Tuesday, January 2, 2024

Flüchtlinge aus Russland an EU-Grenze: Wladimir Putins Rache an Finnlands Nato-Beitritt?

Berliner Zeitung Flüchtlinge aus Russland an EU-Grenze: Wladimir Putins Rache an Finnlands Nato-Beitritt? Artikel von Alexander Dubowy • 2 Std. Flüchtlinge an der russisch-finnischen Grenze in Vaalimaa im Dezember 2023 Bereits seit zwei Monaten bleibt die Zahl von Flüchtlingen aus Nahost und Nordafrika, die aus Russland kommend die EU-Grenze zu Finnland passieren möchten, ungewöhnlich hoch. Eines der führenden russischen Investigativmedien The Insider berichtete am 26. Dezember 2023 über seine wochenlange Recherche zur aktuellen Situation an den Grenzübergängen zwischen Russland und Finnland und fand dabei interessante Parallelen zum unerwartet starken Flüchtlingsaufkommen an der Grenze zwischen Polen und der Republik Belarus im Jahr 2021. Nachforschungen und Gespräche von The Insider mit Flüchtlingen und Menschenschmugglern ergaben, dass der Zustrom von Flüchtlingen an der russisch-finnischen Grenze nicht nur mit Wissen und auf Wunsch russischer Grenzbehörden erfolgt, sondern vielmehr unter voller Kontrolle der russischen Sicherheitsbehörden steht. Im Übrigen ist The Insider der Meinung, dass es sich dabei um dieselben Sicherheitsbehörden handelt, die vor zwei Jahren an der Organisation des Flüchtlingszuzugs an der Grenze zwischen Belarus und Polen beteiligt waren. Die ersten Berichte über Flüchtlinge, die versuchten, die russisch-finnische Grenze zu überqueren, erschienen Anfang November 2023. Damals reisten sie einzeln oder in kleinen Gruppen zu den Grenzübergängen an. Wie die Nachforschungen von The Insider ergaben, wurden die Flüchtlinge von den russischen Grenzbeamten mit Fahrrädern ausgestattet und man ließ sie ohne ein Schengenvisum den russischen Grenzübergang passieren. Mitte November 2023, als die Zahl der Flüchtlinge bereits in die Hunderte ging, versuchten die finnischen Behörden zunächst, den Grenzübertritt für Fahrräder zu beschränken. Als dies misslang, sahen die finnischen Behörden sich gezwungen, einen Kontrollpunkt nach dem anderen zu schließen. Wie The Insider nachweisen konnte, organisierten die Behörden des Gebiets Murmansk daraufhin Busse, die Flüchtlinge von den bereits geschlossenen finnischen Grenzkontrollpunkten zu den noch offenen transportierten, stellten dort Zelte auf und halfen mit warmem Essen. Als die Lage außer Kontrolle zu geraten drohte, beschloss Finnland am 30. November, alle Grenzübergänge bis zum 14. Dezember 2023 zu schließen. Doch als die Grenze zwei Wochen später wieder geöffnet wurde, wiederholte sich die Situation. Die Straße zum geschlossenen Grenzübergang Vaalimaa zwischen Finnland und Russland in Virolahti, Finnland. Nach Angaben der finnischen Zollbeamten haben seit Anfang November 2023 rund 1500 Flüchtlinge aus Nahost und Nordafrika die russisch-finnische Grenze passiert, um in der EU den Asylstatus zu beantragen. Bis November 2023 mussten sich diese Flüchtlinge jedoch auf den illegalen und sehr gefährlichen Weg durch die Wälder im Grenzgebiet zwischen der Republik Belarus und Polen begeben, um in die Europäische Union zu gelangen. Wie The Insider jedoch herausfand, erschienen im November in den einschlägigen Blogs und Foren, die noch kürzlich für eine Grenzübertrittmöglichkeit von Belarus nach Polen geworben haben, Informationen darüber, dass ein neuer Weg für Flüchtlinge von Russland nach Finnland eröffnet worden ist. Ein Journalist von The Insider kontaktierte daraufhin einen in den Foren genannten Händler verdeckt. Dieser sagte, dass er bei der Ausstellung eines russischen Visums helfen könne. Seine Dienste würden zwischen 3800 und 4200 US-Dollar kosten, je nachdem, ob die Hälfte der Summe im Voraus oder erst nach der Ankunft in Russland bezahlt werde. Ein anderer Händler bot die Ausstellung eines russischen Visums für 5000 US-Dollar an. Die Analyse der einschlägigen Blogs und Foren durch The Insider ergab, dass die Schmuggler aktiv Studierendenvisa für Russland empfahlen. Diese kosteten 1500 US-Dollar inklusive einer garantierten Immatrikulation an einer russischen Universität. Gegenüber The Insider berichtete ein Gesprächspartner, dass Bewerber auf der Grundlage der Durchschnittsnote ihres Schulzeugnisses und ohne Russischkenntnisse an den russischen Universitäten zugelassen wurden. Als eine wichtige Anlaufstelle für einen Visumsantrag fungierte das russische Kulturzentrum in Damaskus. Der Telegram-Kanal des Kulturzentrums veröffentlicht nämlich laufend Ankündigungen über die Anwerbung ausländischer Studierenden für russische Universitäten. Der Gesprächspartner von The Insider hat jedoch niemals in Russland studiert, sondern reiste unmittelbar an die finnische Grenze und bat um Asyl. Der finnische Grenzschutz begleitet Migranten, die an der internationalen Grenzübergangsstation Raja-Jooseppi in Inari, Nordfinnland, ankommen. Nach Angaben von The Insider haben die russischen Behörden im November 2023 die Entscheidung getroffen, Flüchtlinge von der belarussisch-polnischen Grenze an die russisch-finnische Grenze zu bringen. Einer der Menschenschmuggler erzählte The Insider darüber, von russischen Kontaktpersonen aus dem Inlandsgeheimdienst (FSB) informiert worden zu sein. Die Schmuggler legten im Gespräch mit The Insider auch ihre Preisliste für den Grenzübertritt vor. So zahlen die Flüchtlinge nach Angaben eines Schmugglers jeweils 1200 US-Dollar, davon gingen 500 US-Dollar an einen russischen Grenzschutzbeamten und 200 US-Dollar an den Fahrer des Wagens, der die Menschen zur russisch-finnischen Grenze bringt. Ein anderer Menschenschmuggler behauptet, dass der Kontakt zu russischen Sicherheitsbehörden bereits am Flughafen beginne, wo ein „gewisser Oberst“ die Flüchtlinge bei ihrer Ankunft abhole und sie beim Grenzübertritt nach Russland unterstütze. Angesichts der aktuell geschlossenen finnischen Grenze bieten Menschenschmuggler allen Flüchtlingen erneut an, nach Belarus zu gehen. Dort werden die Flüchtlinge in den Wäldern nahe der polnischen Grenze (in etwa zehn Kilometer Entfernung) abgesetzt und ihnen die ungefähre Richtung gewiesen. Politischen Analysten zufolge ist das, was an der russisch-finnischen Grenze aktuell geschieht, die Rache des Kremls an Finnlands Nato-Beitritt. Damit versucht Russland nicht nur den Hunger als Waffe einzusetzen, sondern missbraucht auch die Flüchtlinge für eigene politische Zielsetzungen.