Tuesday, November 2, 2021
»Klimaruck«
»Klimaruck«
Claus Hecking vor 16 Std.
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Markus Söder fordert billigere Kraftstoffe für Deutschlands Autofahrer. Das ist billiger Populismus – und brandgefährlich. Denn am Ende wird es für uns alle viel teurer.
Es war Mitte Juli, kurz nach der Hochwasserkatastrophe in Deutschland, die Fluten hatten mindestens 180 Menschen getötet und Tausenden ihr Zuhause genommen, da wurde Markus Söder pathetisch.
»Wir stehen an der Schwelle epochaler Veränderungen. Entweder verstehen wir die Warnrufe und handeln, oder wir werden langfristig mit dramatischen Folgen konfrontiert«, sagte Bayerns Ministerpräsident vor dem Landtag.
»Wir sind es unseren Kindern schuldig, dass wir uns nicht aus Angst vor Lobbygruppen, vor Leugnern oder vor Ewiggestrigen vor der Verantwortung drücken.« Alle bräuchten nun einen »Klimaruck«. Und die Bundestagsfraktion seiner CSU konkretisierte, man werde nun »die CO2-Bepreisung noch einmal genau in den Blick nehmen und die Preisentwicklung straffen«.
Jene CO2-Abgabe haben CSU, CDU und SPD selbst eingeführt. Sie soll Benzin, Diesel und Heizöl bis 2025 um 15 bis 17 Cent je Liter verteuern.
Keine vier Monate nach seiner Klima-Ruckrede wird der Bäumeumarmer und Bienenretter Söder zum Benzinpreisbeschützer. Jetzt, da die Deutschen nicht mehr über die Hochwasserfluten diskutieren, sondern über die Hochpreise für Sprit, Gas und Strom.
Söder verlangt, die Mehrwertsteuer auf Kraftstoffe und Energie zu senken, um »die Bürger von den schlimmsten Härten [zu] entlasten«. Das ist ein direkter Widerspruch zum Beschluss der unionsgeführten Bundesregierung, die CO2-Abgabe zum Jahreswechsel weiter anzuheben. Aber CSU/CSU sind bundesweit eh auf dem Weg in die Opposition. Da fordert es sich leichter.
Und wie war das noch mal mit der von Söder angemahnten »Verantwortung« für die Kinder?
Die Zeit läuft ab. Wenn die Menschheit noch acht Jahre lang weiter so viele Treibhausgase in die Luft stößt wie jetzt, ist das 1,5 Grad-Ziel passé. Und jede weitere Tonne CO₂ wird die Erde noch stärker aufheizen. Damit die Klimakrise nicht vollends außer Kontrolle gerät, muss die Staatengemeinschaft die Emissionskurve nach unten drücken: bald und radikal.
Darum geht es beim aktuellen Klimagipfel in Glasgow, und es gilt auch für Deutschland. Ganz besonders für den Straßenverkehr. Dessen Emissionen sind zwischen 1990 und 2019 gar nicht gefallen. Mehr als 48 Millionen Pkw sind hierzulande zugelassen, mehr als je zuvor. Und die Motorleistung steigt und steigt.
Neufahrzeuge haben im Schnitt heute mehr als 160 PS. Demnach kann Sprit für die meisten Pkw-Besitzer nicht so teuer sein, dass sie vom Schlimmsten entlastet werden müssten. Auch wenn der Dieselpreis Rekordstände erreicht, ist er inflationsbereinigt kaum höher als etwa 2008 oder 2013. Für einen Liter müssen Durchschnittsverdiener nur ein Drittel so lang arbeiten wie vor 60 Jahren. Laut dem Thinktank Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft wird kein Verkehrsmittel stärker subventioniert als das Auto.
Wenn der Staat fossile Kraftstoffe jetzt per Steuersenkung künstlich verbilligt, senkt er den Anreiz für uns alle, Sprit zu sparen. Oder ganz umzusteigen, auf Bus und Bahn, Fahrrad oder Elektromobil. Schlimmer noch: Viele von uns werden darauf bauen, dass unsere Politiker auch in Zukunft jede Preisspitze abfedern.
So wird das nichts mit Markus Söders »Klimaruck«.
Es stimmt: Nicht alle von uns können so einfach das Verkehrsmittel wechseln. Gerade in ländlichen Gebieten gibt es oft keine Alternative. Und, ja: Es gibt gering verdienende Pendlerinnen und Pendler, die jeden Cent mehr an der Zapfsäule anderswo in ihrem Lebensalltag einsparen müssen.
Aber diese Betroffenen (und nur sie) muss der Staat direkt entschädigen: etwa durch einen gezielten Energiekostenzuschuss. Nicht aber, indem er fossile Kraftstoffe jetzt für alle verbilligt – einschließlich Gutverdienern, die oft besonders viel fahren und weit pendeln. Das ist unsozial.
Jeder verbrannte Liter Kraftstoff heizt die Atmosphäre weiter auf, zum Schaden von uns allen. Wer diese Emissionen verursacht, muss dafür zahlen. Wenn unsere politisch Verantwortlichen wirklich unsere Kinder retten wollen, ohne Fahr-, Heiz- oder Betriebsverbote zu verhängen, dann werden sie fossile Energieträger teurer machen müssen.
So hat es die CSU zusammen mit CDU und SPD ja auch selbst beschlossen: mit der stetig steigenden CO2-Abgabe. Die haben die Regierungsparteien übrigens erst im Oktober vor einem Jahr nochmals erhöht. Einvernehmlich. Man darf Söder unterstellen, dass er wusste, was seine Partei tut.
Es wird noch teurer
Machen wir uns nichts vor. Das jetzige multiple Energiepreishoch wird nicht einzigartig bleiben. Erdöl, Gas und Kohle werden sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten immer wieder mal abrupt verteuern. Erst recht, wenn Regierungen weltweit wirklich die viel beschworene Energiewende in die Tat umsetzen.
Dann werden Rohstoffkonzerne und ihre Geldgeber zunehmend davor zurückschrecken, Milliarden zu investieren, um ihre Felder und Gruben weiter wie bisher auszubeuten – oder gar neue Förderstätten zu eröffnen. Zu groß ist die Sorge, am Ende auf Fossilien sitzenzubleiben, die niemand mehr braucht oder verbrauchen darf. Entsprechend knapp und teuer dürften diese Brennstoffe in dieser Übergangszeit immer wieder mal werden, solange Menschen auf sie angewiesen sind.
Populisten und Extremisten à la AfD, Le Pen oder Trump werden das ausschlachten. Stimmung machen gegen CO2-Preise und Energieabgaben. Neue Subventionen für die Fossilen fordern, wie in der ach so guten alten Zeit. Und sie werden damit Stimmen von Unzufriedenen einheimsen.
Gerade für Mitte-Rechts-Politiker wird die Versuchung groß sein, nachzugeben, den Wandel zu bremsen, zu stoppen oder gar zurückzudrehen. Eben das hieße aber – Zitat Markus Söder – »sich aus Angst vor Lobbygruppen, vor Leugnern oder vor Ewiggestrigen vor der Verantwortung zu drücken«. Für das fehlende Rückgrat bezahlen müssten unsere Kinder.
Markus Söder ist der mächtigste Ministerpräsident Deutschlands, womöglich der nächste Unions-Kanzlerkandidat. Auf Verantwortungsträger wie ihn wird es ankommen, in der Zeit des Wandels.
Hoffentlich war die Mehrwertsteuer-Nummer kein Vorgeschmack.