Tuesday, January 30, 2024

Reaktion auf CDU-Vorschlag - Gutschein statt Geld: Top-Ökonom Raffelhüschen fordert radikale Bürgergeld-Wende

Reaktion auf CDU-Vorschlag - Gutschein statt Geld: Top-Ökonom Raffelhüschen fordert radikale Bürgergeld-Wende Geschichte von FOCUS Online • 2 Std. "Finanzwissenschaftler Prof. Dr. Bernd Raffelhüschen: "Wir müssen zurück zum sogenannten subsidiären Sozialstaat. Seit Januar gibt es deutlich mehr Bürgergeld. Das irritiert viele Bürger. CDU-Spitzenpolitiker Linnemann hat angekündigt, seine Partei wolle die Regeln beim Bürgergeld verschärfen. Star-Ökonom Bernd Raffelhüschen hält das für die richtige Idee. Hat aber Zweifel. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann erklärte jüngst: „Wenn wir an der Regierung sind, werden wir als erstes großes Reformpaket das Bürgergeld in der jetzigen Form abschaffen.“ Linnemann führt an zwei Punkten aus, was nach CDU-Auffassung künftig geändert werden müsse: Sanktionen für Jobverweigerer deutlich verschärfen Wiedereinführung der Vermögensprüfung vor Beginn der Bürgergeldzahlung. Derzeit wird im ersten Jahr des Bürgergeldbezuges das Vermögen praktisch nicht überprüft. Das Bürgergeld soll sich nach Auffassung von Linnemann künftig „wieder auf die wirklich Bedürftigen konzentrieren“. Der Top-Ökonom und Renten-Experte Bernd Raffelhüschen von der Uni Freiburg unterstützt den Vorstoß von Linnemann. Im Interview mit FOCUS online bezog Raffelhüschen klar Position. Experte Bernd Raffelhüschen fordert Reformen FOCUS online: Herr Raffelhüschen, was halten Sie von den CDU-Vorschlägen? Bernd Raffelhüschen: Es ist vernünftig, die Bürgergeld-Reformen wieder zurückzuführen auf das Prinzip des Förderns und Forderns. Das hatte ja die Hartz-Reform gemacht. Verwandtes Video: Regierungsstudie rechnet mit Bürgergeld ab (glomex) Mit den Hartz-Reformen hatte die Regierung Schröder ab 2003 den Arbeitsmarkt reformiert. Raffelhüschen: Das ist mit der Bürgergeld-Reform deutlich in den Hintergrund getreten. Es ist eine Art ‚Recht auf Einkommen‘ geworden, zumindest von der Richtung her. Deshalb ist völlig richtig, was Carsten Linnemann ankündigt. Erläutern Sie Ihre Einschätzung bitte. Raffelhüschen: Wir müssen zurück zum sogenannten subsidiären Sozialstaat. Das bedeutet: Der Sozialstaat ist dafür da, dem zu helfen, der sich selbst nicht helfen kann. Unser Sozialstaat geht von der Grundannahme aus, dass jeder Mensch etwas kann. Und dass Sozialhilfe nur das beitragen soll, was er selbst nicht kann. Das heißt: Die Aufstockung der Sozialhilfe ist eigentlich, was wir in unserem Sozialstaat als Normalfall haben sollten. Nach dem Prinzip: Jeder Mensch kann etwas, und das was er kann, soll er tun. Und wenn es nicht reicht, stocken wir ihn auf. So ist der Grundgedanke unserer Grundsicherung. Der ist komplett verloren gegangen. ‚Aufstocker‘ ist ein Schimpfwort geworden – tatsächlich ist es das, was wir wollen. Sie stimmen Linnemann voll zu? Raffelhüschen: Es gibt einen Aspekt, da geht auch der CDU-Vorschlag nicht weit genug. Wir brauchen eine aktivierende Sozialhilfe. Das bedeutet? Raffelhüschen: Wir brauchen primär keine Sanktionen für Totalverweigerer. Wichtiger ist, dass wir den Bürgern sagen: ‚Wenn du aus der Grundsicherung rausgehst und etwas tust – was ja jeder kann –, dann helfen wir dir. Dann geben wir etwas dafür, dass du selbst was tust." Wir haben in Deutschland immer noch eine Sozialhilfe, die für den Fall, dass jemand etwas tut, die Hilfe zur Selbsthilfe bestraft. Weil dann die staatlichen Hilfen sinken. Raffelhüschen: Das müssen wir grundsätzlich ändern. Ich habe das vor Jahrzehnten mal als ‚Freiburger Blaupause‘ veröffentlicht: Die aktivierende Sozialhilfe führt dazu, dass jemand einen Minijob annimmt und sich selbst hilft. Weil der Minijob nicht auskömmlich ist, müssen wir ihm immer noch Geld geben. Aber dafür, dass er den Minijob macht. Unterstützen Sie Sanktionen bei Regelverletzern? Raffelhüschen: Wenn sich jemand an diese Regeln nicht hält, müssen wir den Mut haben, zu sagen: Sozialhilfe für die, die nichts tun, muss eine Sachleistung sein. Also keine Geld-Überweisungen aufs Konto? Raffelhüschen : Ja. Auch für den Fall der Zuwanderung sollte gelten: Jeder bekommt die Sachleistung, die er braucht. Also seinen Lebensunterhalt und ein Dach über dem Kopf. Und damit hat es sich. Geldleistungen bekommt nur der, der anfängt, sich selbst zu helfen. Den stocken wir mit Geldzahlungen auf. Ansonsten geben wir ihm, was er zum Überleben braucht. Würden Sie die aktuellen Bürgergeld-Beträge ändern oder nur sagen: Ihr müsst aktiv sein, damit wir euch fördern? Raffelhüschen: Ganz genau. Wie der Grundgedanke der Hartz-Reformen es wollte. Die Übertragung der Aktivierungsreform aus Dänemark nach Deutschland. Mit der Schröderschen Agenda 2010. Wie ließen sich die aktuellen Bestimmungen ändern? Und wird das passieren? Raffelhüschen: Indem wir demjenigen, der nichts tut und sich verweigert, sagen: Du bekommst ein Existenzminimum – vielleicht die Hälfte von dem, was es heute gibt -, aber du bekommst es als Gutschein. Also keine Geldzahlungen. Weder für Bürgergeld-Empfänger noch für Zuwanderer, die nicht augenblicklich anfangen zu arbeiten. Wie schätzen Sie die Chancen für solche Reformen ein? Raffelhüschen: Da ich das schon vor 25 Jahren als ‚Freiburger Blaupause‘ gefordert habe, sehe ich die Chance gleich null. Das gilt beim Bürgergeld Seit Januar 2023 ersetzt das Bürgergeld das frühere Hartz IV. Bürgergeld umfasst staatliche Hilfen, die den Empfängern trotz geringem oder keinem Einkommen ein Leben ermöglichen sollen, das würdevoll ist. Das Bürgergeld zahlt unter anderem Zuschüsse für den Regelbedarf, Mehrbedarf, Unterkunft, Heizung und anderes mehr. Zum 1. Januar 2024 stieg das Bürgergeld deutlich, im Schnitt um etwa zwölf Prozent. für Alleinstehende: ein Anstieg von 61 auf 563 Euro im Monat. bei Erwachsenen, die mit einem Partner oder einer Partnerin zusammenleben, bekommt jeder 506 Euro . Als Paar also 1012 Euro. Vorher lag der Betrag bei 451 Euro, Paare erhielten also 902 Euro. Dazu kommen noch gestaffelte Leistungen je nach Alter der Kinder.