Tuesday, January 2, 2024
Neuköllns Bürgermeister Hikel zum Jahreswechsel: „Vielleicht müssen wir Silvester wie den 1. Mai behandeln“
Tagesspiegel
Neuköllns Bürgermeister Hikel zum Jahreswechsel: „Vielleicht müssen wir Silvester wie den 1. Mai behandeln“
Artikel von Madlen Haarbach •
2 Std.
Dass größere Eskalationen ausblieben, schreibt Hikel der Polizeistrategie zu. Im Interview spricht er über soziale Projekte, Alternativen zum Privatfeuerwerk und ein Böllerverbot.
Neuköllns Bezirksbürgermeister Martin Hikel (SPD).
Herr Hikel, im vergangenen Jahr brachten die Eskalationen rund um die Silvesternacht Neukölln bundesweit in die Schlagzeilen. Wie lief Silvester aus Ihrer Sicht in diesem Jahr ab?
Das lässt sich pauschal gar nicht sagen. Ich bin froh, dass es zu den großen Exzessen, die es im letzten Jahr gab, nicht gekommen ist. Das ist die gute Nachricht – die aber mit einem Wermutstropfen verbunden ist, weil dafür ein relativ großes Polizeiaufkommen nötig war.
Das betrifft nicht nur Neukölln, sondern die ganze Stadt: Es hat trotzdem Auseinandersetzungen gegeben, etwa am Alexanderplatz. In der Gropiusstadt wurden Polizisten angegriffen. Ich bin aber froh, dass es keine größeren Verletzungen gab und die ganz großen Exzesse ausgeblieben sind. Es war zwar alles andere als ruhig und friedlich, aber auch nicht so wie im letzten Jahr. Zu sagen, dass ich mit dem Verlauf der Nacht zufrieden bin, wäre übertrieben. Aber man kann, unter den Voraussetzungen, sagen: Es war ganz okay so.
Dass große Eskalationen weitgehend ausgeblieben sind, schreiben Sie also vor allem der Polizeistrategie zu?
Absolut. Ich glaube, dass vor allem die massive Präsenz der Polizei dafür gesorgt hat, dass die Einsatzkräfte an den Stellen, wo es vielleicht zu Exzessen gekommen wäre, früh mit vielen Kolleginnen und Kollegen einschreiten konnten. Da mache ich mir keine Illusionen, dass es mit weniger Polizeipräsenz genauso friedlich geblieben wäre. Das wäre ein frommer Wunsch, am Ende können wir das nicht herausfinden. Aber ich glaube schon, dass die große Präsenz dazu geführt hat, dass Schlimmeres verhindert werden konnte.
Ich mache mir keine Illusionen, dass es mit weniger Polizeipräsenz genauso friedlich geblieben wäre.
Martin Hikel, Bezirksbürgermeister von Neukölln
Im vergangenen Jahr wurden nach mehreren sogenannten Gipfeln gegen die Jugendgewalt verschiedene neue präventive Projekte gestartet. Welche Rolle haben diese aus Ihrer Sicht mit Blick auf die Silvesternacht gespielt?
Die Erfolge von diesen Projekten können sich nicht innerhalb von einem Jahr zeigen. Das haben wir auch immer gesagt. Sie können sicherlich ein Anstoß sein. Erfolge wird man erst in den nächsten Jahren sehen, wenn auch weiterhin der Wille besteht, soziale Projekte und die Sozialarbeit vor Ort zu stärken.
Man muss sich auch Gedanken machen, wie man etwa beim Übergang von der Schule in den Beruf Perspektiven stärken kann für junge Menschen, damit die gar nicht erst auf dumme Gedanken kommen. Es wäre naiv zu glauben, dass die gerade erst begonnenen Projekte jetzt schon dazu geführt haben, dass es friedlich bleibt.
Welche Rolle hat aus Ihrer Sicht gespielt, dass es in Nord-Neukölln entlang der Sonnenallee erstmals eine Böllerverbotszone gab?
Es hat sich gezeigt, dass das funktionieren kann, wie an anderen Stellen auch. Das ist natürlich mit einem großen Aufwand und viel Personal verbunden. Aber in diesem Jahr waren ja generell sehr viele Einsatzkräfte unterwegs. Vielleicht ist eine Schlussfolgerung daraus, dass wir Silvester ein Stück weit wie den 1. Mai behandeln müssen. Das heißt, dass man sich auf solche Ausnahmezustände grundsätzlich vorbereitet und die Aktivitäten danach ausrichtet, sowas zu verhindern. Ob das dann mit repressiven Maßnahmen ist oder vielleicht auch durch nette, vernünftige Veranstaltungen – wie es am 1. Mai ja auch geklappt hat – muss man sich überlegen.
Nun ist am 1. Mai das Böllern ja generell untersagt ...
Ja, aber das ist auf jeden Fall ein Tag, an dem sich einige dazu ermutigt sehen, ständig die Konfrontation mit dem Staat – in Form der Polizei – zu suchen. Das ist an Silvester in den vergangenen Jahren bei manchen ja auch so gewesen: Dass sie sich gezielt Uniformträger ausgesucht haben, um diese anzugreifen.
Was halten Sie von einem allgemeinen Böllerverbot?
Das ist nicht unbedingt die Haltung meiner Partei, aber ich ganz persönlich bin durchaus sehr aufgeschlossen, was ein Verkaufsverbot betrifft. Das müsste natürlich bundesweit gelten. Ich finde, man muss den Menschen aber auch Alternativen bieten.
Ich bin kein Fan davon, Dinge von heute auf morgen zu verbieten. Aber man kann ja schon mal damit anfangen, dass es mehr dezentrale, schöne Feuerwerke gibt, bei denen Familien sich versammeln und man gemeinsam das Jahresende feiern kann. Dann würde vielleicht auch der Abschied vom privaten Böllern leichter fallen.