Sunday, August 6, 2023
Wie die Ampel-Koalition Deutschland vor die Wand fährt – eine Kolumne von Fabio De Masi
Berliner Zeitung
Wie die Ampel-Koalition Deutschland vor die Wand fährt – eine Kolumne von Fabio De Masi
Artikel von Fabio De Masi •
14 Std.
Ziemlich beste Freunde: Grüne und FDP machen sich für die Schuldenbremse stark
Die jüngste Prognose des Internationalen Währungsfonds (IWF) geht von einer zunehmenden Erholung der Weltwirtschaft aus. In den USA wird mit dem „Inflation Reduction Act“ kräftig in Zukunftstechnologien investiert. Dies ist eine echte wirtschaftspolitische Zeitenwende. In China wird laut dem Wirtschaftshistoriker Adam Tooze mehr Solarkapazität aufgebaut, als Deutschland in einem Vierteljahrhundert bewegte. Selbst die russische Wirtschaft wächst. Bundeskanzler Olaf Scholz versprach kürzlich noch ein neues Deutschland-Tempo und Wachstumsraten wie zu Zeiten des Wirtschaftswunders durch grüne Transformation. Die Realität ist indes: Deutschland steckte kürzlich in der Rezession und unser Bruttoinlandsprodukt (BIP) soll dieses Jahr laut IWF schrumpfen.
Kein Wunder: Deutschland ist als Exportnation durch den Wirtschaftskrieg und Kostenschock ohnehin enormen wirtschaftlichen Schocks ausgesetzt. Nun will die Ampel-Koalition aber noch eine Kürzung der Staatsausgaben mitten in der Krise obendrauf packen. Das ist völlig verrückt und sorgt international für Entsetzen. Denn Deutschland ist (noch) die viertgrößte Volkswirtschaft der Erde. Die Ampel tut aber alles dafür, dass sich das ändert.
So plakatierte die FDP noch einst im Wahlkampf: „Digitalisierung first, Bedenken second!“ Nun sollen die Mittel für die Digitalisierung der Verwaltung von 377 Millionen auf 3 Millionen Euro gekürzt werden. Von 100 Prozent auf unter ein Prozent. Das ist tatsächlich ein Kettensägen-Massaker im Deutschland-Tempo an der digitalen Infrastruktur. Ob die Ampel uns bald wieder auffordert, unsere Fax-Geräte aus dem Keller zu holen?
Wer Staatsausgaben kürzt, verringert die Einnahmen des Privatsektors – etwa in Form von niedrigeren Bauaufträgen und Gehältern – und trübt die wirtschaftlichen Erwartungen und die Investitionsbereitschaft ein. Es bleibt das Geheimnis des Finanzministers, wie eine Verringerung der Investitionen und der Inlandsnachfrage die Wirtschaft einer großen Volkswirtschaft beleben soll. Deutschlands Außenhandelsquote (der Anteil von Exporten und Importen am BIP) ist für eine Volkswirtschaft von der Größe Deutschlands, mit vielen Konsumentinnen und Konsumenten, bereits bedenklich hoch.
Natürlich kann man wie in den vergangenen Jahren darauf setzen durch Preisdumping (geringere Investitionen, höhere Arbeitslosigkeit, geringe Lohnkosten im Vergleich zur Produktivität) den Exportüberschuss auszudehnen und unsere Nachfrage im Ausland „zu schmarotzen“. Dies setzt voraus, dass das Ausland bereit ist, sich zu verschulden und mehr von uns einzukaufen, als wir dem Ausland abkaufen. Nur warum sollte es in Zeiten globaler Krisen und technologischer Umbrüche von der Energieversorgung bis zur Künstlichen Intelligenz eine sinnvolle Strategie sein, noch mehr Abhängigkeit von der Weltwirtschaft zu schaffen? Zumal die China-Strategie der Bundesregierung darauf hindeutet, dass Deutschland mit der zunehmenden Konfrontation zwischen den USA und China auf einem weiteren wichtigen Absatzmarkt im Osten Federn lassen wird.
Finanzminister Lindner behauptet, die Rezession habe damit zu tun, dass sich über Jahre ein Verlust der deutschen Wettbewerbsfähigkeit aufgebaut habe und sich nun in der aktuellen Rezession plötzlich entlade. Gäbe es einen ökonomischen Lügendetektor, müsste sich der Finanzminister wie im Brettspiel bei Monopoly sofort ins Gefängnis begeben. Denn Lindner ist mit seiner Kürzungspolitik der Metzger im Schlachthaus, der das viele Blut beklagt.
Der deutsche Außenhandelsüberschuss war in den letzten Jahren stetig hoch und Deutschland stand dafür international in der Kritik. Richtig ist vielmehr, dass wir seit Jahren zu wenig investieren und von der Substanz leben bzw. den öffentlichen Kapitalstock aufzehren. Daher sind wir globalen Krisen stärker ausgesetzt. Die Zahlen sind eindeutig: Das BIP ist aufgrund der schwachen Nachfrage eingebrochen.
Hohe Exportüberschüsse sind Ausweis hoher preislicher Wettbewerbsfähigkeit, die etwa durch den großen Niedriglohnsektor erkauft wurde. Denn die sogenannten Lohnstückkosten (wie viel Lohnkosten in unseren Waren und Dienstleistungen „stecken“) sind in Deutschland viele Jahre im internationalen Vergleich schwach gewachsen. Die Löhne müssten jedes Jahr etwa zwei Prozent stärker zulegen als die durchschnittliche Produktivität, um die Zielinflationsrate von knapp zwei Prozent zu erfüllen und den Anteil der Löhne am Volkseinkommen zu verteidigen. Denn bleiben die Löhne hinter der Produktivität zurück, gibt es keine Nachfrage für das zusätzlich produzierte Angebot an Gütern. Dies war in den vergangenen Jahrzehnten und insbesondere vor der Euro-Krise regelmäßig der Fall.
mpel verliert weiter an Zustimmung (dpa (Video))
Diese Entwicklung hat sich zwar danach leicht korrigiert, aber die kumulierten Wettbewerbsvorteile wurden nicht abgebaut. Trotz der vor Pandemie und Eurokrise geringen Arbeitslosigkeit sind die Löhne nicht hinreichend vom Fleck gekommen, da die Tarifbindung in Deutschland auch durch die Arbeitsmarktreformen früherer Regierungen systematisch geschwächt wurde. Ein Viertel der Beschäftigten verdient weniger als 14 Euro in Deutschland, was in etwa dem deutschen Richtwert für die EU-Mindestlohnrichtlinie entspricht. Die aktuelle Inflationsdynamik hat hingegen nichts mit zu hohen Löhnen, sondern mit dem temporären Energiepreisschock, zerrütteten Wertschöpfungsketten und Profitinflation zu tun, wie selbst die Europäische Zentralbank mittlerweile einräumt.
Der Ampel wird nun zum Verhängnis, dass sie die außergewöhnliche Notlage der Schuldenbremse und damit die Möglichkeit kreditfinanzierter Investitionen aufgehoben hat. Bei der Rüstung hat man ein Sondervermögen geschaffen, um die dumme Investitionsbremse der Schuldenbremse auszuhebeln, nicht so jedoch, wenn es um die wichtigen Investitionen in den Umbau unserer Wirtschaft geht. Dies alles war bereits vor der Bundestagswahl absehbar: Denn die Bunderegierung hat damals ohne Not festgelegt, dass die Corona-Milliarden über 20 Jahre getilgt werden müssen. Zum Vergleich: Österreich hat die niedrigen Zinsen genutzt, um 100-jährige Staatsanleihen zu begeben.
Wirtschaftsminister Habeck, der zur Symbolfigur der deutschen Wirtschaftskrise erkoren wurde, versucht sich nun verklemmt von Herrn Lindner abzusetzen und tut so, als seien die Grünen Opfer einer Erpressung durch den kleinsten Koalitionspartner FDP. Nur das ist ebenso verlogen.
Denn die Grünen haben am 16. März 2022 im Bundeskabinett die Eckwerte des Haushaltes 2023 sowie die Finanzplanung bis 2026 ohne nennenswerten Widerstand beschlossen. Schon damals war absehbar, dass die Beendigung der außergewöhnlichen Notlage im Rahmen der Schuldenbremse völlig verrückt ist. Während für das schwarze Loch im Beschaffungsfilz der Bundeswehr ein 100 Milliarden Euro großes Sondervermögen außerhalb der Schuldenbremse geschaffen wurde, greift das fast vollständige Verbot der Kreditaufnahme nun wieder, das den Spielraum für langfristige Investitionen dramatisch einschränkt. Der Aufstieg der deutschen Industrie wäre ohne die Kredite von Banken niemals gelungen. Die Ampel regiert Deutschland finanzpolitisch auf dem Niveau einer Amish-Sekte!
Die grünen „Realos“ verbreiten im Konzert mit Olaf Scholz eifrig die Legende, dass Lindner in den Koalitionsverhandlungen auf den Job des Finanzministers bestanden habe. Ich halte dies für einen Mythos, den Robert Habeck und Annalena Baerbock streuen, um davon abzulenken, dass die Grünen unbedingt das Außenministerium haben wollten, den sozialpolitischen Flügel ausgebootet haben und ihre Familienministerin Lisa Paus in den Haushaltsverhandlungen nur bedingt unterstützen. War es nicht Annalena Baerbock, die auf dem Grünen-Parteitag die Zustimmung zu Rüstungsgeschäften mit der saudischen Diktatur damit begründet hat, dass es sonst nicht genug Geld für die Kindergrundsicherung von „Lisa“ gäbe? Und selbst wenn Lindner auf dicke Hose gemacht hat und unbedingt Kassenwart werden wollte? Lindner stand doch nach den geplatzten Jamaika-Verhandlungen mit dem Rücken zur Wand. Die Grünen haben sich das Schlüsselresort aus der Hand nehmen lassen.
Nicht nur standen die Grünen immer in der ersten Reihe, wenn es darum ging, eine Verschärfung der Sanktionsspirale zu fordern, obwohl es berechtigte Zweifel an der Wirksamkeit der Sanktionen zur Eindämmung des Ukraine-Krieges gab. Wird der Haushalt überdies nicht von den drei Regierungsparteien gemeinsam verabschiedet? Wenn Habeck aufgrund der Kürzungspolitik fünf schlimme Jahre auf Deutschland zukommen sieht und die Deindustrialisierung fürchtet, wie er unlängst betonte, müsste er dann nicht aus Verantwortung für Deutschland drohen, gegen den Haushalt zu stimmen und notfalls die Koalition aufzukündigen? Und als die Ampel entschied, die außergewöhnliche Notlage der Schuldenbremse nicht weiter zu beanspruchen, die angesichts des Ukraine-Krieges und der Rezession leicht zu rechtfertigen wäre, gab es keinen vernehmbaren Aufstand der Grünen.
Vielmehr stemmte sich Habeck zunächst gegen eine Gaspreisbremse und wollte den Verbrauchern eine Gaspreisumlage überhelfen, statt gegen diese verrückte Finanzpolitik aufzubegehren. Die satten Extragewinnen der Profiteure der Krise – wie RWE – wollte der Wirtschafts- und Energieminister nicht wirklich antasten. Und vor der Wahl schrieb Herr Habeck als Signal an die CDU in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Gastbeiträge gegen eine Vermögensabgabe für Multimillionäre und Milliardäre, um sie nach der Wahl plötzlich wiederzuentdecken, als der Finanzminister Lindner hieß und somit den oberen 0,7 Prozent der Bevölkerung keine Opfer drohten. Ähnlich lief es bereits bei der Erbschaftsbesteuerung und exzessiven Privilegien für Firmenerben, die das Bundesverfassungsgericht immer wieder bemängelte. Wer etwa ein Mietshaus erbt, muss darauf Erbschaftsteuer entrichten. Wer mehr als 300 Wohnungen erbt und dann als Wohnungsunternehmen gilt, wird durch einen Erlass von Finanzminister Scholz steuerbegünstigt. Dem faulen Deal zu Firmenerben stimmten aber die Grünen im Bundesrat unter Führung von Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann ohne Not zu. Dies führte zu Streit unter den grünen Ministern, Robert Habeck, der damals Minister in Schleswig-Holstein war, unterstützte Kretschmann trotz „Bauchschmerzen“.
Währenddessen appellieren grüne Abgeordnete in der Öffentlichkeit an die Bereitschaft zum Verzicht. Kein Wunder, dass den Grünen keine Herzen zufliegen. Habeck argumentierte vor der Wahl, Steuergerechtigkeit sei die falsche Debatte, da es vielmehr darum ginge, die Schuldenbremse zu reformieren. Die richtige Kritik an der Schuldenbremse hat Herr Habeck indes immer dann entdeckt, wenn angesichts dieses irren finanzpolitischen Korsetts die Rufe nach der Vermögensbesteuerung lauter wurden.
Man sollte nicht vergessen: Es war eine Gruppe maßgeblicher grüner Finanzpolitiker aus dem Umfeld Habecks, darunter seine Hamburger Staatssekretärin Anja Hajduk, die daran mitgewirkt haben, dass man in Deutschlands Finanzpolitik diskutiert, als handle es sich um die Vereinskasse eines Taubenzüchtervereins oder die berüchtigte schwäbische Hausfrau. Im Jahr 2007 zitierte das Hamburger Abendblatt Habecks Staatssekretärin folgendermaßen:
„Es sollte anders laufen, wie im Privathaushalt auch. Dort schaue man doch auch zuerst, wie viel Geld man habe, bevor man sich überlege, wie man es ausgeben soll. (…) Sie fordert die Einführung einer „Schuldenbremse, mit der die Ausgaben an die Einnahmen gekoppelt werden.“ Und die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte sieben Jahre später: „Grüne wollen mehr sparen als Schäuble“. Eine Gruppe grüner Finanzpolitiker vom Habeck-Flügel forderte in einem Papier der parteinahen Heinrich-Böll-Stiftung nicht nur die Einhaltung der Schuldenbremse, sondern gar die Erwirtschaftung von permanenten Haushaltsüberschüssen. Von den Konzepten des früheren Spitzenkandidaten Jürgen Trittin wie der Vermögensbesteuerung wollten sie sich verabschieden. Damals versuchten die vermeintlichen Realos der Grünen nämlich, den Misserfolg bei der Bundestagswahl 2013 den Steuerplänen von Trittin zuzuschieben, obwohl vielmehr eine Debatte über die Billigung von Kindesmissbrauch den Wahlkampf überschattet hatte.
Wenn die Grünen daher bei der nächsten Bundestagswahl für die Misere der deutschen Wirtschaft in einer Kampagne von Axel Springer & Co. allein verantwortlich gemacht werden, hat dies auch mit der permanenten „strategischen Ambivalenz“ zu tun, die Habeck zu seinem Markenzeichen gemacht hat. Damit lassen sich zuweilen interne Widersprüche kaschieren. Aber es ist eine absolute Loser-Strategie, wenn ein Land vor harten Richtungsentscheidungen und Verteilungskonflikten steht.
Es sollte den Grünen zu denken geben, dass sich nun ausgerechnet der CDU-Bürgermeister von Berlin, Kai Wegner, für die Aussetzung der Schuldenbremse engagiert und somit sowohl die deutsche Ampel als auch den eigenen Parteichef Friedrich Merz vor sich hertreibt. Die Grünen werden nicht müde, ihr Bauchweh bei den Entscheidungen der eigenen Regierung zu betonen. Sollte die Fortschrittskoalition zukünftig Bauchweh-Koalition heißen? Man möchte den grünen Mimosen auf der Regierungsbank, Robert und Annalena, fast eine Wärmflasche schenken. Das würde gut zur Wärmepumpe und zum Heizungsgesetz passen und uns dieses unerträgliche Selbstmitleid ersparen.