Tuesday, January 16, 2024

Krieg in der Ukraine: Was der Abschuss der "A-50" bedeutet

SZ.de Krieg in der Ukraine: Was der Abschuss der "A-50" bedeutet Artikel von Von Sebastian Gierke • 2 Std. Schwerer Schlag für die russische Luftwaffe: Die Ukraine hat offenbar ein extrem wertvolles Spezialflugzeug abgeschossen. Das deutet auf eine Änderung der Strategie hin - mit bedeutenden Auswirkungen auf den Krieg. Was der Abschuss der "A-50" bedeutet Wenn russische Quellen die Schuld für den Verlust zweier Flugzeuge bei sich selbst, bei den russischen Streitkräften suchen, dann ist klar, dass es sich nicht um irgendwelche Maschinen handelt. Dann ist etwas Besonderes geschehen. Dann ist klar: Diese Niederlage zu groß ist, um sie dem Feind als Sieg zu überlassen. Die russische Luftwaffe hat am Montag zwei Flugzeuge verloren, das musste Moskau bestätigen. Ein Frühwarn- beziehungsweise Luftraumüberwachungsflugzeug vom Typ Berjiew A-50 und ein Führungs- und Kommunikationsflugzeug, eine Art fliegende Kommandozentrale, vom Typ IL-22. Beide Flugzeuge, besonders die A-50, sind strategisch und operativ wichtig, sehr teuer und nur in geringer Stückzahl vorhanden. Sie wurden etwa 120 Kilometer von der Front entfernt über dem Asowschen Meer in der Nähe der Küste getroffen, die A-50 ist vom Radar verschwunden und offenbar ins Meer gestürzt, die IL-22 konnte schwerbeschädigt in der südrussischen Stadt Anapa notlanden. Das zeigen Bilder, die russische Militärblogger veröffentlichten. Es gibt auch Berichte, dass ein drittes Flugzeug, ein Jagd-Bomber vom Typ SU-34 ins Visier der ukrainischen Streitkräfte geraten war, aber rechtzeitig abdrehen konnte. Verwandtes Video: Weltwirtschaftsforum: Konferenz zum Ukraine-Krieg und Friedensgipfel geplant (KameraOne.at) "Operativ höchst bedeutsam und peinlich" für die russische Luftwaffe Seither spekulieren russische Militärblogger, ob die eigene Flugabwehr für den Abschuss der Maschinen verantwortlich sein könnte. Und auch wenn die "friendly fire"-Theorie nicht gänzlich ausgeschlossen werden kann, wahrscheinlicher ist, dass die Flugzeuge von der ukrainischen Flugabwehr vom Himmel geholt wurde. Der ukrainische Oberbefehlshaber Walerij Saluschnyj jubelte, die ukrainische Luftwaffe habe eine Operation in der Asow-Region "exzellent geplant und ausgeführt". Auf Telegram postete er die Sequenz eines Flugradars, auf dem das Verschwinden eines Flugzeuges zu sehen ist, ein anderes dreht nach Südosten ab. Die Verluste sind ein außergewöhnlich harter Schlag für Moskau. "Operativ höchst bedeutsam und peinlich" für die russische Luftwaffe nannte beispielsweise Justin Bronk, Luftkampf-Spezialist beim Thinktank Rusi den Abschuss der A-50. Das Flugzeug ist das russische Pendant zu den Awacs-Maschinen der Nato. Der Luftaufklärer überwacht nicht nur feindliche Flugzeuge oder Raketen, sondern ist zentral für die Koordination der eigenen Luftstreitkräfte und Flugabwehr. Mit ihrem gewaltigen Radar kann eine A-50 weit über 100 Ziele gleichzeitig orten. Die Reichweite des Radars beträgt, abhängig vom Ziel, bis zu 650 Kilometer. Von der im Normalfall 15-köpfigen Besatzung können Drohnen, aber auch Marschflugkörper geortet werden. Sogar tieffliegende Jets, die von keinem Bodenradar erfasst werden, kann eine A-50 erkennen. Auch die hoch spezialisierte Crew ist ein großer Verlust Der Wert einer solchen Maschine beläuft sich auf eine dreistellige Millionensumme, die Ukraine schätzt ihn auf 330 Millionen Dollar. In einem Report aus dem Jahr 2021 schreibt der renommierte Thinktank IISS, dass Russland über neun A-50-Maschinen verfügt, allerdings dürfte immer nur etwa die Hälfte einsatzbereit sein. Neue werden nicht gebaut. Schwerwiegend ist außerdem der Verlust der erfahrenen Crew, die über hoch spezialisierte Fähigkeiten verfügt. Laut Experten sind solche Besatzungen in Russland so knapp wie die Flugzeuge selbst. Wie genau die beiden Maschinen getroffen wurden, ist bislang unklar. Einiges spricht aber für das Patriot-System. Es ist das einzige Flugabwehrraketensystem, mit dem die Ukraine das Asowsche Meer erreichen kann. Möglicherweise wurde auch eine Kombination aus Patriot-Startgerät und einem S-300-Radar verwendet. Die Ukraine und die USA arbeiten seit einiger Zeit an solchen improvisierten Systemen. Unabhängig von der genauen Konstellation, der Einsatz eines Patriot-Systems wäre eine bemerkenswerte Veränderung der Strategie. Bislang hatte die Ukraine die wenigen wertvollen Patriot-Systeme, die sie besitzt, meist weit weg von der Front zur Sicherung der eigenen Infrastruktur und zur Abwehr russischer Raketenangriffe auf Großstädte eingesetzt. Bekannt ist aber, dass schon im Dezember zumindest ein Abschussgerät nahe an von Russland besetztes Gebiet gebracht worden war. Damals konnten drei Kampfjets über dem Schwarzen Meer abgeschossen werden. Der Abschuss der A-50 und der IL-22 jetzt hat allerdings eine neue Qualität. Auch strategisch. Denn will das russische Militär nicht weitere Verluste dieser Größenordnung riskieren, wird man mit den Überwachungsflugzeugen künftig wohl nicht mehr so nahe an ukrainisches Gebiet heranfliegen, muss also wichtige Einsatzgebiete meiden. In diesem Fall würde sich die Qualität der Aufklärung drastisch verschlechtern und die Ukraine bekäme neue taktische Möglichkeiten. Schläge mit weitreichenden Raketen wären leichter auszuführen, die Abwehr russischer Flieger, die Gleitbomben auf Stellungen an der Front abwerfen, würde vereinfacht und das Einsatzgebiet eigener Kampfjets, insbesondere der für die kommenden Monate von den westlichen Partnern versprochenen F-16, würde deutlich erweitert. Das Stärkeverhältnis im Luftkampf über der Ukraine, am 15. Januar hat es sich zugunsten der Ukraine verändert.