Tuesday, November 2, 2021

Elektromobilität: Europa droht eine Batterie-Blase

Handelsblatt Elektromobilität: Europa droht eine Batterie-Blase Buchenau, Martin-W. Fasse, Markus Witsch, Kathrin Tyborski, Roman vor 38 Min. Mit Milliarden fördert Europa den Aufbau einer heimischen Batterieindustrie. Es drohen gewaltige Überkapazitäten. Nicht alle Projekte werden überleben. Volkswagen rechnet mit einem Bedarf von rund 30 großen Zellfabriken allein in Europa bis 2030. Frank Weber hat sich festgelegt. „Es ist jetzt der falsche Zeitpunkt, in Gigafactories zu investieren“, sagt der BMW-Entwicklungsvorstand. Es ist Oktober, und Weber steht neben dem neuen Stolz des Hauses: Der BMW „iX“ ist ein 500-PS-starkes Elektro-SUV aus deutscher Produktion. Doch die Kraftspeicher des Elektroautos kommen nicht von den Bayerischen Motorenwerken. BMW lässt sich die Batteriezellen vom chinesischen Anbieter CATL liefern, der eigens dafür eine milliardenschwere „Gigafactory“ in Thüringen gebaut hat. Für Weber und seine Kollegen ist klar: BMW wird kein Geld in den Aufbau von Batteriefabriken mit Lithium-Ionen-Technik stecken. Mehrfach hat der BMW-Vorstand solch eine Milliardeninvestition bereits diskutiert und wieder verworfen. Das Risiko, sich mit der Technologie festzulegen und sich zu verzetteln, erscheint BMW viel zu groß. Und warum sollte man selbst produzieren, was man sich auch problemlos zuliefern lassen kann? „Es gibt bei den Batteriezellen einen sehr robusten Lieferantenmarkt, wir sehen keine Monopol- oder Oligopolbildung“, sagt Konzernchef Oliver Zipse. In Europa werde es auf absehbare Zeit eher zu viele als zu wenige Batteriefabriken geben, lautet nicht nur in München die Einschätzung. Allein bis 2024 will BMW Batteriezellen im Wert von 22 Milliarden Euro bestellen. Solche Summen elektrisieren potenzielle Lieferanten und sorgen dafür, dass die Produktionskapazitäten weiter wachsen – womöglich zu stark. Experten warnen vor gewaltigen Überkapazitäten bei der Zellproduktion und einer mit Milliardensubventionen aufgepumpten Batterieblase. Mit dem Boom droht die Blase Sicher ist: Die Welt erlebt einen beispiellosen Boom der Batteriefabriken. Mussten vor ein paar Jahren noch die ersten Batteriezellen aus Japan und Südkorea eingeflogen werden, so reichen die Ankündigungen für neue Fabriken in Europa jetzt von Spanien bis Polen. Die asiatischen Hersteller CATL, Samsung und LG Chem produzieren bereits in Osteuropa, Tesla plant eine riesige Fabrik in Brandenburg. Mit der Automotive Cell Company (ACC) haben Stellantis, Daimler und Total ein ambitioniertes Gemeinschaftsunternehmen gegründet, von Schweden aus will das Start-up Northvolt den Markt aufrollen. Sie alle wollen Batteriezellfabriken im Gigawattbereich aufbauen. Neben den Großaufträgen der europäischen Autoindustrie locken milliardenschwere Förderprogramme der Europäischen Union. Die Energieberatung Avicenne beziffert das Wachstum der Batteriebranche auf 25 Prozent pro Jahr. Man stehe damit aber erst am Anfang der E-Mobilitäts-Entwicklung, sagt Avicenne-Chef Christophe Pillot. Der Markt für Lithium-Ionen Batterien (LIBs) werde in den kommenden Jahren am schnellsten zulegen. 2030 werden demnach 85 Prozent der weltweiten Batterienachfrage aus dem Bau von Elektroautos stammen. Nach China wird Europa zum weltweit zweitgrößten Markt für Elektroautos. Hier rechnen Experten 2030 mit einem Bedarf von rund 900 Gigawattstunden. Insgesamt belaufen sich die Kapazitäten der angekündigten Zellfabriken mittlerweile aber schon auf 1200 Gigawattstunden. Deutlich mehr als gebraucht wird. Ein hohes Risiko für die Unternehmen, aber auch für die fördernden Staaten. „Es ist eine zum Teil mit europäischem Steuergeld aufgeblähte Blase. Das Risiko, dass sie platzt, ist definitiv da“, sagt Autoexperte Wolfgang Bernhart von der Unternehmensberatung Roland Berger im Gespräch mit dem Handelsblatt. Batteriezellfabriken seien nur dann ökonomisch erfolgreich, wenn sie auf 90 Prozent Auslastung gefahren würden, „das ist bei den immensen Überkapazitäten natürlich nicht der Fall“. Eins scheint schon jetzt klar: Nicht alle Projekte werden überleben. Steuermilliarden für die Industrie Für die kommenden zehn Jahre, so der europäische Mobilitätsverband Transport and Environment (TAMPERSANDE), sind mehr als 40 Projekte für Batteriefabriken in Europa angekündigt. Laut TAMPERSANDE sind 17 der Projekte mit insgesamt 25,5 Milliarden Euro komplett durchfinanziert. Neben privaten Investitionen fließt vor allem staatliches Fördergeld. Teslas Gigafabrik in Brandenburg zum Beispiel bekommt von Bund und Land insgesamt 1,2 Milliarden Euro an Steuergeldern. Auch Northvolt, ACC und CATL profitieren von den milliardenschweren Fördergeldern aus Berlin und Brüssel. Das ist politisch so gewollt: Um die Marktmacht der asiatischen Hersteller zu brechen, forderte 2018 der damalige EU-Kommissar Maroš Šefčovič den Aufbau von mindestens zehn Gigafabriken in Europa und versprach Anschubfinanzierungen. Nach und nach bildeten sich sogenannte „Important Projects of Common European Interest“, kurz Ipcei-Projekte, über Ländergrenzen hinweg. So haben sich der Opel-Mutterkonzern Stellantis und der deutsche Autokonzern Daimler zusammengetan, um mit ihrer Automotive Cell Company (ACC) eigene Zellen für ihre Elektroautos herzustellen. Zwei Fabriken sind bislang geplant: eine am Opel-Standort Kaiserslautern, die andere im nordfranzösischen Douvrin. Bundeswirtschaftsminister Altmaier hat für den Bau der rheinland-pfälzischen Anlage bereits 437 Millionen Euro Unterstützung zugesichert. Ein „gigantischer Subventionswettlauf“, der in den Augen von Autoexperte Bernhart gar nicht erforderlich wäre: „Es gab eine Veränderung in der Strategie der Autokonzerne in den letzten zwei Jahren. Sie wollen sich selbst absichern und investieren deswegen in Zellproduktionen, versuchen selbst welche aufzubauen oder arbeiten mit etablierten Herstellern zusammen.“ Eine solch strategische Investition mache kein Autokonzern wegen der Subventionen. Von denen profitieren nun auch jene Vorhaben für Batteriefabriken, deren Zukunft mehr als ungewiss ist. „Viele der Projekte, die wir gerade sehen, hätte es ohne Subventionen nicht gegeben. Und die Frage ist, wie viele davon es noch geben wird, wenn die Subventionen irgendwann auslaufen“, warnt Bernhart. Er sieht, wie viele in der Industrie, drei Gruppen von Projekten: Solche, die bereits mit etablierter Technik und Kundschaft im Markt sind. Solche, die zumindest Kunden haben und sich das Know-how zusammenkaufen und solche, bei denen sowohl die Kunden als auch das Know-how noch unsicher sind. Schließlich gibt es noch die große Gruppe der Zulieferer für den Bau der Fabriken. Denn eine Batteriezellproduktion kann nur zum Laufen bringen, wer die Technik und die Prozesse zur Herstellung beherrscht – und diese auch weiterentwickeln kann. Eine Disziplin, in der die deutschen Anlagen und Maschinenbauer große Chancen haben. Die Gesetzten: Koreaner und Chinesen Angefeuert von dem Schwenk der Autoindustrie zur Elektromobilität haben die koreanischen Konzerne LG Chem und Samsung in Polen und Ungarn bereits vor Jahren mit dem Bau von Zellfabriken begonnen, Abnehmer ist vor allem der VW-Konzern, aber auch BMW. Die Koreaner haben ihr Wissen zu den Energiespeichern über die Produktion von Handy- und Laptop-Akkus aufgebaut. Der Sprung zu den größeren Autobatterien war für sie keine große Hürde. Zwar kämpfte LG Chem Anfang 2020 mit Qualitätsproblemen und sorgte für Produktionsstopps bei Audi. Doch das verbucht die Branche unter Kinderkrankheiten. „Die Koreaner bringen ihre Anlagen und Spezialisten von zu Hause mit, das ist ein Closed Shop“, sagt ein deutscher Automanager. „Die meisten übertragen den Prozess aus ihren Stammwerken und duplizieren die eigene Fabrik. Das minimiert die Risiken und Fehleranfälligkeit“, sagt Bernhart. Auch der chinesische BMW-Partner CATL gilt als technisch verlässlich und solide finanziert. Unklar ist die Lage beim Daimler-Partner Farasis: Die 2020 geschlossene strategische Partnerschaft zwischen Daimler und dem chinesischen Zellproduzenten kommt nicht richtig in Schwung. Zwar dementiert das Unternehmen Qualitätsprobleme, der Zeitplan für die geplante Gigafabrik in Bitterfeld-Wolfen ist aber nicht zu halten. „Das dauert länger als ursprünglich geplant“, erklärte Farasis im September. Kurz darauf verkündete Daimler seinen Einstieg in das Batteriezellen-Konsortium ACC. In Stuttgart fährt man lieber zweigleisig. Die Ambitionierten: Europäische Projekte mit Geld, Know-how und Kunden ACC gilt mit der Beteiligung der Peugeot-Mutter Stellantis und dem französischen Batterieproduzenten Saft als ein Erfolg versprechender Player. Hier stimmen Finanzierung und Kundschaft, das Know-how wird bei Saft gebündelt. Hier werde zwar mit „heißer Nadel“ gearbeitet, aber durchaus wirkungsvoll, sagen Branchenkenner. Unter den Start-ups gilt Northvolt als ein weiterer Kandidat, der es schaffen kann. Das Unternehmen wurde 2015 von zwei ehemaligen Tesla-Managern gegründet und nimmt derzeit eine erste Produktion in Nordschweden in Betrieb. Ein zweites Großprojekt ist als Joint Venture mit Volkswagen vereinbart. Beide Unternehmen wollen ab 2023 in Salzgitter Batteriezellen in Serie produzieren, bis zu 40 Gigawatt Kapazität sind geplant. Northvolt hat sich das Wissen über die Zellchemie und die Produktionsprozesse über Spitzenkräfte aus Japan und Korea zusammengekauft, sagen Experten. „Das kann der Schlüssel zum Erfolg sein“, sagt Berater Bernhart. „Aber nicht alle kriegen diese Leute – Stichwort Fachkräftemangel. Die haben sehr spezifisches Know-how, das es so vor ein paar Jahren gar nicht gab.“ Das Risiko eines Überangebots hält Volkswagen für begrenzt. „Die Automobilindustrie hat bis 2030 einen Bedarf von rund 30 großen Zellfabriken in Europa“, teilt der Autobauer mit. Im Juli 2021 ist Volkswagen daher zusätzlich eine Partnerschaft mit dem chinesischen Batterieunternehmen Gotion eingegangen. Die Aufgabenteilung: Mit Northvolt wolle man das Premiumsegment beliefern, Gotion soll VW bei der Entwicklung der Einheitszelle für das Volumensegment unterstützen. Bis 2025 soll ein entsprechendes Werk in Salzgitter stehen. „Salzgitter wird in der ersten Ausbaustufe 20 Gigawatt pro Jahr fertigen, eine Erweiterung auf 40 Gigawatt ist möglich“, teilt der Konzern mit. Koordiniert wird das Projekt von Thomas Schmall, Technikvorstand bei Volkswagen. Der Weg zur eigenen Batteriefabrik gestaltet sich für den Konzern offenbar schwierig. Für die Zellfertigung werden spezielle Maschinen benötigt. Doch Anlagen- und Maschinenbauer aus Europa hätten nur fünf Prozent von Schmalls Wünschen erfüllen können, hieß es zuletzt in einem Bericht des „Manager-Magazins“. Zu wenig, um sich von asiatischen Zulieferern unabhängig zu machen. Das Problem: Geht eine Maschine für die Batteriezellfertigung kaputt, kann es mitunter Wochen dauern, bis aus dem fernen Osten Ersatz geliefert wird. Das Risiko von unerwartet langen Produktionsstillständen wäre immens. Dass Anlagenbauer und Start-ups mehr versprechen, als sie liefern können, will der Autobauer aber nicht so stehen lassen. „Wir sind überzeugt, dass europäische Anlagenbauer die Chance haben, ihr Know-how auch in den neuen Feldern zu nutzen und eine bedeutende Rolle im Aufbau der Batteriezellfertigungen in Europa zu spielen“, sagt Sebastian Wolf dem Handelsblatt. Der Ingenieur ist im August vom chinesischen Batteriezellenhersteller Farasis zu Volkswagen gewechselt. Dort verantwortet er den Aufbau von VWs Batteriefabriken in Skelleftea und Salzgitter. Wolf zufolge entstehe derzeit eine europäische Lieferkette mit bekannten und neuen Akteuren, die sich genau so auf das Thema Zellherstellung spezialisieren würden, wie die asiatischen Anlagenbauer es getan hätten. Beispielsweise könnten Firmen ihre Maschinen, die derzeit Papierprodukte stapeln, so weiterentwickeln, dass diese künftig auch das Stapeln von Elektroden in der Zelle beherrschen, sagt Wolf. Der VW-Batteriespezialist ist sich daher sicher. „Europa wird zum Herausforderer im globalen Batterie-Wettrennen.“ Doch dafür müssen die Produktionskosten stimmen – derzeit eine zentrale Debatte bei Volkswagen. Vorstandschef Herbert Diess hatte zur Vorlage der Zahlen für das dritte Quartal einmal mehr angemahnt, dass Volkswagen effizienter werden müsse. Bislang sind die Produktionskosten vor allem in Deutschland zu hoch. Vorbild der Branche ist Tesla. Die Wackelkandidaten: Projekte mit großen Ankündigungen aber fehlenden Partnern Die dritte Gruppe entfällt auf Vorhaben, denen Experten eher vage Erfolgsaussichten attestieren. Das liegt auch daran, dass viele dieser Projekte erst am Anfang stehen. Dazu zählt Morrow und Freyr in Norwegen, oder Italvolt in Italien. Hier fehlen bislang die Großabnehmer in der Autoindustrie, bisher gibt es wie bei Freyr nur „Diskussionen“ über mögliche Partner. Das gilt auch für Italvolt, ein im Februar angekündigtes Großprojekt mit der Absicht „die größte Gigafabrik Europas“ bauen zu wollen. Fehlen die Kunden, wird es schwer die benötigten Fachkräfte und Gelder zu beschaffen. Doch selbst wenn man die Fachleute bekommt und die Maschinen und Anlagen zusammenkauft, ist die Produktion noch lange nicht gesichert, warnen Experten. „Das Problem ist nachher die eigentliche Prozessführung“, sagt Bernhart. Da fehle es vielen Unternehmen aus der zweiten Reihe an Erfahrung. Deshalb kommt den Zulieferern und Anlagenbauern eine besondere Rolle zu. Die Schlüsselrolle der Zulieferer Eine Batteriezelle besteht aus Anode und Kathode, flüssigen Elektrolyten und trennenden Separatoren. Für die Herstellung braucht man Prozesse zum Beschichten und Wickeln der Folien, zum Mischen der Elektrolyte und zur Fertigung der Zelle. Für jeden einzelnen Prozess gibt es Anbieter aus Asien, aber auch sehr viel Expertise im deutschen Maschinenbau. Die Laser von Trumpf zum Beispiel, die Walzen von Breyer oder die Automatisierungstechnik von Manz und Dürr. „Die Frage für die Deutschen ist, wie gut ist ihre Technologie, wie beherrschen sie das Zusammenspiel und wie können sie sich am Markt durchsetzen“, sagt Exyte-Chef Wolfgang Büchele dem Handelsblatt. Exyte ist ein Spezialist für Reinraumanlagen für die Halbleiterindustrie und hat nun für CATL die Zellfertigung in Erfurt geplant. Prozesshygiene ist entscheidend, Batteriefabriken müssen „Dryrooms“ sein. Bei Feuchtigkeit kann sich Lithium-Ionen-Material leicht entzünden – und das ist nur eine der Tücken der Zellfertigung. Anders als beispielsweise in der Produktion von Computerchips lässt sich bei Batterien die Qualität des Produktes erst am Ende kontrollieren. Fehler im Prozess führen also gleich zu teurem Ausschuss. Büchele sieht vor allem Probleme bei den Start-ups, allein weil sie bis zur Massenproduktion viel zu lange brauchen werden. Aber selbst für die großen Projekte scheint die Zeit bereits sehr knapp: „Wenn wir wirklich 2030 die erforderlichen Kapazitäten haben wollen, dann müssen wir jetzt anfangen. Denn 2030 ist übermorgen.“ Die europäischen Projekte müssten sich sputen, sagt auch Christoph Theis. Der Mitgründer der Unternehmensberatung P3 berät sowohl europäische als auch asiatische Kunden . „Es werden noch viel mehr asiatische Batteriezellfertiger kommen“, sagt Theis. „Die chinesischen Anlagen sind auch hochflexibel“, betont der Exyte-Chef Büchele. Fertige Anlagen liefert beispielsweise Wuxi Leads, die aggressiv in jede Ausschreibung gehen. Doch für die Betreiber gibt es dann ein Problem: Der Produktionsprozess ist ohne chinesische Hilfe nicht so einfach zu verändern. Allerdings sind die Claims noch nicht abgesteckt. Anlagenbauern und Automatisierungstechnikern wie Manz oder auch Dürr wird zugetraut, dass ihre Maschinen für die Batteriezellfertigung funktionieren. Die beste Technologie zum Schweißen in Batteriezellen kommt mit den grünen Lasern von Trumpf. „Der Bereich entwickelt sich sehr erfreulich“, sagt Technikchef Peter Leibinger. Aber vor allem, weil chinesische Maschinenbauer die grünen Laser kaufen und in ihren Anlagen verbauen. Berater Theis sieht kein Problem darin, wenn dann in einem achtstufigen Produktionsprozess einer Batteriezelle zwei oder drei Stufen mit asiatischen Maschinen bestückt sind. Aber Theis verweist auf einen entscheidenden Punkt: „Wenn die Batterieprojekte auf Dauer in Europa erfolgreich sein sollen, dann muss die Lieferkette stimmen.“ Bei CATL kommen 85 Prozent der Wertschöpfung aus Asien. Mit BASF bei der Kathode und Wacker bei der Anode sieht Theis hervorragende Lieferanten bei den Elektroden. Von anderen Chemieunternehmen ist der Berater hingegen tief enttäuscht. „Da muss mehr kommen, sonst haben wir hier „taube Fabriken“. Er meint: Fabriken, die zumindest die deutsche Industrie nicht weiterentwickeln kann. Der unterschätzte Faktor: Lithium als Mangelware Ende Oktober stieg der Preis für eine Tonne Lithiumcarbonat auf 26.000 Dollar, das ist fast doppelt so viel wie vor der Coronapandemie 2019. Der rapide Preisanstieg des für die Zellproduktion wichtigen Leichtmetalls könnte damit alle Hoffnungen auf sinkende Preise für Batteriezellen zunichtemachen. Für den Standort Europa bekommen deshalb auch exotische Projekte eine neue Bedeutung. Das Start-up Vulcan Energy will im Oberrheingraben Lithium fördern. Renault hat sich ab 2026 bereits jährlich 17.000 Tonnen Lithium bei Vulcan gesichert. Mit dieser Menge könnten immerhin schätzungsweise rund 1,3 Millionen Elektrofahrzeuge mit Batterien ausgestattet werden. Vulcan Energy will der weltweit erste Hersteller von Zero Carbon Lithium sein, den Lithium-Abbau also ohne Treibhausgasemissionen anbieten. Das ist wichtig für Renault: Ziel der Franzosen ist es, die „nachhaltigsten Fahrzeuge“ zu bauen. Das Besondere an Vulcan Energy ist die Art und Weise der Lithiumgewinnung: Statt der wasserintensiven Minenförderung will das Start-up Lithiumvorkommen im Oberrheingraben im Südwesten Deutschlands mithilfe des Geothermie-Verfahrens heben. Dabei wird mit einer Förderpumpe heißes Thermalwasser aus einer Tiefe von drei bis vier Kilometern an die Oberfläche gepumpt. Das in diesem Wasser enthaltene Lithiumhydroxid wird extrahiert, das Wasser selbst wieder zurückgepumpt. Nach Schätzungen von Geologen birgt die Region im Südwesten Deutschlands genug Lithium für mehr als 400 Millionen Elektroautos. Vor Renault hatte sich bereits der koreanische Batteriehersteller LG Chem Kontingente bei Vulcan gesichert. Eine enge Verzahnung vor Ort mit den Rohstoff- und Komponentenlieferanten bringt Kostenvorteile und sorgt dafür, dass die Zellproduktion langfristig auch in Deutschland wettbewerbsfähig sein kann: Je enger eine Produktion mit der Lieferkette verwoben ist, desto unwahrscheinlicher ist es, dass eine Produktion wegen Standortnachteilen wie hoher Energie- oder Arbeitskosten wieder abwandert. Ausblick: Ist Lithium-Ionen-Technologie die Zukunftstechnik? „Wenn wir uns in zehn Jahren diese Landkarte angucken, dann wird die sehr ausgedünnt sein“, sagt Roland-Berger-Berater Wolfgang Bernhart mit Blick auf die in Europa angekündigten Batterieprojekte. Neben den Überkapazitäten dürften vor allem den europäischen Start-ups der Mangel an Know-how und an Rohstoffen zu schaffen machen. Batteriezellenfertigung ist vom Prinzip her nicht kompliziert, die Serienfertigung zu konkurrenzfähigen Kosten und Qualitäten schon. Hinzu kommt die Notwendigkeit zum Recycling: Nur wer die Wiederverwertung der Batterien bei der Produktion mitdenkt, wird langfristig eine Chance haben. Fördergelder allein reichen nicht: Man braucht Zulieferer, Fachkräfte, Rohstoffe wie Lithium und Abnehmer in der Autoindustrie. Die Autohersteller selbst werden aber auf sinkende Preise bei Lithium-Ionen-Batterien pochen und keine nationalen Rücksichten nehmen – dazu stehen sie selbst zu stark unter Wettbewerbsdruck. Unklar ist zudem, wie lange Lithium-Ionen noch die beherrschende Technik für die Elektromobilität sein wird. „Wir befinden uns im letzten Drittel des Lithium-Ionen-Hubs“, sagt BMW-Entwicklungsvorstand Weber. Bis Ende des Jahrzehnts werde es noch einen großen Effizienzsprung geben, dann werde die Entwicklung stagnieren. Genau dann wird die Produktion von Lithium-Ionen-Batterien aber ihren Höhepunkt erreicht haben. Weber gehört zu denen, die auf einen Technologiesprung wetten. BMW setzt wie Ford, Renault und Volkswagen auf den Durchbruch der Feststoff-Batterie. Hier wird das flüssige Elektrolyt durch Keramiken ersetzt. Der Vorteil: Feststoffbatterien sind kompakter, halten länger und können mehr Energie aufnehmen. Der Nachteil: Sie funktionieren bislang nur im Labor, die Alltagstauglichkeit ist ebenso unklar wie die Kosten. Ab 2025 wollen die ersten Hersteller mit Prototypen auf den Markt gehen. Sollte sich die Technik durchsetzen, müssten aber 2030 die Karten der Batterieproduktion ohnehin neu gezeichnet werden. Feststoffbatterien brauchen neue Prozesse und neue Fabriken.