Thursday, November 30, 2023
Eine Analyse von Ulrich Reitz - Scholz versprach „Abschiebungen im großen Stil“ - Grüne verfolgen ein anderes Ziel
FOCUS online
Eine Analyse von Ulrich Reitz - Scholz versprach „Abschiebungen im großen Stil“ - Grüne verfolgen ein anderes Ziel
Artikel von Von FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz •
2 Std.
Polizeibeamte eskortieren Menschen bei einem Abschiebeflug mit einem Charterflugzeug.
Der Bundestag debattiert ein Abschiebegesetz und es zeigt sich zweierlei: Rechts und links der Mitte trennt ein tiefer Graben. Und der Bundeskanzler wird ein zentrales Versprechen, das er der Bevölkerung gegeben hat, nicht halten können.
Der Bundeskanzler hat „Abschiebungen im großen Stil“ angekündigt, und die Ampelkoalition setzt dieses Kanzler-Versprechen nun um mit ihrem Abschiebegesetz. Das nennt sie, weil das positive Ausflaggen von Gesetzen inzwischen Mode geworden ist, „Rückführungsverbesserungsgesetz“.
Es ist unehrlich, aus zwei Gründen:
Erstens lehnen die Grünen Abschiebungen weiterhin grundsätzlich ab. Deshalb schickten sie Filiz Polat im Bundestag ans Rednerpult, die dann erklärte, sie fürchte „Eingriffe in elementare Grundrechte“ durch dieses Gesetz, und darum ankündigte, man werde alle Einzelbestimmungen „genau prüfen“. Was eine Chiffre ist für: Wir werden versuchen, es zu verhindern, abzumildern, und so weiter. Was auch grundsätzlich möglich ist, denn nach dem so genannten Struckschen Gesetz hat noch nie ein Gesetz den Bundestag so verlassen wie es hineingekommen ist.
Der zweite Grund: Dieses Gesetz wird an der grundsätzlichen Problematik – ein beachtlicher Teil der Asylbewerber hat keinen Anspruch auf Anerkennung als politisch verfolgt und auch keinen Anspruch auf Abschiebeschutz per Duldung und bleibt dennoch hier – nichts ändern. Das wissen die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) und die Ampel-Innenpolitiker auch genau.
Denn wie sagte SPD-Fraktionsvize Dirk Wiese: „Nur“ mit dem Abschluss von Migrationsabkommen „werden wir die Migration stärker steuern können“. Das ist eine ungeschminkte Darstellung der Realität: Deutschland kann abschieben wollen so viel und so konsequent man auch will – findet sich für einen abgelehnten Asylbewerber kein Land, das ihn wieder aufnimmt, hat sich die Abschiebung erledigt.
Viele abgelehnte Asylbewerber verschleiern ihre Herkunft
Und es gibt viele Gründe, weshalb sich in der Regel kein Land findet: Viele abgelehnte Asylbewerber sind staatenlos – Palästinenser etwa. Wohin wollte man sie abschieben? Viele abgelehnte Asylbewerber verschleiern ihre Herkunft, auch, weil ihnen das ihre Schleuser empfehlen. Sie werfen also ihren Pass weg, und dann muss Deutschland ihnen nachweisen, woher sie kommen. Was sehr schwer ist.
Weil das in der Regel nicht klappt, gibt sich der Staat nun eine weitere und neue Ermittlungsmöglichkeit: Er erlaubt sich, die Handys der Migranten auszulesen. (Man staunt, weshalb das bis heute verboten ist). Weil viele abgelehnte Asylbewerber sich der Abschiebung durch Untertauchen entziehen, gibt sich der Staat jetzt die Möglichkeit, wenigstens auch im Nachbarzimmer von Asylunterkünften nachzuschauen (Man staunt noch einmal, weshalb das bis heute verboten ist.)
Einige Gruppen bilden eine Anti-Abschiebungsfront
Beide Maßnahmen erklären den Hinweis der Grünen Polat, das Gesetz bedeute weitgehend Eingriffe in verbriefte Menschenrechte. Tatsächlich wird der Anspruch auf das Fernmeldegeheimnis von Migranten ebenso eingeschränkt wie das der Unverletzlichkeit der Wohnung. Polat, Tochter eines voll integrierten türkischen Einwanderers, eines Arztes mit eigener Praxis, ist mit ihrer Ansicht keineswegs alleine, was auch ein Grund dafür ist, weshalb es mit den Abschiebungen nicht funktioniert.
Die beiden christlichen Kirchen, der Zentralrat der Sinti und Roma, der Deutsche Anwaltverein, NGO’s wie Pro Asyl, bilden eine Anti-Abschiebungsfront; die einen aus moralischen Gründen, andere, weil ihr Geschäftsmodell darauf beruht. Insgesamt ist diese informelle Koalition aus Abschiebungsgegnern aber stark, sie kann vor Ort, lokal und konkret, einen erheblichen gesellschaftlichen Druck aufbauen.
Damit nicht genug: Für die Grünen gibt es weitere Gründe, das Gesetz nun im parlamentarischen Verfahren vom Restriktiven ins Liberale zu verschieben, und einen davon machte Max Lucks deutlich, der sich bei seiner ersten Bundestagsrede als „schwuler Katholik“ bezeichnete.
Der Grüne Lucks, der einmal Sprecher der Grünen Jugend war und aus dem Ruhrgebiet stammt, aus Bochum, berichtete von „Schicksalen, die so nicht passieren sollten“, konkret: Von der Abschiebung von Jesiden in den Irak, „wo sie dann vom IS verfolgt werden“. Und dass, obwohl das Parlament die Verfolgung und Ermordung von Jesiden als Völkermord, als Genozid, eingestuft habe. Nirgendwo leben in der Diaspora so viele Jesiden wie in Deutschland: 200.000 Menschen, die die Vereinten Nationen als eigene Ethnie anerkannt haben.
Unterschiedliche Lageeinschätzungen von links und rechts
Grüne wie Polat lehnen Abschiebungen auch deshalb ab, weil sie dagegen sind, Menschen überhaupt gewaltsam mit der Staatsmacht zu traktieren. Polat sagt, sie setze stattdessen auf „freiwillige Rückkehr“. Das ist das eine. Das andere: Große Gruppen von Migranten kommen für Polat erst gar nicht für Abschiebungen infrage, Afghanen etwa: „Die können und wollen wir nicht abschieben.“
Einige Zeilen noch zu Nancy Faeser, die den Gesetzentwurf begründete, indem sie es ihr Staatsverständnis einbettete. Deutschland habe eine „erstaunliche Entwicklung“ genommen – vom Nationalsozialismus „hin zu einem Land, in dem Menschen Schutz suchen und das sich weltweit für Frieden einsetzt, ein solidarisches Land“.
Die Lageeinschätzung der Union beschreibt Deutschland als das glatte Gegenteil. Es gebe eine „Vertrauenskrise in die demokratische Politik“, womöglich sogar eine „Staatskrise“, so der Parlamentarische Geschäftsführer Hendrik Hoppenstedt.
Man kann es unter dem Streich so beschreiben:
Links der Mitte dominiert der Stolz auf Deutschland wegen der humanitären Leistung, sehr viele Flüchtlinge aufgenommen zu haben. Rechts der Mitte dominiert die Angst um Deutschland wegen der Vernachlässigung der staatlichen „Ordnung“ über diese humanitäre Leistung.
Dazwischen tut sich ein gesellschaftspolitischer Graben auf. In dem die FDP sitzt und laviert und versucht, sich als staatstragend und verantwortungsethisch gegen die Gutmeinenden zu behaupten.
Die Debatten um Abschiebung haben etwas sehr Symbolhaftes. Abschiebungen sind schwierig bis unmöglich, und die Debatte darüber verstellt den Blick auf eine ganz andere Erkenntnis: Ohne die Auslagerung der Asylverfahren in Drittstaaten außerhalb der Europäischen Union, wird sich der Asylmissbrauch am Ende nicht beseitigen lassen. Das freilich ist mit den Ampelparteien nicht zu machen, vor allem nicht mit SPD und Grünen.