Thursday, November 30, 2023

„Briefkopfaffäre“ in Mainz: Ist Heike Raabs Rücktritt fällig?

Frankfurter Allgemeine Zeitung „Briefkopfaffäre“ in Mainz: Ist Heike Raabs Rücktritt fällig? Artikel von Peter Voß • 14 Std. Heike Raab (SPD), Staatssekretärin und Bevollmächtigte des Landes Rheinland-Pfalz beim Bund und für Europa und Medien sowie Koordinatorin der Rundfunkkommission der Länder für das Vorsitzland Rheinland-Pfalz Es ist erfreulich, dass das Schreiben der rheinland-pfälzischen Staatssekretärin Heike Raab an die SWR-Landessender-Direktorin öffentlich (gemacht) wurde (zuerst in der F.A.Z. am 3. November) und kritisch diskutiert wird. Dass sie deshalb, wie die CDU meint, als Staatssekretärin „nicht mehr tragbar“ wäre, erschließt sich mir freilich nicht ganz. Nach meiner Lebens- und Berufserfahrung hätten da schon viele Politiker jeglicher Couleur zurücktreten müssen, weil sie Druck auf Sender und Journalisten ausgeübt haben. Das kann zwar keine Rechtfertigung sein, auch mit schlechten Sitten muss man ja mal aufräumen. Trotzdem finde ich es angezeigt, genauer hinzusehen. Lewentz und die „politische Verantwortung“ Als Innenminister zurückgetreten, als Landesvorsitzender der SPD Rheinland-Pfalz wiedergewählt: Roger Lewentz. In der Tat, der SWR-Journalist Georg Link hat in scharfer, im Rahmen der Meinungsfreiheit zulässiger Form angeprangert, dass der SPD-Politiker Roger Lewentz als Landesminister, nicht aber als Parteivorsitzender zurückgetreten ist, nachdem er die „politische Verantwortung“ für das Versagen von Einrichtungen und Bediensteten des Landes bei der Flutkatastrophe im Ahrtal übernommen hatte. Und, keine Frage, ein Politiker muss dergleichen aushalten, sofern der Vorwurf nicht seine Würde und Ehre als Person verletzt, was eindeutig nicht der Fall war. Ob das Verbleiben von Herrn Lewentz im Parteiamt tragbar ist und er sogar als künftiger Ministerpräsident in Betracht kommt, werden die Wähler in Rheinland-Pfalz bei der nächsten Landtagswahl entscheiden. Das gilt ebenso für Heike Raab und ihr Regierungsamt. Gibt sich in der Causa gelassen: der ARD-Vorsitzende und SWR-Intendant Kai Gniffke. Zwar lässt sich ihre schriftliche Intervention auf Regierungspapier durchaus als Drohung (zumindest miss-)verstehen, aber womit hat sie gedroht? Damit, dass die Causa in den SWR-Gremien diskutiert wird. Na und? Es mag Journalisten geben, die sich durch so was einschüchtern lassen. Aus meiner Kenntnis der real existierenden Personen darf ich sagen: Davon ist sowohl beim betroffenen Redakteur wie auch beim SWR-Intendanten nicht auszugehen. Im Übrigen wird man als öffentlich-rechtlicher Journalist wie erst recht in der Chefposition nicht zuletzt für ein Mindestmaß an Standfestigkeit bezahlt, und das krisenfest nicht ganz schlecht, wie man weiß. Die Politik ist immer in Versuchung Es ist im System so angelegt: Die Politik ist immer in Versuchung, ob nun in Brüssel, Berlin, Mainz oder sonst wo, weit über ihre Kompetenz hinaus bei Entscheidungen mitzumischen, von denen Politiker ihre jeweiligen Interessen berührt sehen. Das größere Problem bei der Wahrung journalistischer Unabhängigkeit scheint mir von jeher die Bereitschaft öffentlich-rechtlicher Journalisten zu sein, sich aus freien Stücken mit einer Sache, und sei es mit einer guten, „gemein zu machen“ – um an den unvergessenen Hanns Joachim Friedrichs anzuknüpfen. Wobei von Apologeten eines „engagierten“ Journalismus gern übersehen wird, was „sich gemein machen“ heißt – nämlich sich vom eigenen Engagement für diese oder jene Sache sachfremd beeinflussen zu lassen, also das Kriterium der erstrebten oder befürchteten Wirkung eines Ereignisses oder Sachverhalts methodisch über die Wahrheitsfrage zu stellen. Und sich damit auch zum Verbündeten von Personen zu machen, die in die tatsächlich oder vermeintlich gute Sache involviert sind. Eine professionelle Anfechtung, mit der wir es als Journalisten mehr oder weniger alle zu tun haben, die aber im öffentlich-rechtlichen Rundfunk womöglich durch das Privileg sicherer Arbeitsplätze systemisch verstärkt wird. Das ewige Thema politischer Einflussnahme gerät jedenfalls in den Hintergrund, wenn Journalisten aus freien Stücken das die eigene Position Stützende hervorheben und Störendes ignorieren, wie es bei wichtigen Streitfragen auf den Problemfeldern Klimawandel und Migration allzu lange gang und gäbe war. Dabei will ich nicht leugnen, dass inzwischen tendenziell eine Verbesserung zu verzeichnen ist; das dürfte viel mit dem Erschrecken über den Ausgang der Landtagswahlen in Bayern und Hessen zu tun haben. Und neuerdings über die Sympathiebeweise vieler Mitbürger (mit und ohne Migrationshintergrund) für den Terror der Hamas. Zumindest werden öffentlich-rechtlich nunmehr Themen und Thesen kontrovers aufbereitet, die vor einem halben Jahr noch tabu zu sein schienen. Fragt sich nur, ob’s nachhaltig ist. Was ist das Missliche an der Causa Raab? Aber was ist nun das Missliche an der Causa Raab? Letztlich, meine ich, die mangelnde Transparenz. Zweifellos darf sich jeder, auch eine Regierung oder eine Partei und deren Protagonisten, bei einem Sender und dessen Gremien beschweren, dazu sind Aufsichtsgremien unter anderem da. Und selbstverständlich dürfen auch von Regierungen und Parteien entsandte Gremienmitglieder ihre Beschwerden in die Gremien einbringen. Doch bei einem Medium, das permanent von anderen Transparenz fordert, sollte das auch transparent, also öffentlich geschehen, für alle überprüfbar. Warum soll in den Gremien nicht ernsthaft über das Für und Wider der in einem Beitrag präsentierten (oder eben nicht präsentierten) Fakten und Argumente geredet und gestritten werden? Das ist nicht nur zulässig, sondern notwendig. Aber in Fragen, die uns Bürger als eigentliche Eigentümer des „ÖRR“ insgesamt angehen, sollten wir von vornherein alle davon wissen und nach eigenem Ermessen darauf reagieren können, zum Beispiel als Wähler. Dass Heike Raab versucht hat, die Öffentlichkeit zu umgehen und mit der stillen Androhung einer eventuellen Beschwerde journalistisches Wohlverhalten zu erzeugen, und dass Herr Lewentz bei anderem Anlass seinen Unmut an Georg Link ausgelassen hat, mag bei beiden durchaus als Indiz für ein Übermaß an Chuzpe und ein Defizit an Lebensklugheit zu bewerten sein. Man beschwert sich bei den Gremien, oder man lässt es bleiben, die Ebene dazwischen ist die des Gemauschels und der unterschwelligen Drohungen (und fallweise auch Verheißungen). Und dass weder Raab noch Lewentz souverän genug sind, um ihre Überreaktion auf den für sie unangenehmen, doch legitimen Angriff eines Journalisten zurückzunehmen, dass zudem die Ministerpräsidentin so tut, als ginge sie der Fall nichts an – das alles mag zumindest partiell etwas über unsere politische Kultur und den Zustand von Gremien aussagen. Aber ist es deshalb schon ein Rücktrittsgrund? Und was soll da noch aufzuklären sein (etwa in einem Untersuchungsausschuss)? Manche Schwachheiten bestraft man eben am besten in der Wahlkabine, und damit hat sich’s. Es geht um fehlende Transparenz Eine andere und wichtigere Frage ist es, ob die Rundfunkgremien noch die richtige Verfassung haben, um das öffentlich-rechtliche System kritisch und konstruktiv zu begleiten. Wie hoch darf und soll der Anteil von Regierungs- und Parlamentsvertretern überhaupt sein, um die vom Bundesverfassungsgericht gebotene „Staatsferne“ nicht zu gefährden? Wobei es lebensfremd wäre, das Problem der verdeckten Einflussnahme auf die Repräsentanten der Politik einzugrenzen. Nicht nur die Zusammensetzung von Gremien wäre zu hinterfragen, sondern auch die Auswahl ihrer Mitglieder. Wer wählt die von dieser oder jener (vermeintlich unpolitischen) Organisation entsandten Mitglieder auf welche Weise aus? Nur ein Vorstand oder zum Beispiel eine Mitgliederversammlung in offener, demokratischer Abstimmung? Hier läge reichlich Stoff für eine grundsätzliche Debatte. Und solange sie nicht erfolgt, sehe ich die seit Beginn der (ja längst nicht ausgestandenen) Schlesinger-Affäre verstärkt erhobene Forderung nach einem strukturell größeren Einfluss der Gremien auf die Exekutive der Sender als Scheinlösung an. Diese RBB-Affäre war und ist auch ein veritabler Gremienskandal. Und damit in erheblichem Maß ein Fall von Politikversagen. Jeder Versuch, die zentrale Verantwortung der Intendanten auszuhebeln, wird nach meiner Erfahrung Fehlentwicklungen bis hin zu politischen Schieflagen nicht verhindern können. Er dürfte aber die viel beklagte, nicht zuletzt von Medienpolitikern verschuldete Schwerfälligkeit und kostentreibende Bürokratielastigkeit der Rundfunkanstalten noch verstärken. Peter Voß war von 1993 bis 2007 zuerst Intendant des Südwestfunks, dann des fusionierten Südwestrundfunks.