Wednesday, January 3, 2024

«Doppelter Schock» für westliche Elektroautohersteller: Überrollt der chinesische Autobauer BYD nun Elon Musks Tesla und die Europäer?

Neue Zürcher Zeitung Deutschland «Doppelter Schock» für westliche Elektroautohersteller: Überrollt der chinesische Autobauer BYD nun Elon Musks Tesla und die Europäer? Artikel von Michael Ferber • 2 Std. Unter anderem mit dem Modell Seal will BYD ;weiter wachsen. Experten trauen dem chinesischen Konzern zu, sogar Toyota als grössten Autohersteller der Welt zu überholen. Krisztian Bocsi / Bloomberg Elon Musk konnte das Lachen nicht zurückhalten. «Haben Sie ihr Auto gesehen?», fragte er eine verdutzte Moderatorin in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Bloomberg, als diese ihn nach seiner Meinung zum chinesischen Autohersteller BYD gefragt hatte. BYD sei keineswegs ein Wettbewerber für sein Unternehmen Tesla, fuhr Musk fort. Die Fahrzeuge der Chinesen seien nicht besonders attraktiv, «und ihre Technologie ist nicht besonders stark». Das war 2011, und seitdem ist viel passiert. Im vierten Quartal 2023 hat BYD – das Kürzel steht für «Build Your Dreams» – zum ersten Mal den amerikanischen Tesla als Elektroautohersteller mit den meisten Verkäufen weltweit abgelöst. Tesla lieferte in den letzten drei Monaten des vergangenen Jahres mit 484 000 zwar mehr Fahrzeuge aus als von Analytikern erwartet. Bei dem Autobauer aus Shenzhen nahe Hongkong waren es im selben Zeitraum aber 526 000. Dies zeigt den steilen Aufstieg des chinesischen Autobauers, bei dem der US-Grossinvestor Warren Buffett bereits im Jahr 2008 eingestiegen ist. BYD verkauft mehr als 3 Millionen Autos 2023 Laut Bloomberg hat BYD im Jahr 2023 insgesamt 3,01 Millionen Autos verkauft. Damit platzierte sich der Hersteller zum ersten Mal in der Top Ten der Unternehmen mit den höchsten Autoverkaufszahlen in einem Jahr. 1,58 Millionen davon waren vollelektrische Autos. Tesla hingegen hat im vergangenen Jahr laut Bloomberg 1,81 Millionen Elektroautos ausgeliefert und damit sein offizielles Jahresziel von 1,8 Millionen Fahrzeugen knapp übertroffen. Das von Musk vor rund einem Jahr in Aussicht gestellte Ziel von 2 Millionen Wagen wurde indessen nicht erreicht – trotz starken Preissenkungen, von denen auch BYD im vergangenen Jahr Gebrauch machte. Wall-Street-Analyst: Tesla wird abgehängt und dennoch den E-Auto-Kampf gewinnen Helena Wisbert, Direktorin am Forschungsinstitut Center Automotive Research in Duisburg, erwartet, dass BYD seinen Steigflug auch 2024 fortsetzen wird. Sie sieht ein grosses Wachstumspotenzial für den Konzern, da dieser bisher erst 10 Prozent seines Auto-Absatzes ausserhalb von China erziele. Auch in Europa dürfte das Unternehmen nun stärker Fuss fassen. «BYD ist gekommen, um zu bleiben», sagt sie. Dies zeige sich auch daran, dass das Unternehmen Ende Dezember angekündigt habe, im ungarischen Szeged seine erste Elektroauto-Fabrik in Europa zu bauen. Zurück zu Verbrennern unter einem US-Präsidenten Trump? «Die Strategie von Tesla zielt ebenfalls auf den Massenmarkt», sagt Wisbert. So plane der US-Autobauer, ein Elektroauto zum Preis von weniger als 30 000 Dollar auf den Markt zu bringen. BYD habe solch günstige Elektroautos aber bereits im Sortiment. Ferdinand Dudenhöffer, Professor und Autoexperte, geht sogar davon aus, dass BYD zum grössten Autohersteller der Welt aufsteigen wird. «BYD wächst exponentiell und dürfte in zehn Jahren grösser sein als Toyota», sagt er. Die grösste Unsicherheit auf diesem Weg sei indessen die politische Entwicklung in den USA. «Derzeit geht der Automarkt sehr stark ins Elektrische», sagt Dudenhöffer. «Sollte Donald Trump allerdings nächstes Jahr wieder zum US-Präsidenten gewählt werden, könnte dies ein Zurück zu Autos mit Verbrennungsmotoren bedeuten», sagt er. «Tesla sollte man nicht abschreiben» Aus seiner Sicht ist es aber eine Frage der Zeit, bis BYD auch in den USA Fabriken baut und letztlich den Weltmarkt mit seinen Elektroautos bedient. Der chinesische Konzern gehe sehr systematisch vor, fahre mehrspurig und habe auch Hybridfahrzeuge im Angebot. Das sei ein grosser Vorteil, sagt Dudenhöffer. Tesla solle man indessen nicht abschreiben. Trotz einer teilweise schlechten Auslastung von Fabriken schaffe es das US-Unternehmen, attraktive Gewinnmargen zu erzielen. «Die Autoproduktion wird revolutioniert, und Elon Musk hat das mit in Gang gebracht», sagt Dudenhöffer. Laut ihm dürfte es auch in Zukunft Platz für mehrere Anbieter geben. «Zudem sollte man Musk nie unterschätzen.» Tesla-Aktien legen in fünf Jahren um 1141 Prozent zu Beim Börsenwert liegt Tesla weiterhin weit vor dem chinesischen Konkurrenten. In den vergangenen fünf Jahren haben die Titel ein Plus von sage und schreibe 1141 Prozent erzielt. Auch im vergangenen Jahr stiegen die Titel des US-Autobauers um 130 Prozent. Die Titel von BYD haben auf Sicht von fünf Jahren ebenfalls stark zugelegt, und zwar um insgesamt 305 Prozent. Im vergangenen Jahr verloren sie allerdings rund 24 Prozent an Wert. Laut Bloomberg litt der Kurs unter dem harten Wettbewerb in der Branche, den deutlichen Senkungen der Preise für Elektroautos sowie Sorgen, dass BYD seine Verkaufsziele nicht erreichen könnte. BYD gegen europäische Autohersteller Die Entwicklungen im Automarkt setzen auch die traditionellen europäischen Autobauer stark unter Druck. Besonders Volumen-Hersteller wie VW, Opel, Renault oder Stellantis seien hier betroffen, sagt Wisbert. Diese seien nun gezwungen, die Kosten in den Griff zu bekommen, und versuchten dies über Kooperationen zu erreichen. Stärker im Premiumsegment tätige Autohersteller wie BMW oder Mercedes würden von dem verschärften Wettbewerb aus China etwas weniger hart getroffen und hätten bereits grosse Schritte im E-Auto-Bereich gemacht. Auch Dudenhöffer erwartet, dass die deutschen Autobauer im Premiumbereich auch in Zukunft eine Rolle spielen dürften. Allerdings sei damit zu rechnen, dass die chinesischen Autobauer das Premiumsegment stärker ins Visier nähmen. Mögliche Zölle der EU, wie dies die Europäische Kommission prüfe, seien indessen «das Falscheste, was man machen kann», sagt der Auto-Experte. Solche Schutzzölle würden den deutschen Autobauern am meisten schaden, denn China würde darauf mit eigenen Zöllen reagieren. Harter Wettbewerb bei Elektroautos in China Laut einer Analyse der Investmentgesellschaft DWS vom August 2023 kämpfen im chinesischen Niedrigpreissegment für Elektroautos rund hundert junge Autobauer mit Preisnachlässen um Kunden. Einige davon seien bereits in Schieflage geraten. Der Sektor reife aber langsam, heisst es in der Analyse. An der Entschlossenheit Pekings, auf dem Markt für Elektroautos die globale Führung anzustreben, sei keine Sekunde zu zweifeln. China sei das Thema langfristig angegangen und habe die Kontrolle über die gesamte Wertschöpfungskette der E-Auto-Produktion sichergestellt. Auch BYD verfolgt die Strategie der vertikalen Integration, das Unternehmen stellt Batterien und Chips her und kontrolliert Minen. Dies konfrontiere die westlichen Autobauer nun mit einem «doppelten Schock», heisst es bei der DWS. Erstens gehen die Wachstumspläne in China immer weniger auf, und die Marktanteile bei Elektroautos schrumpfen. Zweitens dürften die Exporte chinesischer E-Autos zunehmen. Im ersten Halbjahr 2023 wurden laut der Investmentgesellschaft in China mit mehr als 1,3 Millionen Einheiten fast dreimal so viele Elektroautos wie in Europa und fünfmal so viele wie in Amerika abgesetzt. BYD in der Schweiz In der Schweiz sind Autos der Marke BYD bisher erst sehr vereinzelt zu sehen. Wie in der Branche zu hören ist, wartet man aber gespannt auf einen grösseren Markteintritt des chinesischen Konzerns. Als Signal wird der Auftritt von BYD an der Nutzfahrzeugmesse Transport-CH im November vergangenen Jahres in Bern gewertet – denn der Autobauer stellt auch Elektrobusse und -lastwagen her. In der Bundesstadt präsentierte der Autobauer erstmals die Elektrolastwagen BYD ETM6 und ETH8. Berichte von der Messe waren voller Respekt über die «grossen Nutzfahrzeug-Träume aus China». Spott war keiner zu vernehmen. Selbst Elon Musk dürfte das Lachen über BYD mittlerweile vergangen sein.