Thursday, November 11, 2021
Helge Braun: Das letzte Aufbäumen des Merkel-Lagers
ZEIT ONLINE
Helge Braun: Das letzte Aufbäumen des Merkel-Lagers
Ferdinand Otto
Kanzleramtsminister Helge Braun will neuer CDU-Chef werden. Seine Kandidatur hat nur einen Zweck: Norbert Röttgen auszubremsen und Friedrich Merz zu verhindern.
Alle hatten ein Duell erwartet. Nun wird es wohl ein Dreikampf. Während Norbert Röttgen und Friedrich Merz noch taktieren, meldet sich Kanzleramtsminister Helge Braun: Er will neuer CDU-Chef werden. Am Freitag wird er das dem Vorstand seines Landesverbands Hessen offiziell bekanntgeben. Das berichten übereinstimmend mehrere Medien. Zuvor gab es bereits entsprechende Gerüchte, die Braun selbst nicht kommentierte.
Es ist das letzte Aufbäumen des Merkel-Lagers. Nachdem zwei seiner Kandidaten, Annegret Kramp-Karrenbauer und Armin Laschet, binnen zwei Jahren gescheitert waren, ist dieser Flügel politisch, moralisch und personell ziemlich am Ende. Brauns Kandidatur ändert am Gesamtbild nichts. Wolfgang Schäuble schrumpfte vom Kanzlerkandidatenmacher und Grandseigneur zum einfachen Hinterbänkler neben Laschet. Peter Altmaier ist raus. Volker Kauder und AKK auch. Und Volker Bouffier wartet ganz offensichtlich nur noch auf den richtigen Moment, seine Macht abzugeben. Tobias Hans ist noch zu jung. Und Daniel Günther muss nächstes Jahr erst mal eine Landtagswahl gewinnen.
Kramp-Karrenbauer und Laschet hatten zwar wenig Momentum, wussten aber die Funktionseliten der Partei auf ihrer Seite. Sie konnten sich auf eines verlassen: Friedrich Merz polarisiert sehr. Und davor zuckt die CDU in Gestalt ihrer Parteitagsdelegierten verlässlich zurück, was bestimmt nicht zum Nachteil der CDU und des Landes war.
Braun erbt nun eben diese Aufgabe: Merz zu verhindern. Nur ist für ihn die Ausgangslage ungleich schwerer. Er dürfte seine Kandidatur genau sondiert haben. Und geht bestimmt nicht ins Risiko, ohne mächtige Unterstützer hinter sich zu wissen. Aber die haben diesmal begrenzten Einfluss. Erstmals werden die einfachen Mitglieder über den CDU-Parteivorsitz abstimmen. Da ist und bleibt Merz populär.
Braun ist der Anti-Merz
Völlig aussichtslos ist Brauns Kandidatur nicht. Er wird versuchen zwei Dynamiken für sich in Gang zu setzen. Erstens schreit niemand in der CDU so laut und deutlich Angela Merkel wie ihr wichtigster Regierungsmitarbeiter. Wenn es schlecht läuft und die Stimmung kippt, ist Braun damit der Kandidat des Ancien Régime und außen vor. Am anderen Ende der Öffentlichkeit läuft ja aber parallel eine gewisse Merkel-Verklärung. Wenn die Corona-Lage explodiert und die Ampel sich schnell selbst entzaubern sollte, ist nicht ausgeschlossen, dass diese Stimmung Braun wenigstens bis in die Stichwahl trägt.
Und zweitens erzwingt die bisherige Angebotsauswahl – aller Voraussicht nach werden das Merz und Röttgen sein, Jens Spahn bewies genug taktische Klugheit, nicht anzutreten – beinahe einen dritten Kandidaten aus der alten Mitte. Merz wird hier als zu retro angesehen.
Und Röttgen spricht zwar bestimmt tolles Business English, aber nicht die Sprache der Basis. So richtig konnten sich Parteivorstand und Fraktionsspitze offenbar nie für ihn erwärmen. Im Wahlkampf stellte er sich nie hundertprozentig hinter Armin Laschet. Anders übrigens als Friedrich Merz. Röttgen schien immer mehr auf eigene Rechnung unterwegs, auch wenn ihn inhaltlich nicht viel trennt von der Achse Merkel-Laschet-Braun.
Er muss inhaltliche Argumente liefern
Jetzt ist also Bewegung drin. Wenige Minuten, nachdem die Nachrichtenagenturen Brauns Kandidatur melden, schickt Röttgen eine Einladung raus. Am Freitagvormittag will er in Berlin seine Kandidatur erklären.
Die Funktion von Brauns Kandidatur ist also klar: Merz verhindern, Röttgen bremsen. Aber das sind Argumente, die sich allein nach innen richten. Die Frage bleibt: Was will Braun, der einer breiteren Öffentlichkeit eher unbekannt sein dürfte, eigentlich mit dieser Partei?
Der CDU ist die dramaturgische Kompetenz völlig abhanden gekommen. Sie hat verlernt, sich und dem Land Geschichten zu erzählen, wozu sie überhaupt gebraucht wird. Programmatisch ist die CDU derzeit ein Sack Reis ohne den Sack. Genug Klein-Klein, um alle satt zu machen, nur ist eben fast nichts damit anzufangen, wenn das Bindegewebe fehlt. Merz kann man nun bei aller Kritik zumindest das eine nicht absprechen: Eine Vision für die CDU hat er, wenn auch eine etwas altertümliche.
Ist Braun wirklich das, was die CDU auf ihrer Sinnsuche und dem Weg in die Opposition jetzt braucht? Zumindest muss seine Antwort darauf mehr beinhalten als die Feststellung, nicht Friedrich Merz zu sein.