Wednesday, January 17, 2024
Klöckner harkt in Nachbars Vorgarten: Ex-Agrarministerin biedert sich bei Bauern an
Tagesspiegel
Klöckner harkt in Nachbars Vorgarten: Ex-Agrarministerin biedert sich bei Bauern an
Artikel von Christiane Rebhan •
1 Std.
Die Auftritte von Ex-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner bei den Bauernprotesten sorgen für Unmut in den eigenen Reihen.
Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, dass Staatssekretäre und Minister nach ihrem Ausscheiden aus dem Kabinett nicht mehr in ihren bekannten Fahrwassern angeln und die Arbeit ihrer Nachfolger nicht unmittelbar angreifen. Nach der Bundestagswahl 2021 haben sich viele Unionspolitiker deshalb neue Zuständigkeitsbereiche gesucht: Ex-Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) engagiert sich in der Energiepolitik, Ex-Verkehrsstaatssekretär Steffen Bilger (CDU) beackert jetzt den Bereich Landwirtschaft.
Bricht jemand mit dieser eingeübten Vorgehensweise, wird er von der Gegenseite – in diesem Fall den Ampel-Parteien – skeptisch beäugt. Die ehemalige Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) hat es geschafft, sich sogar von Teilen ihrer eigenen Fraktion kräftiges Stirnrunzeln einzufangen.
In einer Sendung mit ihrem Nachfolger Özdemir
Im Zuge der Bauernproteste war Klöckner, inzwischen wirtschaftspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Fraktion, mehrmals prominent in Erscheinung getreten. Unter anderem im ZDF-Morgenmagazin. Dort wurde sie sogar in einem Atemzug mit ihrem Nachfolger angekündigt.
Die Schalte soll am Rande der CDU-Bundesvorstandsklausur am vergangenen Wochenende Thema gewesen sein. Mancher beklagte falschen Stil oder ging sogar so weit zu behaupten, Klöckners Auftritt schade der Glaubwürdigkeit der CDU bei den Bauern.
Freilich führt Klöckners Positionierung zu Wortgefechten mit dem amtierenden Landwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne), der den Regierungsbeschluss zum Agrardiesel gegen Kritik verteidigte. Das Problem sei, dass vorherige Regierungen viel versprochen und wenig gehalten hätten.
Der Karren ist so tief im Dreck, um mal bildlich zu sprechen, dass wir alle miteinander arbeiten sollten und jetzt nicht so sehr Parteipolitik machen sollten, wie es meine Vorgängerin vorher gemacht hat.
Cem Özdemir, Bundeslandwirtschaftsminister
„Der Karren ist so tief im Dreck, um mal bildlich zu sprechen, dass wir alle miteinander arbeiten sollten und jetzt nicht so sehr Parteipolitik machen sollten, wie es meine Vorgängerin vorher gemacht hat“, sagte Özdemir.
Wegen knapper Kassen will die Ampelregierung Schritt für Schritt die Steuerhilfen beim Agrardiesel abschaffen. Im Ministerium ist man erwartungsgemäß nicht begeistert von den Meinungsäußerungen der ehemaligen Hausherrin: Klöckner habe schließlich vier Jahre lang Zeit gehabt, Agrarpolitik nach ihrem Gusto zu gestalten, heißt es, die CDU-Politikerin verbreite Unwahrheiten.
Verwandtes Video: Eklat bei Bauernprotesten in Deggendorf (glomex)
In Klöckners Amtszeit als Landwirtschaftsministerin rollten auch Traktorenproteste
Bei den eigenen Leuten erntet die Politikerin mitunter sogar Mitleid. „Sie tut sich damit keinen Gefallen“, sagen Freunde in ihrer Fraktion, die verwundert über Klöckners Engagement sind, da sie bei jedem Auftritt natürlich auf die Versäumnisse in der eigenen Amtszeit angesprochen wird.
Sie musste Kritik von Naturschützern, Verbraucherschützern und den Grünen ebenso wie von konservativen Agrarpolitikern in der Unionsfraktion ertragen. Wegen ihrer Dauerfehde mit der damaligen Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) um den Insektenschutz und die EU-Agrarreform sei Klöckner „in ihren Möglichkeiten beschränkt“ gewesen, sagt ein Abgeordneter.
Es wird deutlich, dass der Stachel bei der Ex-Agrarministerin noch tief sitzt. Denn die selbsternannte „Lobbyistin für die Bauern“ hatte in ihrer Amtszeit ebenfalls bis zu 5000 Traktoren und wütende Landwirte vor ihrem Ministerium stehen. Deshalb fürchten Bundesvorstandskollegen heute um die Glaubwürdigkeit bei den Bauern, wenn Klöckner sich zu deren Retterin aufschwingt.
Aus Klöckners direktem Umfeld heißt es, ihr Fachwissen im Bereich Landwirtschaft sei von der Fraktionsspitze ausdrücklich nachgefragt worden, was dort gegenüber dem Tagesspiegel allerdings niemand bestätigen will. Dem deutlich unbekannteren agrarpolitischen Sprecher der Unionsfraktion, Albert Stegemann, bleibt statt des Morgenmagazins nur die Agrarzeitung als Plattform. Die Ex-Ministerin ist eben die medienaffinere Gesprächspartnerin.
Die Bad-Kreuznacherin stammt aus einer Winzerfamilie
Unbestritten ist, dass die Wirtschaftspolitikerin aus einer Winzerfamilie stammt und dadurch viele Abläufe und bürokratische Hürden, über die Landwirte klagen, von der Wiege auf kennt. Im Fernsehen forderte sie Özdemir deshalb auf, Politik zu machen, die „mit der Realität der Bauern und Bäuerinnen zu tun hat“.
Und der Bauernverband, für dessen Demonstranten die Ex-Ministerin am Montag fleißig Kaffee ausschenkte? Die Bauern stört die anbiedernde Geste wenig. Es müsse jeder Abgeordnete selbst entscheiden, wie er sich gebärde. Schließlich wolle die Bad Kreuznacherin wiedergewählt werden, hört man.
Zudem musste DBV-Präsident Joachim Rukwied in den vergangenen Wochen für so manche Selbstinszenierung von CDU/CSU-Politikern herhalten, wie zum Beispiel den Auftritt der CSU-Landesgruppe im Kloster Seeon.