Tuesday, January 2, 2024

Mitten in der Bürgergeld-Debatte: Statistik-Amt spricht Klartext über Arbeitslosigkeit in Deutschland

Merkur Mitten in der Bürgergeld-Debatte: Statistik-Amt spricht Klartext über Arbeitslosigkeit in Deutschland Artikel von Amy Walker • 4 Std. Die Diskusson über die Höhe und den Anspruch auf Bürgergeld tobt. CDU und CSU fordern, dass sich arbeiten wieder lohnen müsse. Die Zahlen zur Erwerbstätigkeit 2023 lassen aufhorchen. Berlin - Seit der Einführung des Bürgergelds vor genau einem Jahr tobt eine Debatte um ihre Umsetzung. Die Befürchtung: durch die Höhe der Sozialleistung - die 2024 nochmal um 12 Prozent gestiegen ist - senke die Arbeitsanreize. Vor allem für Menschen im Niedriglohnsektor würde sich, so die Meinung von CDU und CSU, die Arbeit nicht mehr lohnen. Zu Beginn des neuen Jahres kommen die nüchternen Zahlen aus dem Statistischen Bundesamt (Destatis) zur Erwerbstätigkeit 2023. Und die sagen: Im letzten Jahr erreichte die Erwerbstätigkeit in Deutschland einen neuen Höchststand. Rekord bei Erwerbstätigkeit: 45 Millionen Menschen in Arbeit 45,9 Millionen Menschen haben in Deutschland 2023 im Schnitt gearbeitet. Das sei der höchste Wert seit der Wiedervereinigung im Jahr 1990. Laut der ersten Schätzung von Destatis verzeichnete 2023 im Vergleich zum Vorjahr einen Anstieg von 333.000 Erwerbstätigen (+0,7 Prozent). Dieser neue Rekord folgt auf den bisherigen Höchststand im Jahr 2022, als die Zahl der Erwerbstätigen auf 45,3 Millionen kletterte, was eine Steigerung von 320.000 oder 0,7 Prozent gegenüber 2019 bedeutete. Die Corona-Krise hatte im Jahr 2020 den zuvor 14 Jahre anhaltenden Anstieg der Erwerbstätigenzahl beendete und führte zu einem Rückgang von 361.000 Personen (-0,8 Prozent) in Arbeit. Im Rahmen der Erholung nach der Pandemie verzeichnete die Erwerbstätigkeit im Jahr 2021 einen leichten Zuwachs von 69.000 Personen (+0,2 Prozent) und im Jahr 2022 einen starken Anstieg um 612.000 Personen (+1,4 Prozent). Bürgergeld-Debatte tobt trotzdem: Wie kann das sein? Wie kann es also sein, angesichts dieser Zahlen, dass die Debatte um die Einführung des Bürgergelds so hart geführt wird? Das liegt wohl an mehreren Faktoren. Denn auch wenn Ökonomen und Arbeitsmarktexperten schon seit Wochen immer wieder betonen, dass es sich immer lohne, einer Arbeit nachzugehen, gebe es dennoch Fehlanreize im Sozialsystem. Nur wer mitmacht, bekommt das Bürgergeld in voller Höhe: Die CSU will Jobverweigerern die Leistung kürzen. So ist der Abstand zwischen Mindestlohn und Bürgergeld im Januar 2024 nochmal kleiner geworden. Zum 1.1.24 stieg der Mindestlohn um 42 Cent auf 12,42 Euro. Das beschloss die Mindestlohnkommission, die zu gleichen Teilen aus Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern besteht. Die Entscheidung fiel wohl nur sehr knapp aus - man habe sich dem Vernehmen nach nur schwer einigen können. Derweil stieg das Bürgergeld aber im Rahmen der gesetzlichen Anforderungen an die Existenzsicherung um zwölf Prozent. Dadurch entsteht natürlich ein Gefühl der Ungleichbehandlung in der Bevölkerung - auch wenn die beiden Entscheidungen unabhängig voneinander getroffen wurden und unterschiedliche Personen die Entscheidungen getroffen haben. Eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Magazins Stern stellte Ende des Jahres fest, dass 64 Prozent der Bevölkerung der Meinung sind, dass sich Menschen wegen der Erhöhung des Bürgergeldes zum kommenden Jahr gegen eine reguläre Beschäftigung entscheiden könnten. Diese Befürchtung hat aber keine reale Grundlage, wie die Destatis-Zahlen nun auch zeigen. Probleme in der Sozialsicherung: Bürgergeld nicht der Ursprung Zum anderen bemängeln Ökonomen auch, dass die Sozialleistungen in Deutschland wenig aufeinander abgestimmt sind. Das Problem sei nicht, dass sich arbeiten nicht lohne, sondern dass es sich nicht lohne, mehr zu arbeiten. Also: Von Teilzeit auf Vollzeit zu erhöhen, zum Beispiel. Oder eine Lohnerhöhung anzunehmen - weil dann Sozialleistungen wie das Wohngeld oder der Kinderzuschlag kräftig gekürzt werden. „Für manche lohnt es sich nicht, mehr zu arbeiten und zu verdienen, da ihre Abzüge nach der aktuellen Regelung zu hoch wären“, erklärte jüngst der Wirtschaftsforscher Prof. Andreas Peichl vom Münchner Ifo-Institut gegenüber IPPEN.MEDIA. Vor allem in Gegenden mit hohen Mieten, etwa in München, lohne sich ein höheres Bruttoeinkommen in bestimmten Einkommensintervallen kaum. Denn dann würden die Sozialleistungen, wie etwa das Wohngeld, so stark gekürzt, dass den Betroffenen teilweise netto sogar weniger bleibt. „Das bedeutet, dass es sich zwar immer lohnt zu arbeiten, aber für manche eben kaum“, erklärt Peichl. Das Problem sei allerdings nicht plötzlich mit dem neuen Bürgergeld aufgetaucht: „Es besteht seit 50 Jahren, und zwar egal, wer an der Regierung war.“