bitte um Berichterstattung“, das geht aus dem Untersuchungsbericht hervor.
Viele Redakteure hätten zumindest diese Form der Bitte für sich eindeutig interpretiert: „Wenn das da steht, ist das eine klare Anweisung“, sagte ein Mitarbeiter zu den NDR-Aufklärern. Ein anderer: „Der Vorschlag einer Direktorin hat Gewicht.“
Ob es zu viele Beiträge zu den PR-Kunden der Rossbach-Tochter gab, können die NDR-Aufklärer nicht beantworten, das sei „im Rückblick schwer einzuschätzen“.
Besonders betroffen soll das Hamburg Journal um 18 Uhr gewesen sein. Mitarbeiter sagten den NDR-Aufklärern, dass es keine offene Debatte über die Inhalte und die möglicherweise werbliche Wirkung der Sendung gegeben habe. Geäußerte Zweifel oder Bedenken wegen möglicher Werblichkeit seien abgetan worden. Kritiker seien auch von der Funkhausdirektorin hart angegangen worden, steht im Untersuchungsbericht.
Beim Hamburg Journal habe es eine grundsätzliche Problematik gegeben: „Der Eindruck, das Team von Hamburg Journal 18 Uhr sei eine 'geschlossene Gesellschaft', wurde bei einigen verstärkt durch die als eng wahrgenommene Beziehung von Redakteur, Redaktionsleitung sowie Moderatorin und Direktorin, die alle aus Schwerin nach Hamburg gewechselt waren.“
Hamburg Journal wurde als "Dauerwerbesendung" verspottet
Manche Redaktionsmitglieder hätten diese Konstellation als schwer durchdringlich wahrgenommen. „An wen hätte man sich mit Bedenken wenden sollen?“, war laut Untersuchungsbericht eine öfter gestellte Frage in den Gesprächen.
Intern soll das Hamburg Journal sogar als „Dauerwerbesendung bespöttelt“ worden sein. Die NDR-Aufklärer stellen in ihrem Bericht zudem fest, dass es keine offizielle oder dokumentierte Information über Rossbachs verwandtschaftliche Verbindung zur Agentur Hesse und Hallermann PR gab. Der „Flurfunk“ habe irgendwann Kenntnis davon genommen. Im Untersuchungsbericht wird dies bemängelt: „Doch das kann keine verlässliche Größe bei einer solchen Frage sein. Sabine Rossbach hätte nicht nur über ihre verwandtschaftliche Verbindung informieren sollen, sondern die Entscheidung über Angebote der Agentur unkommentiert der Redaktion überlassen sollen.“
Rossbach werte dies nachträglich als Versäumnis ihrerseits, steht im Untersuchungsbericht. Sie betone allerdings, dass es trotz fehlender schriftlicher transparenter Kenntlichmachung es „alle“ gewusst hätten. Die Autoren des Untersuchungsberichtes bezweifeln diese Darstellung: „Uns berichtete ein Radio-Reporter, dass er auf dem Blankeneser Neujahrsempfang vor zwei Jahren von einem der Gäste gefragt wurde, ob ihm bekannt sei, dass die Tochter von Sabine Rossbach Mitinhaberin der PR-Agentur sei. Der Reporter sagt, er war peinlich berührt, denn er hörte davon zum ersten Mal.“
Die Autoren des Untersuchungsberichtes resümieren, dass Rossbach deswegen als NDR-Führungskraft der Wahrung der Compliance nicht gerecht geworden sei. Einen unzulässigen Eingriff in das Programm wollen die Autoren darin hingegen nicht sehen. Außerdem sei „nicht zweifelsfrei erkennbar“, dass Hesse und Hallermann-Kunden als Thema für Sendungen „systematisch“ bevorzugt wurden.
Business Insider hat in der Enthüllung zum Funkhaus Hamburg berichtet, dass Rossbachs zweite Tochter eine seltene feste Stelle bei NDR-Kultur bekommen hat. Und dies in die gleiche Zeit gefallen sei, als die Tochter der Kultur-Chefin beim NDR-Hamburg eine mehrteilige Reportagestrecke für NDR-Hamburg produzieren durfte, dem Rossbach vorstand.
Die Autoren haben zu der Einstellung von Rossbachs jüngerer Tochter keine Belege gefunden, dass diese nicht ordnungsgemäß abgelaufen sei.