Monday, November 8, 2021

Österreichs verzweifelter Versuch, mit der 2-G-Regel einen weiteren Lockdown zu verhindern

Neue Zürcher Zeitung Deutschland Österreichs verzweifelter Versuch, mit der 2-G-Regel einen weiteren Lockdown zu verhindern Daniel Imwinkelried, Wien vor 11 Std. | Rund ein Drittel der Bewohner Österreichs sind seit Montag vom öffentlichen Leben weitgehend ausgeschlossen. Sie können keine Restaurants mehr frequentieren und dürfen weder Museen betreten noch Kulturveranstaltungen besuchen. Auch der Gang zum Coiffeur oder Seilbahnfahrten sind für sie nicht mehr möglich. Landesweit gilt die sogenannte 2-G-Regel. Das heisst: Völlige Bewegungsfreiheit geniessen nur noch Personen, die entweder gegen Covid-19 geimpft sind oder die Krankheit durchgemacht haben. Die Massnahme gilt für alle Bewohner des Landes, die älter als 16 Jahre sind. In Österreich befürchten touristische Kreise einen Ausfall der Wintersaison. Wie viele Österreicher genesen sind, weiss niemand genau. Vollständig geimpft sind allerdings bloss 64 Prozent der Bevölkerung – also ähnlich viele wie in der Schweiz. Beide Länder fallen im Vergleich mit vielen Staaten Westeuropas in dieser Hinsicht ab. Steiler Anstieg der Infektionen Die Regierung sah sich zum Handeln gezwungen, weil die Zahl der gemeldeten Infektionen in den letzten Tagen in die Höhe geschnellt ist. Am Donnerstag vergangener Woche war der Wert auf 9898 gesprungen. Damit erreichte er das höchste Niveau in dieser Pandemie. Erstaunlich ist auch, wie rasch der Anstieg erfolgte. In rund einer Woche hat sich die Zahl der gemeldeten Infektionen ungefähr verdoppelt. Die Sieben-Tage-Inzidenz erreichte den Wert von fast 600 Fällen. Bereits weisen Spitalärzte wieder warnend darauf hin, dass sich die Intensivstationen viel zu rasch mit Covid-19-Kranken füllten. Für die Schweiz ist dieser Anstieg ein schlechtes Vorzeichen, denn die Infektionszahlen haben sich in den beiden Nachbarländern seit Ausbruch der Pandemie im Februar 2020 fast im Gleichschritt entwickelt. Falls sich die Vorgänge in Österreich in der Schweiz erneut wiederholen, wird sich auch der Bundesrat Gedanken darüber machen müssen, wie man der vierten Welle Herr wird. Österreich hat sich für ein Vorgehen entschieden, das einer Impfpflicht nahekommt. Immerhin gilt seit Montag nicht nur die 2-G-Regel, sondern seit dem 1. November am Arbeitsplatz auch die 3-G-Regel. Ins Büro oder in die Fabrik dürfen somit nur noch Mitarbeiter, die geimpft, genesen oder getestet sind. Alle diese Massnahmen seien nötig, um die Infektionszahlen so rasch wie möglich wieder zu senken, sagte Innenminister Karl Nehammer am Montag. Sämtliche Bewohner des Landes müssten sich nun bewusst sein, dass sie beim Restaurantbesuch kontrolliert würden. «Wir werden den Kontrolldruck in den nächsten Tagen deutlich erhöhen», meinte der Politiker. Mit Freunden essen gehen Selbstverständlich will die Regierung mit der 2-G-Regel Zauderer dazu bringen, sich impfen zu lassen. Die Ankündigung der 2-G-Regel hat zumindest am Sonntag zu einem starken Anstieg der Impfungen geführt. Junge Österreicher sagten etwa, sie hätten sich nun für den Stich entschieden, um mit Freunden weiterhin essen gehen zu können. Verschiedene Bundesländer haben am Montag mitgeteilt, die Kapazitäten in den Impfzentren wieder ausbauen zu wollen. Noch ist es aber zu früh für ein Urteil darüber, ob die neueste Massnahme die Impfquote stark erhöhen wird. Im Wiener Impfcenter waren jedenfalls am Sonntag zwei Drittel der Impfungen Drittstiche oder sogenannte Booster; es fanden sich somit vornehmlich Leute ein, die vom Sinn der Impfung ohnehin überzeugt sind. Angst vor dem Ausfall der Wintersaison Besonders gespannt beobachten Vertreter des Tourismussektors die stark steigenden Fallzahlen. Sie befürchten, dass die Wintersaison erneut ausfallen könnte. In keinem Land der nördlichen Erdhalbkugel hat der Wintertourismus ein so starkes Gewicht wie in Österreich. In der letzten vollständigen Wintersaison vor der Pandemie lag die Zahl der Logiernächte bei 73 Millionen. Im Vergleich damit wies die Schweiz mit 17 Millionen Übernachtungen eine bescheidene Zahl auf. Schon im vergangenen Winter waren in Österreich alle Hotels geschlossen gewesen und hatten in den Heimatländern der Reisenden teilweise strenge Quarantäneregeln geherrscht. Skitouristen hatten somit keine Möglichkeit, ihren Sport in Österreich auszuüben. Ein zweiter Ausfall der Wintersaison käme das Land teuer zu stehen: Entweder müsste die Regierung die Branche erneut mit hohen Summen unterstützen, oder sie nähme es in Kauf, dass viele Hotels in Konkurs gingen. «Um den Gästen Sicherheit zu vermitteln, ist die 2-G-Regel unerlässlich», sagt der Hotelier und ehemalige Nationalrat der Partei Neos Sepp Schellhorn. Er wünscht sich, dass auch für die Mitarbeiter die 2-G-Regel gelten würde. «Auf Österreich bezogene Reisewarnungen stehen im Raum», mahnt Schellhorn. Um die Wintersaison nicht zu gefährden, befürwortet der Unternehmer sogar begrenzte Lockdowns in Regionen mit einer hohen Inzidenz. Noch schrecken die Politiker aber davor zurück, den Bewohnern mit dieser radikalen Massnahme zu drohen. Sie wissen, wie unpopulär ein solcher Schritt wäre. Höchstens Mediziner haben am Montag davon gesprochen, dass man auch einen Lockdown für Geimpfte in Betracht ziehen müsse, wenn die 2-G-Regel nicht wirke. Vizekanzler Werner Kogler nannte einen Lockdown die «allerletzte Konsequenz». Dagegen forderte die Oppositionspartei Neos, dass ein Lockdown für Geimpfte keine Option mehr sein dürfe.