Sunday, January 14, 2024
Die CDU sucht eine Strategie gegen die AfD: Neuer Migrationspakt statt „Ampel-Bashing“?
Tagesspiegel
Die CDU sucht eine Strategie gegen die AfD: Neuer Migrationspakt statt „Ampel-Bashing“?
Artikel von Christopher Ziedler •
18 Std.
Aus dem Deutschlandpakt wurde nichts, die Union gibt der Ampel die Schuld am AfD-Höhenflug. Auf der CDU-Klausur wird Parteichef Merz gedrängt, trotzdem auf den Kanzler zuzugehen.
Friedrich Merz bietet Kanzler Olaf Scholz erneut Gespräche über eine gemeinsame Asylpolitik an.
Es herrscht Funkstille zwischen Regierungschef und Oppositionsführer. SPD-Kanzler Olaf Scholz und CDU-Chef Friedrich Merz hatten keinen Kontakt mehr, seit im November aus dem angedachten „Deutschlandpakt“ zur Migrationspolitik mit Merz ein Beschluss der Ministerpräsidentenkonferenz ohne Merz wurde. Darüber, wer wen ausgebootet hat und wie der Gesprächsfaden abriss, gibt es verschiedene Darstellungen und Schuldzuweisungen.
In der CDU wird die Geschichte so erzählt: Noch während Scholz und Merz oben im Kanzleramt zusammensaßen und ausloteten, was gemeinsam gehen könnte, soll Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt eine Etage tiefer erzählt haben, das Gespräch sei quasi überflüssig, weil sein Chef die Dinge nicht mit Merz, sondern mit den Ministerpräsidenten regeln werde.
Der Oppositionschef und seine Partei jedenfalls sind sauer – auch weil „bisher weder die MPK-Beschlüsse von Mai noch von November letzten Jahres umgesetzt worden“ seien, wie Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei sagt: „Offensichtlich hat die Ampel gar kein Interesse an überparteilichen Kompromissen“.
Zur schlechten Stimmung trägt auch bei, dass ein Brief, den Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt den Ampel-Fraktionschefs geschrieben haben, um noch mal über das Wahlrecht zu sprechen, bisher unbeantwortet blieb.
Die CDU debattiert über ihren Umgang mit AfD und Ampel
Am internen Befund, dass gemeinsame Beschlüsse etwa in der Migrationspolitik der AfD das Wasser abgraben könnten, hat sich indes nichts geändert. Im Gegenteil: Die Umfragewerte der in Teilen rechtsextremen Partei schießen weiter in die Höhe. Das besorgt die CDU grundsätzlich, aber auch taktisch. Schließlich will sie die drei Ost-Landtagswahlen im Spätsommer gewinnen, wo die AfD aktuell weit vorne liegt und mögliche Koalitionspartner fehlen, da die drei Ampelparteien mit Ausnahme Brandenburgs in der Versenkung zu verschwinden drohen.
CDU-Präsidiumsmitglied Ronja Kemmer
Die Jahresauftaktklausur der CDU in Heidelberg am Freitag und Samstag, wo der Bundesvorstand unter anderem das neue Grundsatzprogramm und ein Reformkonzept für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk auf den Weg brachte, stand deshalb nicht nur ganz im Zeichen der Debatte darüber, wie die Christdemokratie mit der AfD umgehen soll, sondern auch mit der Ampel.
Drei Stunden debattiert die Parteispitze auf Anregung von Merz. Der Redebedarf ist groß, rund 40 Wortmeldungen gibt es. Wie soll man die miese Stimmung im Land adressieren, ohne dass es bei den Rechtsaußen einzahlt? „Weniger Ampel-Bashing“ fordern manche. Der Kieler Regierungschef Daniel Günther will „deutlich besser“ als bisher die eigenen Lösungsansätze nach vorne stellen. Seine Bildungsministerin, die stellvertretende Parteichefin Karin Prien, verlangt „respektvolle Sprache“, um sich in der Ampelkritik klar von der AfD zu unterscheiden. Sie nennt es aber auch „eine Gratwanderung“.
Viel wird aber eben auch darüber gesprochen, ob man trotz des Ärgers über Scholz sowie die Regierungspolitik im Allgemeinen und das Deutschlandpakt-Desaster im Speziellen noch einmal auf die Ampel zugehen soll. Speziell NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst macht sich in der Sitzung dafür stark – und bekommt Teilnehmern zufolge sehr viel Applaus dafür.
.„Die Feinde unserer Demokratie wittern Morgenluft“, sagt er im Anschluss dem Tagesspiegel. Das Beispiel der Niederlande, wo ein Wahlkampf zu Asyl und Zuwanderung den Rechtsaußen Geert Wilders zum Gewinner machte, bereitet ihm große Sorge. Es soll sich in Deutschland nicht wiederholen.
Er fordert deshalb einen neuen Anlauf, um mit der Regierung zusammenzukommen – nicht zuletzt, weil die Flüchtlingszahlen bald wieder deutlich steigen könnten.
Der erste Schritt wäre, miteinander zu reden.
NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst will die Sprachlosigkeit zwischen Ampel und Union überwinden.
Das findet in der Partei viel Resonanz. „Wir sind als CDU bereit, erneut auf die Ampel zuzugehen“, sagt das Präsidiumsmitglied Ronja Kemmer, um „zu gemeinsamen Lösungen zu kommen und damit den Zuspruch zur AfD zu verringern.“ Ihre bisherige Erfahrung, „dass die drei Koalitionsparteien dazu nicht willens oder wegen ihrer Differenzen nicht in der Lage sind“, teilen freilich viele. Gerade von den Grünen hören sie selbst, dass in deren Partei weitere Asylzugeständnisse kaum durchsetzbar seien.
Die Diskussion beeindruckt CDU-Parteichef Merz
Die Diskussion im Bundesvorstand beeindruckt auch den Parteichef, der zwar bedauert, dass die Kooperation mit dem Kanzler so „außerordentlich schwer“ sei, das Angebot an Scholz nun aber ebenfalls erneuert. „Wir sind zur Zusammenarbeit bereit“, so Merz: „Wir wissen, was für dieses Land auf dem Spiel steht.“
Der NRW-Regierungschef drängt nicht nur die eigene Unionsfraktion im Bundestag, er will auch möglichst schnell eine neue Bund-Länder-Runde mit Scholz, weil die Beschlüsse der vorangegangenen auch aus seiner Sicht nicht zügig genug umgesetzt werden: Der Kanzler müsse „jetzt auch liefern“. Weil aber die hohen Erwartungen an eine große Koalition in der Migrationsfrage schon einmal enttäuscht wurden, muss erst einmal die Sprachlosigkeit überwunden werden. „Der erste Schritt wäre, miteinander zu reden.“