Saturday, January 6, 2024

US-Bürger verlieren Vertrauen in Präsidenten: „Biden hat ein größeres Problem als sein Alter“

Tagesspiegel US-Bürger verlieren Vertrauen in Präsidenten: „Biden hat ein größeres Problem als sein Alter“ Artikel von Christoph von Marschall • 13 Std. Die Wähler denken, dass es ihnen unter Trump besser ging und der in entscheidenden Sachgebieten kompetenter ist, sagt Ex-Präsidentenberater Sosnik. Hier spricht er über Bidens Schwächen. Was ist die größte Sorge der US-Demokraten mit Blick auf die Wahl 2024? Das Alter des Amtsinhabers und seine Fitness, heißt es zumeist. Joe Biden ist 81 Jahre alt. Seine Bewegungen wirken steif. Er verspricht sich mitunter oder vergisst etwas. Aber, so sprechen sich die Demokraten Mut zu: Wenn Biden altersgemäß fit bleibt und er nicht erneut über Sandsäcke auf der Bühne stolpert, dann wird er doch wohl Donald Trump schlagen. Hat er 2020 schließlich auch geschafft. Trump ist nur wenige Jahre jünger, zudem ziemlich unbeliebt und hat mehrere Prozesse am Hals wegen seines Umgangs mit der Demokratie und dem Rechtsstaat. An Trumps Rolle beim Sturm auf das Kapitol am 6. Januar vor drei Jahren erinnerte Biden die Nation in einer Rede zum Auftakt des Wahljahres am Freitagnachmittag (Ortszeit) in Valley Forge, Pennsylvania - einem legendären Ort des Unabhängigkeitskriegs gegen Großbritannien, wo im Winter 1777/78 das Überleben der jungen Demokratie USA auf dem Spiel stand. „Am 6. Januar hätten wir Amerika beinahe verloren“, sagte Biden. 2024 „steht die Demokratie auf dem Wahlzettel. Eure Freiheit steht auf dem Wahlzettel.“ Der MAGA-Extremismus in der Republikanischen Partei ist eine existenzielle Gefahr für die Demokratie. Joe Biden, US-Präsident. In einem parallel veröffentlichten Wahlkampfvideo warnte Biden unter Bezug auf Trumps Bewegung „Make America Great Again“ (MAGA): „Der MAGA-Extremismus in der Republikanischen Partei ist eine existenzielle Gefahr für die Demokratie unseres Landes.“ Scholz glaubt an Bidens Sieg Darauf, dass Biden Trump 2020 besiegt hat und das wiederholen kann, setzen auch Europäer, die eine zweite Trump-Präsidentschaft fürchten, ihre Hoffnungen. Bundeskanzler Olaf Scholz hält es für unwahrscheinlich, dass Donald Trump erneut US-Präsident wird. Es sei „plausibler, dass Präsident Biden wiedergewählt wird“, behauptete er vor wenigen Monaten. Ex-Präsidentenberater Doug Sosnik warnt vor solchem Wunschdenken. „Joe Biden hat ein größeres Problem als die Fitness“, sagt der den Demokraten nahestehende Experte. Er war mehrere Jahre Bill Clintons Chefstratege, managte den Wahlkampf des Präsidentschaftskandidaten John Kerry und berät Spitzenpolitiker und Fortune-100-Unternehmen. Seine Spezialität: aus der Analyse einer Vielzahl von Umfragen die relevanten Grundströmungen herausfiltern. „Viele Wähler haben das Vertrauen in Joe Biden verloren. In entscheidenden Sachgebieten halten Mehrheiten Trump für kompetenter als Biden. Eine Mehrheit meint: Unter Trump ging es uns besser als jetzt unter Biden. Biden verliert auch den Kampf um die Narrative“, zählt Sosnik seine Bedenken auf. Trump wird die größere Sachkenntnis zugeschrieben? Das klingt für viele Deutsche überraschend. In ihren Augen ist er der Fake-News-Prediger. Und Biden der vielleicht langweiligere, aber verlässlichere Präsident. Wer kann Jobs, Migration, Außenpolitik besser? Den Ausschlag im US-Wahljahr gibt jedoch die Wahrnehmung der Wähler dort. Mitte Oktober war Sosnik Gast der American Academy Berlin. Unbarmherzig führte er das überraschte Berliner Publikum durch die Grafiken zum Meinungsbild in den USA. Wer kann Herausforderungen im Bereich Wirtschaft besser lösen? 52 Prozent geben Trump den Vorzug vor Biden (28 Prozent). Wer schafft mehr neue Jobs? 49 zu 30 für Trump. Inflation? 50 zu 27 pro Trump. Migration? 52 zu 28 pro Trump. Auch bei der Außenpolitik liegt Trump vorn, 43 zu 38. In den Augen der Amerikanerinnen und Amerikaner hat Biden einen klaren Kompetenzvorsprung nur bei Themen wie Abtreibung, 43 zu 34 Prozent. In der Klimapolitik, 44 zu 24. Sowie bei Medicare und Social Security, 39 zu 37. Biden hat die schlechtesten Werte eines Amtsinhabers seit Jahrzehnten. Doug Sosnik, Ex-Präsidentenberater. In den Monaten seither ist das Meinungsbild „nicht besser für Biden geworden. Als ich im Oktober in Berlin war, war es ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit einem leichten Vorteil für Biden, weil die Wirtschaftsdaten sich verbesserten“, analysiert Sosnik. „Heute würde ich von einem engen Rennen mit Vorteil für Trump sprechen.“ Im Schnitt der Umfragen sind nur 40 Prozent zufrieden mit dem Präsidenten, 56 Prozent unzufrieden. Zwei Drittel sehen das Land auf dem falschen Weg. Bei den Wahlabsichten liegt Trump mit 46,5 Prozent vor Biden (44,3). „Biden hat die schlechtesten Werte eines Amtsinhabers seit Jahrzehnten“, ordnet Sosnik das ein. Der Trend macht Trump zum Favoriten. Doug Sosnik, Ex-Präsidentenberater. Er verweist auf seine 40 Jahre Erfahrung mit Präsidentschaftswahlen. „Noch wichtiger als aktuelle Umfragezahlen sind längerfristige Trends. Entscheidend für die Wiederwahlchancen des Amtsinhabers sind die Trends im dritten und vierten Quartal des dritten Amtsjahrs sowie im ersten und zweiten Quartal des vierten Amtsjahres. Bidens Trend ist negativ. Das macht Trump zum Favoriten.“ Trump habe zudem ein besseres Gespür, welche Themen und Narrative die Bürger interessieren. „Biden ist es bis heute nicht gelungen, sein Amt als Megaphon zu benutzen und eine Erzählung mit seiner Präsidentschaft zu verbinden, die bei den Wählern verfängt.“ Bedeutet das: Biden verliert wahrscheinlich die Wahl und Trump wird 2024 wieder Präsident? So weit möchte Sosnik in seiner Prognose jetzt nicht gehen. „Es ist noch lange Zeit bis zum Wahltag. Biden sitzt in einem tiefen Loch, aber es können auch positive Entwicklungen eintreten.“ Zudem gebe es weitere Motivationen, die Wähler dazu bringen – oder davon abhalten – können, einem Kandidaten ihre Stimme zu geben: Sympathie und Antipathie. Die Risikoabwägung, wer von beiden gefährlicher für die US-Demokratie ist. Oder, wer US-Interessen im Fall eines Kriegs mit China energischer verteidigt. Trumps Strategie: Wahl als Referendum über Biden Nach Sosniks Meinung wird bei der Wahl 2024 entscheidend sein, welche Frage die Wähler beider Lager am ehesten mobilisiert und welche Rolle Drittkandidaten spielen. Biden und Trump sind in den Augen der Mehrheit nicht populär. Es geht weniger darum, wer der Bessere ist, als darum, wer das kleinere Übel ist. „Trump möchte die Wahl zu einem Referendum über Bidens Präsidentschaft und dessen Schwächen machen.“ Wenn ihm das gelingt, verliert der Amtsinhaber. Rückt der Kompetenzvergleich in den Fokus, verliert Biden ebenfalls. Bidens Strategie: Trump bedroht die Demokratie Umgekehrt versucht Biden, die Person Trump – samt der Gefahr für Amerikas Demokratie –, in das Zentrum der Debatte zu rücken. Wenn das gelingt und „der Amtsinhaber den skeptischen Wählern das Gefühl vermittelt, es ist okay, Biden zu wählen, auch wenn wir ihn eigentlich nicht mögen, kann er die Wahl gewinnen“, sagt Sosnik. Aber: Trump kann auf deutlich mehr Enthusiasmus bei seinen Anhängern zählen als umgekehrt Biden. 57 Prozent der Wähler, die sich bereits für Trump entschieden haben, stimmen für ihn, weil sie ihn als Präsidenten haben möchten. Nur 36 Prozent nennen als Motiv, dass sie Biden verhindern wollen. Bei den Biden-Wählern ist es umgekehrt: 58 Prozent wollen Trump verhindern und deshalb ihr Kreuz bei Biden machen. Nur 38 Prozent bezeichnen ihre Stimme als ein Ja zu Biden. Warum die Warnung vor Trump nur begrenzt wirkt So gesehen stehen die Chancen zwar gar nicht so schlecht, dass die Demokraten die Person Trump und die Gefahr für die Demokratie zum Hauptthema des Wahlkampfs machen können. Aber auch diese Hoffnung hat einen Haken. „Die große Mehrheit hält das politische System für zerbrochen und hat kein Vertrauen mehr in die Institutionen“, erläutert Sosnik. „Auch deshalb haben die Prozesse gegen Trump, seine extremen Positionen und seine Brandstifter-Rhetorik ihm bei der Kandidatenkür bei den Republikanern und im Wettbewerb mit Biden bisher so wenig geschadet.“ Wenn Trump allerdings „vor dem Wahltag wegen einer Straftat verurteilt würde, kann das Biden den Sieg bringen, weil sich nicht-parteigebundene Wähler und einige Republikaner dann von Trump abwenden.“