Thursday, January 11, 2024

Kanzler Scholz in der Krise: „Er kann es nicht, er ist zu schwach, er kommuniziert falsch“

Tagesspiegel Kanzler Scholz in der Krise: „Er kann es nicht, er ist zu schwach, er kommuniziert falsch“ Artikel von Daniel Friedrich Sturm • 18 Std. In der SPD rumort es: Die Partei muss 2024 historische Wahlschlappen fürchten. Ein Aufstand gegen Olaf Scholz ist nicht in Sicht – doch der Frust ist groß. Ob sich die SPD mit den Namen der Veranstaltungsorte, mit denen sie in die Sitzungszeit nach der Weihnachtspause startet, einen Gefallen getan hat? Zu Spott jedenfalls lädt es ein, wenn am Mittwochabend ein Treffen des SPD-Fraktionsvorstandes im Berliner Lokal „Koko & Lores“ auf dem Programm steht. „Deep“ – zu Deutsch: tief – heißt der Keller im Berliner Bötzow-Gelände, an dem die gesamte SPD-Bundestagsfraktion am Donnerstagabend feiern will. Jene Räume liegen im zweiten Tiefgeschoss, sind, der Selbstdarstellung nach, „das Herzstück“ eines „unterirdischen Event-Ensembles“. Eine Anspielung auf die im Keller befindlichen Umfragewerte der SPD? In einer angespannten Lage kommen die SPD-Bundestagsabgeordneten zu Beginn des Parlamentsalltags im neuen Jahr zusammen. In Umfragen steht die SPD bei rund 15 Prozent, Kanzler Olaf Scholz (SPD) ist unbeliebt, die Ampel-Koalition noch unbeliebter, die Stimmung im Land ist miserabel, die Inflation steigt wieder. In diesem Jahr drohen den Sozialdemokraten krasse Wahlniederlagen, womöglich gar ein erstmaliges Scheitern an der Fünf-Prozent-Hürde in einem Bundesland, vielleicht in Sachsen. Schon die Europawahl im Juni dürfte der SPD, die dort traditionell schlecht abschneidet, eine Schlappe bescheren. In der SPD rumort es. Am Montag fielen binnen weniger Stunden gleich drei SPD-Ministerpräsidenten dem Kanzler beim Versuch, den Bauern eine einzelne Subvention zu streichen, in den Rücken. Nach einer Insa-Umfrage für die „Bild“ wollen fast zwei Drittel der Deutschen, dass Scholz sein Amt als Kanzler an Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) abgibt. Die Stimmung ist nervös in der SPD „Mehr Zuversicht wagen“ – unter diesem Motto werden die Abgeordneten an diesem Donnerstag im Fraktionssaal mit Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD), Verfasser eines gleichnamigen Buches, diskutieren. Zuversicht kann die SPD gut gebrauchen. Mit diversen Papieren bereiten sich die Abgeordneten auf die am Montag beginnende erste Sitzungswoche des Bundestages im neuen Jahr vor. In einem Papier präsentieren sie ihre alten Kamellen, indem sie eine rasche Reform der Schuldenbremse verlangen (was weder der Kanzler noch der Koalitionspartner FDP will). Ihre Nervosität können die wenigsten Abgeordneten noch verbergen. Axel Schäfer, einer der dienstältesten SPD-Parlamentarier, wandte sich mit einer Art Weckruf an seine Fraktionskollegen. „Die SPD, die Regierung und die Demokratie insgesamt stehen unter enormen Druck. Elf Prozent minus – so viel sind bei Umfragen die aktuellen Ergebnisse für die SPD, 14 bis 15 Prozent zu 25,7 Prozent bei der Bundestagswahl 2021“, schreibt Schäfer in einem Brief an seine Kollegen, der dem Tagesspiegel vorliegt. Es geht heute um die Existenz der SPD als Mitglieder-Partei und als mehrheitsfähige und mehrheitswillige Kraft in unserem Land. Axel Schäfer, SPD-Bundestagsabgeordneter „Eine kaum fassbare Unzufriedenheit mit der Regierungspolitik“ beklagt Schäfer und blickt pessimistisch in die Zukunft: „Die Lage im Land war 2023 aufregend ruhig und droht nun zu kippen. GdL-Streiks, Bauernproteste, ,Umsturzfantasien’ gegen die Regierung könnten zu einer gefährlichen Mischung werden.“ Natürlich gehört es zum guten Ton bei der SPD, den Koalitionspartnern die Schuld für die schlechte Performance der Ampel zuzuschieben. Doch Schäfer spricht auch von einer „defensiven, teilweise falschen Kommunikation unsererseits“. Das dürfte vor allem auf den kommunikativ eingefrorenen Kanzler zielen. „Es geht heute“, lautet ein Fazit des Abgeordneten Schäfer, „um die Existenz der SPD als Mitglieder-Partei und als mehrheitsfähige und mehrheitswillige Kraft in unserem Land. Vor einer solchen Situation haben wir noch nie gestanden.“ Den Europawahlkampf starte die SPD „unter schlechtesten Voraussetzungen, die wir je hatten“. Spitzenkandidatin für die einzige bundesweite Wahl neben der Bundestagswahl wird Katarina Barley sein, derzeit Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments. Sie führte die SPD schon in den Europawahlkampf 2019, damals magere 15,8 Prozent waren das Ergebnis. Da viele Bürger die Europawahl als Denkzettel nutzen, könnte der AfD ein Durchmarsch und der SPD ein Debakel ins Haus stehen. Barley setzt auf das Thema Rechtsstaatlichkeit, den Kampf gegen den Rechtspopulismus, die Rettung der Demokratie. Ob man damit Wähler gewinne, ist in der SPD umstritten. SPD-Bundestagsfraktionschef Rolf Mützenich will seine Partei als „Bollwerk“ gegen rechts in Stellung bringen. Mit womöglich unter fünf Prozent in Sachsen? Das alles sind, vorsichtig formuliert, keine ganz neuen Parolen. Vorteil der Unionsparteien vor der Europawahl: Sie können mit EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen werben. „Olaf Scholz steht so schlecht da wie Angela Merkel in 16 Jahren Kanzlerschaft nicht“, sagt ein SPD-Abgeordneter: „Er hat das Image: Er kann es nicht, er ist zu schwach, er kommuniziert falsch.“ Die Ampel habe schon „gefühlt 37 Mal angekündigt, aus Fehlern zu lernen“. Ein Aufstand gegen Scholz? In der SPD, zumal in ihrer arg loyalen Spitze, nicht erkennbar. Ein Trost formuliert der Scholz-skeptische Abgeordnete dann doch: „Olaf war in seinem politischen Leben schon oft tot. Und seine Nervenstärke sollte niemand unterschätzen.“