Thursday, November 30, 2023

Alexandra Zykunov: „Was wollt ihr denn noch alles?!“

ZEITjUNG Alexandra Zykunov: „Was wollt ihr denn noch alles?!“ Artikel von Odysseas Grigoriadis • 8 Std. Wusstest du schon, dass Frauen ein 32 Prozent höheres Risiko haben, nach einer Operation zu sterben, wenn der Chirurg ein Mann war? In ihrem neuen Buch „Was wollt ihr denn noch alles?!“ richtet Alexandra Zykunov das Spotlight auf viele weniger bekannte Zahlen, Fakten und Absurditäten rund um unsere „ach-so-tolle“ Gleichberechtigung. Zur Autorin: Alexandra Zykunov ist mit ihrem Buch „Wir sind doch alle längst gleichberechtigt!“ SPIEGEL-Bestseller-Autorin geworden. Sie ist Keynote-Speakerin für Themen wie Feminismus, Care-Arbeit oder Gender Bias, Co-Erfinderin und Co-Redaktionsleiterin des Magazins Brigitte BE GREEN und Redakteurin bei der BRIGITTE. So dürfte die eingangs erwähnte Studie kaum jemandem ein Begriff sein, obwohl es für Frauen im wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod geht. Und da nur 23 Prozent aller Chirurg*innen in Deutschland weiblich sind, ist es für Frauen auch nicht unwahrscheinlich, von einem Chirurgen operiert zu werden. Sollte eine Frau dann doch mal auf eine Chirurgin beharren – weil sie doch irgendwie gerne am Leben ist – würde es sicher nicht lange dauern, bis ihr irgendein Typ Sexismus vorwirft. Was ironisch ist, weil ja Sexismus bei der medizinischen Behandlung überhaupt erst dafür verantwortlich ist. Umgekehrtes ließ sich übrigens nicht feststellen: Männer, die von Frauen operiert werden, haben kein erhöhtes Sterberisiko – ihre Heilungschancen stehen dann sogar etwas besser. Und das ist nur eines von vielen Beispielen dafür, was Frauen auch in unserer ach-so-gleichberechtigten Gesellschaft alles erdulden müssen: Hinzu kommt unter anderem noch, wie ihre Leistungen kleingeredet oder ignoriert werden, wie viel Mehrarbeit sie in ihre Karriere stecken müssen, um die gleichen Chancen wie ihre Kollegen zu haben und wie die Gesellschaft schon von klein auf ihr Selbstvertrauen zerstört. Mit Wut und Humor gegen das Patriarchat Es wäre fast schon lustig, wenn es einen nicht so unfassbar traurig und wütend zugleich machen könnte. Dieses Gefühl fängt Zykunov in ihrem Buch übrigens sehr gut ein: Es liest sich wie ein innerer Monolog – mal witzig, mal ernst, oft wütend. Immer wieder werden auch die ermüdenden Whataboutisms thematisiert, die immer dann auftauchen, wenn irgendjemand etwas auch nur im Ansatz Feministisches von sich gibt. Zu jedem dummen Kommentar findest du hier aber auch gleich eine passende Antwort, die noch dazu auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert. Überhaupt kann man loben, dass hier wirklich sehr viele Quellenangaben gemacht werden. So lässt sich ganz leicht nachverfolgen, woher die ganzen Zahlen und Fakten eigentlich kommen. Klingt in deinen Ohren etwas doch zu absurd, kannst du dich dank der Fußnoten schnell vom deprimierenden Gegenteil überzeugen lassen – yay! Ein paar Kritikpunkte gibt es da doch Das heißt nicht, dass ich das Buch perfekt finde: So wird etwa an einem Punkt im Buch (S. 82-83) behauptet, der positiv konnotierte Begriff „herrlich“ komme von Herr, also Mann, und der negativ konnotierte Begriff „dämlich“ von Dame, also Frau – ein klarer Fall von Sexismus in der Sprache. Die Ähnlichkeiten sind auf jeden Fall so verblüffend, dass es eine weit verbreitete Meinung ist. Etymologisch gesehen hat „dämlich“ aber genauso wenig mit der Dame zu tun wie „herrlich“ mit dem Herr. Gerade weil Zykunov im restlichen Buch weitaus höhere Standards setzt und viele verdammt wichtige Themen anspricht, ist so ein grober Fehler (zumindest würde ich es als solchen bezeichnen) echt schade. Des Weiteren ist es einfach nur falsch, die japanische „Manga-Kultur“ als einen „Teil der Pornoindustrie“ zu bezeichnen, wie Zykunov die „EMMA“-Redakteurin Annika Ross zustimmend zitiert (S. 59). Manga sind ein Medium – eines, welches eine Vielzahl an diversen Geschichten erzählen kann. Es gibt nicht ohne Grund eine Unterscheidung zwischen Manga (Comics), Anime (animierte Serien und Filme) und Hentai (sowohl für animierte Pornographie als auch derartige Comics). Die Übersexualisierung weiblicher Figuren in vielen Manga und Anime ist ein Thema, aber von Pornographie kann da – ganz egal, wie man es auslegt – keine Rede sein. Für wen lohnt sich das Buch? Kann ich das Buch trotz dieser Kritik weiterempfehlen? Ja, im Großen und Ganzen schon. Denn auch wenn ich mit der Autorin in einigen Punkten nicht einer Meinung bin, so heißt das noch lange nicht, dass damit das ganze Buch invalidiert wäre. Alexandra Zykunov hat hier einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, Formen sexistischer Diskriminierung zu sammeln und aufzuzeigen. Daher mein Fazit: Das Buch ist für all diejenigen, die sich anhören müssen, dass wir doch schon alle gleichberechtigt seien. Es liefert fundierte Beispiele und Zahlen, mit denen du auf die typischen Einwände antworten und so vielleicht auch die eine oder andere Person überzeugen kannst. Nicht unbedingt die Menschen, die strikt gegen Feminismus sind, aber zumindest jene, die ein offenes Ohr haben. Wenn man nämlich nicht ganz so genau hinschaut, könnte man schnell meinen, wir seien in Sachen Gleichberechtigung schon weiter, als wir es wirklich sind.