Tuesday, November 2, 2021
So sieht das Erbe der Klimakanzlerin aus
WELT
So sieht das Erbe der Klimakanzlerin aus
Stefanie Bolzen vor 12 Std.
|
Unbarmherzig ertönt in Glasgow nach genau drei Minuten der Gong. Keiner der Staats- und Regierungschefs aus den 197 teilnehmenden Ländern darf beim UN-Klimagipfel COP26 länger reden, auch für Angela Merkel gibt es keine Ausnahme. Die geschäftsführende Bundeskanzlerin lässt sich am Montagnachmittag von dieser Vorgabe nicht beeindrucken.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt an der Weltklimakonferenz in Glasgow teil. Wie kann die beschleunigte Erderwärmung auf ein erträgliches Maß eingedämmt werden? Verfolgen Sie hier die Rede von Angela Merkel.© Bereitgestellt von WELT Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nimmt an der Weltklimakonferenz in Glasgow teil. Wie kann die beschleunigte Erderwärmung auf ein erträgliches Maß eingedämmt werden? Verfolgen Sie hier die Rede von Angela Merkel.
Es ist ihre wohl letzte Rede als Regierungschefin auf der ganz großen politischen Bühne. Sie setzt diese nach dem Gong fort mit „einem klaren Plädoyer für die Bepreisung von CO2-Emissionen“. Dafür müssten die Vertragsstaaten der UN-Klimakonferenz „globale Instrumente finden, die nicht nur Steuergelder einsetzen, sondern die wirtschaftlich vernünftig sind. Und das ist für mich die CO2-Bepreisung.“
Merkel wird im Vergleich zu anderen Rednern konkret. Emotion und Dramatik überlässt sie ihren Vorrednern. Den Aktivisten aus aller Welt, die nach Schottland gereist sind, um von den individuellen Konsequenzen des Klimawandels zu berichten, von Hunger und Dürre, von Millionen Vertriebenen, von wegen des steigenden Meeresspiegels versinkenden Inseln.
Sollte das Treffen in Glasgow keine nachhaltigen und verbindlichen Zusagen ergeben, „werden die Wut und die Ungeduld der Welt unbändig sein“, warnt Gastgeber Boris Johnson. „Wir graben unser eigenes Grab. Es ist an der Zeit, zu sagen: genug!“, warnt UN-Generalsekretär Antonio Guterres. Prinz Charles appelliert an Unternehmen in den 197 Teilnehmernationen, den Weg freizumachen für Investitionen, die Trillionenbeträge für den Kampf gegen den Klimawandel freimachen könnten. „Die Zeit dafür ist im wahrsten Sinne abgelaufen“, erklärte britische Thronfolger.
Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Rede während des UN-Klimagipfels© via REUTERS Noch-Bundeskanzlerin Angela Merkel bei ihrer Rede während des UN-Klimagipfels
Auch für Merkel ist eine Zeit an ihr Ende gekommen, hier in Glasgow schließt sich an diesem 1. November ein Kreis. Die Noch-Kanzlerin erinnerte selbst daran, welche Rolle der Umwelt- und Klimaschutz in ihrer Karriere gespielt hat. „Ich habe heute darauf hingewiesen, dass ich die Ehre hatte, schon die erste Vertragsstaatenkonferenz als Umweltministerin zu leiten“, hatte die geschäftsführende Bundeskanzlerin bereits am Sonntag in Rom beim G-20-Treffen erklärt.
Das war im Frühjahr 1995, Merkel war kaum ein halbes Jahr im Amt, als in Berlin die erste Weltklimakonferenz stattfand. Das Treffen legte das Fundament für das zwei Jahre später beschlossene Kyoto-Protokoll, ein erster Schritt hin zu internationalen verbindlichen Klimaschutzauflagen.
Merkel verstand als Wissenschaftlerin früher als viele andere Politiker, welche katastrophalen Folgen die Erderwärmung für die Menschheit bedeutet. Als Deutschland 2007 die EU-Ratspräsidentschaft hält, setzt Merkel den Klimaschutz oben auf die Agenda. Ein von vielen kritisiertes Erbe aus dieser Zeit: das europäische Ende der Energie verschwendenden Glühbirne, ein Vorstoß von Merkels damaligem Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD). Die Staats- und Regierungschefs der EU beschließen damals auch, den Ausstoß an Treibhausgasen bis 2020 um mindestens 20 Prozent zu senken.
Aus dieser Zeit stammt Merkels Titel der „Klimakanzlerin“. Doch 15 Jahre später ist die Deutsche nicht als Klimakanzlerin, sondern als Krisenkanzlerin der ganzen Welt bekannt. Der Kampf gegen die Erderwärmung musste erst dem Management der Euro-, dann der Flüchtlings- und zuletzt der Corona-Krise weichen.
Merkels bleibender Ruf ist der einer Vermittlerin. Am Samstagabend beim Dinner der G-20-Chefs in Rom im Quirinalspalast nahm sie, so berichtet die Agentur Bloomberg, den allein dastehenden Jair Bolsonaro zur Seite. Brasiliens Präsident ist bei den Umwelt-Treffen schwarzes Schaf, gilt als Leugner des Klimawandels.
Er sei gar nicht so schlecht, wie die Medien in machten, wollen Ohrenzeugen in Rom gehört haben. Zwischen Merkel und Bolsonaro entwickelt sich daraufhin eine Unterredung, was in Berlin bestätigt wird. Laut Bloomberg habe die Kanzlerin ihn nach seinen drängendsten Problemen gefragt. Die steigenden Gaspreise, so der Brasilianer. Am Montag in Glasgow verpflichtet sich Brasilien, seinen Ausstoß von Treibhausgasen bis 2030 um 50, statt wie bisher um 43 Prozent zu reduzieren. Sein Land sei beim Klimaschutz Teil der Lösung, verkündet Bolsonaro.