Monday, November 27, 2023
Die Irrtümer des Olaf Scholz: Sechs Gründe, warum sich niemand an ihn erinnern wird
FOCUS online
Gastbeitrag von Gabor Steingart - Die Irrtümer des Olaf Scholz: Sechs Gründe, warum sich niemand an ihn erinnern wird
Geschichte von Von Gastautor Gabor Steingart (Berlin) • 1 Std.
Bundeskanzler Olaf Scholz ist keine Führungspersönlichkeit, sondern eine Fassade aus Selbstgerechtigkeit und Trotz. Wenn er nicht zur Besinnung kommt, schadet er seiner eigenen Partei. Sechs Kanzler-Irrtümer zeigen, warum der SPD-Mann in Vergessenheit geraten wird.
Denken die Deutschen an Adenauer, Brandt, Schmidt oder Kohl, durchströmen die meisten nostalgische Gefühle. Der Pulverdampf des Parteienstreits hat sich längst gelegt. Die Verdienste dieser Kanzler, von der Westintegration bis zur Deutschen Einheit, sind von bleibender Natur.
Auch Gerhard Schröder hat den in seiner Kanzlerschaft erworbenen Respekt – trotz aller Irrungen und Wirrungen seither – konservieren können. An Angela Merkel scheiden sich zwar bis heute die Geister, was aber auch bedeutet, ein nicht unbeträchtlicher Teil der Deutschen begegnet dieser unprätentiösen Frau mit dem Gefühl von Dankbarkeit. Die Merkel-Jahre waren nicht die schlechtesten.
Womit wir bei Olaf Scholz wären. Aus heutiger Sicht wüsste man beim besten Willen nicht, ob und wofür man ihn memorieren soll. Die für ihn bittere Prognose lautet: Keiner wird ihn erinnern und – schlimmer noch – niemand wird ihn vermissen.
Nicht ausgeschlossen, dass ein Kanzler Scholz auch innerhalb der SPD bald schon als Irrtum gelten wird. Wobei dieser Irrtum eben nicht über Nacht entstanden ist, sondern wie das Sedimentgestein der Alpen sich aus vielen Teilablagerungen gebildet hat.
Irrtum #1: Olaf Scholz glaubt, er hat die Wahl gewonnen
Olaf Scholz lag im vergangenen Bundestagswahlkampf von Anfang an auf Position zwei. Die Werte der SPD rangierten bis wenige Monate vor der Wahl zwischen 13 und 16 Prozent, bis er plötzlich an der Union vorbei schoss und mit einem Vorsprung von 1,6 Prozentpunkten Bundeskanzler wurde.
Dieses Überholmanöver verdankte er dem CDU-Kandidaten Armin Laschet, der durch seinen Lacher inmitten der Flutkatastrophe und die auf offener Bühne ausgetragene Rivalität mit Markus Söder schwer verwundet in den Wahlsonntag ging. Oder anders gesagt: Olaf Scholz hat diese Wahl nicht gewonnen. Armin Laschet und die Union haben diese Wahl verloren. Aber das ist eben nicht dasselbe.
Irrtum #2: Olaf Scholz glaubt, er sei ein Staatsmann
Ein Staatsmann, so hat es Henry Kissinger für alle Ewigkeit definiert, ist ein politischer Führer, der das ihm anvertraute Volk dorthin führt, wo es vorher nie war. Mit ihm kommt – siehe Brandt und die Entspannungspolitik, siehe Helmut Schmidt und die Erfindung des Euro – das Neue in die Welt.
Der Amtsinhaber hingegen – so haben es die Professoren Klaus Mackscheidt und Guy Kirsch formuliert – ist jemand, der die Amtsgeschäfte führt. Dies mag er sehr effizient tun, doch erledigt er nur die laufenden Angelegenheiten. In ihrem Essay „Staatsmann, Demagoge, Amtsinhaber“ heißt es:
„Der Amtsinhaber sagt, was die anderen denken und – insbesondere – er sagt nicht, was die anderen nicht hören wollen. In der Regel muss erwartet werden, dass als Folge dieses Verdrängens ein Problemstau entsteht, dem irgendwann auch die solideste Abwehr, die unerschütterlichste Borniertheit nicht standhalten kann.“
Dieser Essay stammt aus dem Jahr 1986 und beschreibt doch exakt die Arbeitsweise von Olaf Scholz. Das Stoische, mit dem er durch seinen Terminkalender stampft, gibt seiner Regierungszeit eine gewisse Festigkeit. Aber in diesem Stoischen zeigt sich zugleich eine resignative Erschlaffung. Die Probleme sind größer als er selbst, weshalb er sie weiträumig umgeht.
Irrtum #3: Olaf Scholz dachte, er stehe über der Verfassung
Zusammen mit seinem sozialdemokratischen Parteifreund und Haushaltsdirektor Werner Gatzer wurde Olaf Scholz zum Vater der mittlerweile 29 Schattenhaushalte. An der Schuldenbremse und damit der Verfassung vorbei organisierte sich der damalige Finanzminister und heutige Kanzler dreistellige Milliardensummen, obwohl Juristen – extern und intern – ihn vor dieser Praxis gewarnt hatten.
Scholz aber brauchte das Geld, um alle drei Koalitionspartner befriedigen zu können. Er schuf immer neue kreditfinanzierte Nebenetats, die er kunstvoll miteinander vernetzte, so dass die Gelder von einem Becken ins nächste überschwappen konnten. Dieses Vorgehen ist illegal, wie das Verfassungsgericht jetzt feststellte. Damit verlor seine Regierung nicht nur an Reputation, sondern auch die materielle Grundlage des bisherigen Koalitionsvertrages.
Irrtum #4: Olaf Scholz denkt, er brauche die Medien nicht
Zum Regieren braucht man „Bild, Bams und Glotze“, hatte Schröder einst gesagt. Aber das ist nur der offizielle Schröder. Der inoffizielle Schröder wusste, dass er auf der linken Seite des Spektrums mediale Unterstützung braucht, um als Sozialdemokrat Kanzler werden zu können. Es sei kein Leichtes, Helmut Kohl zu schlagen, sagte er im Frühjahr 1998 beim Besuch der Bonner Spiegel-Redaktion, der ich als 28-Jähriger beigetreten war. „Ich brauche eure Unterstützung, ohne die kann ich es nicht packen“, appellierte der im Mai 1998 zum SPD-Kanzlerkandidaten gekürte Politiker in der ihm eigenen Freimütigkeit.
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Diese Unterstützung des Spiegel, auch wenn sie heute nicht mehr die härteste Währung im politischen Mediengeschäft ist, hat Scholz verloren. Auch alle anderen Medien haben sich von ihm abgewandt. Betritt Scholz eine deutsche Zeitungsredaktion, betritt er Feindesland. Der aktuelle Spiegel-Titel „Absturz eines Besserwissers“ gleicht einer Abrechnung:
„Karlsruhe hat letztlich auch ein Urteil darüber gefällt, wie Olaf Scholz Politik macht – Motto: Ich weiß, wie es geht, alle anderen haben es nur noch nicht verstanden.“
Irrtum #5: Schulz ignoriert die Kritik und hofft auf ein zweites Wahlkampfwunder
Der Kanzler reagiert nur noch zeitverzögert auf seine Außenwelt. Er hat sich hermetisch abgeriegelt. Zuweilen wirkt er wie verkapselt, beispielsweise wenn er im jüngsten Video auf Social Media mit versteinerter Miene, als habe jemand die Pistole auf ihn gerichtet, tonlos von den aktuellen Problemen erzählt, für die er leider noch keine Lösung habe. Sein Schlusssatz ist an technokratischer Kühle kaum zu überbieten:
„Das wollte ich Ihnen heute mitteilen.“
Was wir hier sehen, ist nicht eine Führungspersönlichkeit, sondern eine Fassade, gebaut aus Selbstgerechtigkeit und Trotz, zusammengehalten von den Fertigbauteilen einer Sprache, die aus dem 3D-Drucker stammen könnte.
Irrtum #6: Scholz denkt, dass Erinnerungslücken schlau sind
Im Cum-Ex-Prozess – als es für ihn darum ging, sich an ein Treffen mit den Chefs der Warburg-Bank und den Gründen für den Verzicht der Hamburger Finanzbehörde 2016 auf eine Steuernachforderung in Höhe von 47 Millionen Euro zu erinnern – hat sich Scholz ein Schweigegelübde auferlegt.
An die Gespräche bei den drei Treffen mit dem ehemaligen Warburg-Chef Christian Olearius im August 2020 kann sich Scholz nicht erinnern. Vor dem Untersuchungsausschuss zum Cum-Ex-Prozess in Hamburg sagte er im August 2022:
„Daran habe ich keine Erinnerung.“
Diese Form der Kommunikation – bei der er wie ein Winkeladvokat im Grunde verächtlich auf das Staatsvolk hinunterschaut – funktioniert politisch nicht. Die gesammelten Erinnerungslücken des Olaf Scholz sind auf dem Wählermarkt unverkäuflich.
Scholz sollte die Weihnachtstage zur inneren Einkehr nutzen
Fazit: Wenn er so weitermacht, hat Scholz keine Chance, die Stimmung für sich und die SPD zu drehen. Er sollte die Weihnachtstage zur inneren Einkehr nutzen. Oder um es mit Bertolt Brecht zu sagen:
„Wer A sagt, muss nicht B sagen. Er kann auch erkennen, dass A falsch war.“