Monday, November 29, 2021

Global Gateway: Der 300-Milliarden-Euro-Plan: Die EU stemmt sich gegen Chinas Seidenstraße

Chinas „Neue Seidenstraße“ fordert die EU heraus – und jetzt reagiert der Staatenbund, wuchtiger als zuletzt erwartet. Handelsblatt Global Gateway: Der 300-Milliarden-Euro-Plan: Die EU stemmt sich gegen Chinas Seidenstraße Das Investitionsprogramm ist Europas Antwort auf den politischen und ökonomischen Wettbewerb mit China. Europäische Unternehmen dürfen auf lukrative Aufträge hoffen. Mit einem Investitionsprogramm in Höhe von bis zu 300 Milliarden Euro will die EU den Bau von moderner Infrastruktur in Schwellen- und Entwicklungsländern fördern. Das Vorhaben gilt als Schlüsselinitiative der EU im Systemwettbewerb mit China und ist das Ergebnis jahrelanger Beratungen zwischen Kommission und Mitgliedstaaten. Am Mittwoch soll die Strategie mit dem Namen Global Gateway offiziell vorgestellt werden. Die aktuelle Fassung liegt dem Handelsblatt vor. Die Summe ist deutlich höher als bis zuletzt geplant und ein Zeichen dafür, wie wichtig das Vorhaben EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen ist. Europäische Unternehmen dürfen auf lukrative Aufträge hoffen. „Global Gateway hat das Potenzial, die EU zu einem wirkungsvollen geopolitischen Akteur zu machen“, sagte der deutsche EU-Botschafter Michael Clauss dem Handelsblatt. Das Angebot werde „für viele Partnerländer eine attraktive Alternative zur chinesischen Seidenstraße sein“. Es ist das erklärte Ziel der EU, ihren weltweiten Einfluss zu stärken. Global Gateway wurde speziell mit Blick auf die Rivalität mit autoritären Systemen konzipiert. Das verdeutlicht die Kommission bereits im ersten Satz ihres Strategiedokuments: „Starke Demokratien und die Werte, die sie untermauern, müssen eine Antwort auf die heutigen globalen Herausforderungen geben.“ Eine dieser Herausforderungen ist veraltete Infrastruktur: In vielen Ländern fehlen moderne Zugstrecken und Straßen, Stromtrassen und Glasfaserkabel, ihnen will sich Europa als Partner anbieten. 300 Milliarden Euro für sechs Jahre Um die Entwicklungsziele der Vereinten Nationen zu erreichen und eine klimaneutrale Weltwirtschaft zu schaffen, fehlen nach Schätzungen der EU 1,3 Billionen Euro pro Jahr. Mit dem Programm „Global Gateway“ will Europa nun seinen Beitrag dazu leisten, diese Investitionslücke zu verringern. Die anvisierten 300 Milliarden Euro sollen im Zeitraum zwischen 2021 und 2027 fließen. Dafür werden verschiedene Programme aus dem EU-Haushalt angezapft. „Es geht nicht nur darum, für europäische Werte einzutreten, sondern auch darum, Europa wirtschaftlich zu stärken“, erläuterte ein hochrangiger Kommissionsbeamter. Soll heißen: Auch europäische Unternehmen sollen profitieren, wenn konkrete Projekte mit Partnerländern vereinbart werden. Die EU plant, 135 Milliarden Euro über den Europäischen Fonds für nachhaltige Investitionen (EFSD+) zu mobilisieren, 25 Milliarden Euro über die Europäische Investitionsbank. Zudem sollen 18 Milliarden Euro in Form von Zuschüssen aus dem Entwicklungsbudget der EU fließen. „Europäische Finanz- und Entwicklungsinstitutionen“ sollen weitere 145 Milliarden Euro aufbringen, dazu zählen etwa die deutsche Kreditanstalt für Wiederaufbau, die französische Entwicklungsagentur AFD und die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung. Durch die Beteiligung privater Geldgeber oder weiterer öffentlicher Institutionen soll die Summe, die am Ende tatsächlich für Projekte zur Verfügung steht, noch höher ausfallen. „Die Kommission hat eine beeindruckende Zahl vorgelegt, und das verdient Anerkennung“, sagte Noah Barkin von der Beratungsfirma Rhodium Group. „Der wahre Test für Global Gateway wird jedoch sein, ob die EU die versprochenen Mittel mobilisieren und sie in Abstimmung mit den Verbündeten in hochkarätige und strategisch relevante Projekte leiten kann.“ Darauf hofft auch die deutsche Wirtschaft: „Für alle europäischen Firmen, die in der Infrastrukturbranche tätig sind, ist Global Gateway eine gute Nachricht“, sagte Frank Kehlenbach, der beim Hauptverband der Deutschen Bauindustrie den Bereich Europa und Auslandsbau leitet. „Viel zu lange hat sich die EU gescheut, ein Problem für den Infrastrukturausbau außerhalb Europas aufzulegen.“ Das jetzige Paket ist der zweite Anlauf Ursprünglich hatte die EU die Strategie schon im November vorlegen wollen. Doch der damalige Entwurf blieb weit hinter den Erwartungen zurück, die von der Leyen zuvor geweckt hatte. Die Finanzierungszusagen beliefen sich auf gerade einmal 40 Milliarden Euro, der Text führte weder konkrete Projekte auf, noch formulierte er klare Prioritäten. Auch den Systemkonflikt mit China deutete er nur an. Nachdem das Handelsblatt darüber berichtet hatte, intervenierte von der Leyens Kabinettschef Björn Seibert. Er sagte die geplante Veröffentlichung ab und verlangte umfangreiche Änderungen. In der vergangenen Woche lud Seibert Diplomaten und Experten zum Abendessen in die Führungsetage der Kommission, um über Global Gateway zu diskutieren, darunter den deutschen EU-Botschafter Michael Clauss und Mikko Huotari, Leiter der auf China spezialisierten Berliner Denkfabrik Merics. Clauss, der von 2013 bis 2018 Deutschland in Peking vertrat, ist in Brüssel eine der treibenden Kräfte hinter den Bestrebungen, Chinas wachsendem geopolitischen Einfluss entgegenzutreten. Zunächst jedoch stieß dieses Ziel innerhalb der EU-Institutionen auf erhebliche Skepsis. Wegen bürokratischer Abwehrschlachten verzögerte sich die europäische Infrastrukturinitiative um mehrere Jahre. Die Umsetzung der Pläne verlaufe „insgesamt stockend“, beklagte das Auswärtige Amt noch im Frühjahr in einem internen Vermerk. Mit Global Gateway hat die EU nun die Chance, aus der Defensive zu gelangen. Die neue Strategie könnte auf eine grundlegende Neuausrichtung der europäischen Entwicklungspolitik hinauslaufen. Bisher hat sich die EU eher auf klassische Entwicklungszusammenarbeit konzentriert und die strategische Bedeutung von Infrastrukturvorhaben vernachlässigt. Europa ist zwar der weltweit größte Geber von Entwicklungshilfe, zieht daraus aber nur geringen politischen Nutzen. Wie es anders geht, haben die Chinesen vorgemacht. Unter der Führung von Staatschef Xi Jinping finanziert China den Bau von Häfen, Autobahnen und Datenzentren und schiebt chinesischen Unternehmen die Aufträge dafür zu. Um ökologische und soziale Folgen der Projekte schert sich Peking wenig. Es häufen sich Berichte über Korruption, es kommt zu Ausbeutung und Zwangsarbeit. Bis zuletzt hat China auch den Bau von Kohlekraftwerken gefördert und damit die Bemühungen im Kampf gegen den Klimawandel konterkariert. Im September kündigte Xi an, künftig keine Kohlemeiler mehr finanzieren zu wollen. Ein Schritt, der international begrüßt wurde, allerdings muss sich noch beweisen, ob sich China an das Versprechen hält. Europäische Firmen fürchten, Zugang zu Märkten zu verlieren Peking nutze die Seidenstraßen-Initiative, auch „Belt and Road“ genannt, „um politischen Einfluss global auszudehnen, globale Standards und Normen nach eigener Vorstellung zu prägen und Industriepolitik, insbesondere durch Förderung von Staatsunternehmen, voranzutreiben“, warnte das Auswärtige Amt in seinem Vermerk. In der deutschen Wirtschaft gibt es ganz ähnliche Sorgen. Europäische Unternehmen können sich an den Ausschreibungen für Belt-and-Road-Projekte zwar beteiligen, gehen aber in der Regel leer aus. Der Bund der Deutschen Industrie (BDI) weist seit Jahren auf diesen Wettbewerbsnachteil hin. Zudem fürchten europäische Firmen, Zugang zu den Märkten von Ländern zu verlieren, die in den chinesischen Orbit geraten und die technischen Normen der Volksrepublik übernehmen. International ist die Seidenstraße vor allem deshalb umstritten, weil sie als Instrument gesehen wird, andere Länder in Abhängigkeiten von Peking zu treiben. Von einer Schuldendiplomatie sprechen Kritiker. Erst vor ein paar Monaten bat Montenegro um die Hilfe der EU: Der Balkanstaat hatte sich mit einem chinesischen Autobahn-Kredit übernommen. Um sich klar von Chinas rigoroser Interessenpolitik abzugrenzen, heißt es in der Global-Gateway-Strategie: „Die EU wird ihre Finanzierungen zu fairen und günstigen Bedingungen ‧anbieten, um das Risiko von Zahlungsschwierigkeiten zu begrenzen.“ Die Initiative ziele darauf ab, „Verbindungen zu knüpfen und keine Abhängigkeiten zu schaffen“. Ein zentrales Kriterium bei der Mittelvergabe soll die Klimafreundlichkeit der Investitionen sein. Aus den Mitgliedstaaten kommt Unterstützung: „Wichtig ist, Global Gateway jetzt im geplanten Umfang finanziell zu unterlegen und rasch erste Umsetzungsschritte folgen zu lassen“, sagte ein EU-Diplomat. „Wenn das gelingt, kann die Initiative mit ihrem partnerschaftlichen Ansatz den geopolitischen Anspruch der EU untermauern und chinesischen Einfluss zurückdrängen.“ Auch in der Ampelkoalition trifft die EU-Initiative auf Zustimmung. „Der Vorschlag der Kommission ist ein großer Schritt nach vorn“, sagte Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD. „Jetzt kommt es entscheidend darauf an, ihn schnell mit konkreten Vorhaben zu unterlegen. Schon im nächsten Jahr muss Global Gateway auf dem Balkan und in Afrika mit den Plänen zum Bau von Eisenbahn- und Stromnetzen sichtbar werden.“ Die EU müsse sich deshalb auf physische Projekte konzentrieren. Genau das sieht die Strategie auch vor. Japan, USA und Großbritannien sind schon weiter Zugleich forderte Schmid das Bundeswirtschaftsministerium auf, sich gezielt um die Einbindung deutscher Unternehmen zu kümmern. Das demnächst von Grünen-Chef Robert Habeck geführte Haus müsse die von seinem Vorvorgänger Sigmar Gabriel geschaffene Koordinationsstelle zur Unterstützung von strategischen Infrastrukturprojekten dafür nutzen, „deutschen Unternehmen, insbesondere aus dem Mittelstand, die Teilnahme an Global Gateway zu ermöglichen“. Neben der EU haben auch Japan, die USA und Großbritannien die Bedeutung einer strategischen Infrastrukturpolitik erkannt. Bei der Umsetzung sind sie den Europäern teils schon deutlich voraus. So will die US-Regierung schon im Januar bis zu zehn Leuchtturmprojekte benennen. Präsident Joe Biden hatte die G7-Staaten im Sommer auf seinen Plan „Build Back Better World“ eingeschworen – einen gemeinsamen westlichen Gegenentwurf zur Seidenstraße. Hieran will die EU nun anknüpfen: Global Gateway solle mit der „im Rahmen der G7 begonnenen Arbeit verzahnt werden und sich mit Initiativen wie Build Back Better World gegenseitig verstärken“, schreibt die Kommission in ihrer Strategie.