Tuesday, November 30, 2021

Prozess gegen Ghislaine Maxwell: Sündenbock oder Raubtier

Ghislaine Maxwell betrat das Gericht erstmals seit Beginn des Verfahrens ohne Handschellen. SZ.de Prozess gegen Ghislaine Maxwell: Sündenbock oder Raubtier Von Christian Zaschke, New York - Vor 19 Min. Hat sie Jeffrey Epstein geholfen, Mädchen sexuell zu missbrauchen oder wusste sie von nichts? Zum Prozessauftakt gegen Ghislaine Maxwell zeichnen Staatsanwältin und Verteidigerin zwei völlig unterschiedliche Versionen der Angeklagten. Sündenbock oder Raubtier Am ersten Tag des Verfahrens gegen Ghislaine Maxwell in New York waren wegen der Pandemie-Beschränkungen lediglich gut 20 Zuschauerinnen und Zuschauer im Gerichtssaal zugelassen, und diese mussten den Eindruck gewinnen, es würden hier zwei vollkommen verschiedene Personen angeklagt. Bei der einen, so die Schilderung der Anklage, handele es sich um einen "Predator", um ein Raubtier, das dem Millionär Jeffrey Epstein zwischen 1994 und 2004 Minderjährige zuführte, auf dass dieser sie sexuell missbrauche. Bei der anderen, so die Verteidigung, handele es sich um eine unschuldige Person, die stellvertretend für Epsteins Taten beschuldigt werde, als Sündenbock. Es ging in beiden Beschreibungen um ein und dieselbe Person, und es wird schließlich die Aufgabe der Jury sein, zu entscheiden, ob es sich bei Ghislaine Maxwell um eine Täterin oder eine Mitläuferin handelt. Auf rund sechs Wochen ist das Verfahren in einem Gericht in Manhattan angesetzt. Der 59 Jahre alten Maxwell drohen im Falle einer Verurteilung 40 bis 70 Jahre Haft. Maxwell war lange Zeit die engste Vertraute von Epstein, der im August 2019 erhängt in einer Zelle in einem Gefängnis in New York gefunden wurde, nachdem er einen Monat zuvor wegen sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen festgenommen worden war. Nach Epsteins Tod richtete sich der Fokus der Ermittlungen gegen Maxwell. Der Vorwurf: Sie habe Epstein Mädchen zugeführt. Sie habe diese Mädchen dazu überredet, Epstein zu massieren. Und oft habe das damit geendet, dass Epstein sich von diesen Mädchen, die angeblich teils nicht älter als 14 waren, sexuell befriedigen ließ. Vor knapp 17 Monaten ist Maxwell auf einem Anwesen in New Hampshire festgenommen worden. Seither saß sie in New York in Haft. Richterin Alison Nathan hatte alle Anträge auf Kaution abgelehnt. Begründung: Maxwell, die Tochter und Erbin des vor 30 Jahren verstorbenen Medienunternehmers Robert Maxwell, sei reich und bestens vernetzt, es bestehe höchste Fluchtgefahr. Erstmals ohne Handschellen das Gericht betreten Am Montag betrat Maxwell das Gericht, erstmals ohne Handschellen. Bei vorherigen Anhörungen, als es um die Jury-Auswahl oder ihre Anträge auf Kaution ging, hatten ihr die Gerichtsdiener die Fesseln erst im Gerichtssaal abgenommen. Nach einigen Formalien, die sich um die exakte Besetzung der Jury drehten, gaben die Anklage und die Verteidigung ihre ersten Statements ab. Der Anklage zufolge handele es sich bei Maxwell um eine Person, die Epstein nicht bloß unterstützt habe, sondern seine Verbündete in all den Straftaten gewesen sei. "Hinter verschlossenen Türen haben die Angeklagte und Epstein abscheuliche Verbrechen begangen", sagte Staatsanwältin Lara Pomerantz, "sie haben minderjährige Mädchen missbraucht." Pomerantz führte aus, dass Maxwell Mädchen angeworben habe, indem sie ihnen Unterstützung und Förderung durch den wohlhabenden Epstein angeboten habe. Diese Mädchen seien nicht selten zu einer der vielen Residenzen Epsteins geflogen worden, wo dieser sie schließlich missbraucht habe. Die Verteidigung vertritt die Ansicht, Maxwell werde allein deshalb angeklagt, weil Epstein nach seinem Suizid selbst nicht mehr Rede und Antwort stehen könne. Anwältin Bobbi Sternheim, die für ihre bildhafte Sprache bekannt ist, sagte: "Seit Eva beschuldigt wurde, Adam mit dem Apfel verführt zu haben, werden Frauen für die Verbrechen von Männern beschuldigt." Später beschrieb sie Epstein, der bereits 2008 wegen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger verurteilt worden war, für vermutlich alle Anwesenden etwas überraschend als einen "James Bond des 21. Jahrhunderts". Epsteins Privatjet wurde "The Lolita Express" genannt Der erste Zeuge des Verfahrens war ein Pilot. Larry Visoski hat Epstein von 1991 bis 2019 zu dessen zahlreichen Residenzen und durch alle Welt geflogen, in dessen Privatjet. "Alle vier Tage sind wir irgendwo hingeflogen", sagte Visoski vor Gericht. Meistens sei es hin und her zwischen Epsteins Wohnsitzen gegangen. Diese befanden sich unter anderem in New York, New Mexico, Paris, Florida und auf den Virgin Islands. Epsteins Privatjet trug der Anklage zufolge den Spitznamen "The Lolita Express", weil er in diesem Flugzeug Minderjährige zu seinem jeweiligen Aufenthaltsort transportieren ließ. Um sie dort zu missbrauchen. Inwieweit Ghislaine Maxwell das wusste, inwieweit sie dabei aktiv geholfen hat, wird nun verhandelt. Mindestens vier Zeuginnen werden aussagen, von Maxwell zum Missbrauch durch Epstein geführt worden zu sein. Ein Urteil ist im kommenden Jahr zu erwarten.