Tuesday, August 22, 2023

Kritik an ARD und ZDF: Die aktuelle Skandaldichte - alles nur Zufall?

Frankfurter Allgemeine Zeitung Kritik an ARD und ZDF: Die aktuelle Skandaldichte - alles nur Zufall? Artikel von Peter Voß • 4 Std. Weniger Raunen, mehr Fakten“, fordert Thomas Hestermann. August. Er tritt meinem Vorwurf der „Skandaldichte“ beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk entgegen, den ich mit auffälligen Beispielen aus jüngster Zeit belegt habe. Er versucht zunächst, meinen Befund statistisch mit einer Untersuchung aus dem Jahr 2019 zu entkräften. Die von mir angeführten aktuellen Vorfälle hält er offenbar für zufällig und deshalb nicht ausreichend, weshalb ich noch einige an­füge. Ihre Brisanz liegt ja gerade in ihrer Aktualität, weil ihre Häufung just den Populisten in die Hände spielt, die jetzt einen Lauf haben. Die entscheidenden drei Worte haben gefehlt Dazu gehört der von Stefan Brandenburg vom WDR eingestandene „Fehler“, aus der Aussage von Friedrich Merz, die Grünen seien „in der Bundesregierung“ die Hauptgegner, diese drei Worte herauszuschneiden. Dazu gehört der Versuch von „Monitor“, beim Thema Klimawandel eine Sprachregelung durch­zu­setzen, es soll nur noch „Klimakrise“ heißen. Und sogar „Klimaleugner“ – sachlich unsinnig und infam den Holocaustleugner assoziierend. Dazu gehören Versuche, aus alten Beiträgen vermeintlich anstößige Vokabeln zu tilgen und sie damit dokumentarisch zu verfälschen. Oder sie mit kuriosen Warnhinweisen zu versehen, die zeigen, dass man der Urteilsfähigkeit des Publikums nicht traut, der man doch sonst, etwa bei grausigen Szenen in Krimis, einiges zumutet. Kurz: Dazu gehört ein Übermaß an politischer Korrektheit, die sich mit Haltung verwechselt. Zum Beispiel eine bevormundende Sprachpolitik der Sender, allem voran die Genderei, wie sie zumindest im umständlichen Doppelplural („Expertinnen und Experten“, „Gästinnen und Gäste“) betrieben wird. Zum Beispiel die durchgängige Ersetzung bestimmter Ausdrücke wie „Flüchtlinge“ durch dürre Partizipien, weil die End­silbe „ling“ angeblich herabsetzend ist – als ob es nicht den Schützling, den Häuptling und den Liebling gäbe. Zum Beispiel die unterschiedslose Bezeichnung ethnischer Gruppen, die als erste einen Erdteil besiedelt haben, als „Indigene“, ob Indianer oder Aborigines. (Von indigenen Deutschen und Europäern ist nicht die Rede.) Transparenz? Fehlanzeige! Zu den öffentlich-rechtlichen Schwächen gehört auch der Umgang mit „Fehlern“, soweit sie denn als solche ein­geräumt werden – oft erst, wenn sich Gegner der Sache bemächtigen. Eine plausible Erklärung wird aber kaum angeboten, eine manipulative Absicht nie erkannt oder eingestanden. Aber schneidet man wirklich die minimal kurze Merz-Passage versehentlich aus dem Originalton heraus? Man erfährt nichts darüber, auch nicht über Konsequenzen, die sicherstellen, dass sich dergleichen nicht wiederholt. Hier fehlt dann die Transparenz, die auch öffentlich-rechtliche Journalisten zu Recht und mit Nachdruck von anderen Institutionen, Unternehmen und Organisationen verlangen. Hestermann bemüht sich mit Gegenbeispielen um den Nachweis, dass es im öffentlich-rechtlichen Rundfunk keine politisch-ideologische Schlagseite gebe. So verweist er in der Migrationsdebatte auf Erfolgsgeschichten neben der „schonungslosen Darstellung von Fehlentwicklungen“, die er offenbar für ausreichend hält. Bleibt dennoch die Frage, ob unterm Strich vor allem auf den beiden wichtigsten und schwierigsten Konfliktfeldern, dem Streit um die richtige Strategie gegen die Erderwärmung und eben um die Einwanderungspolitik, nicht doch die Defizite deutlich überwiegen, die mit der in vielen Redaktionen dominanten „Haltung“ durchaus etwas zu tun haben. Es soll mich freuen, wenn’s tatsächlich besser wird; ich möchte da ja nicht unbedingt recht behalten, im Gegenteil. Aber ich sehe eben nicht, dass der von Deutschland betriebene und propagierte gleichzeitige Verzicht auf fossile Brennstoffe und die Atomkraft global oder auch nur in Europa überhaupt möglich und politisch durchsetzbar wäre, und dass dies in seinen Konsequenzen ernsthaft thematisiert wird. Oder nehmen wir bei der Einwanderungspolitik das Problem des Fachkräftemangels, der durch Zuwanderung behoben werden soll: Der Aspekt, dass wir damit Ländern des globalen Südens gerade die Leute abwerben, die sie selbst dringend brauchen, wird kaum erwähnt, und der Zusammenhang von Einwanderungs- und Bildungspolitik nach meiner Beobachtung völlig vernachlässigt. Ehrliche Aufarbeitung ist gefragt Wir reformieren seit vielen Jahrzehnten vermeintlich „progressiv“ am Bildungswesen herum mit dem Ergebnis, dass immer mehr junge Menschen weder befähigt noch motiviert werden, ein Handwerk zu lernen; es hapert ja schon beim Lesen, Schreiben und Rechnen. Hätten wir den vielbeklagten Fachkräftemangel überhaupt, wenn unser Bildungssystem an dieser Stelle funktionieren würde? Hat die Tatsache, dass bil­dungsferne Schichten eher wachsen als abnehmen, nicht ebenso mit – weiterhin – zu viel Zuwanderung und einem dadurch fast unvermeidlichen Integrationsversagen zu tun wie mit falschen Wertungen in der Bildungspolitik („der Mensch fängt erst beim Abi an“)? Überfordern wir nicht maßlos unsere Kräfte? Eine ehrliche Aufarbeitung, die beide Aspekte, die Migrationsfolgen und das Bildungselend, als einander verstärkende Faktoren dieser Entwicklung erfasst, ist mir jedenfalls nicht aufgefallen. Das kann natürlich allein an mir liegen. Und dass ich in meinem recht heterogenen Umfeld kaum jemand finde, der meint, der öffentlich-rechtliche Rundfunk erfülle wenigstens bei diesen beiden Kernthemen sorgfältig und unvoreingenommen seine Aufgabe, mag natürlich daran liegen, dass ich einfach die falschen Bekannten habe oder dass die alle immer nur die falschen Sendungen sehen. Und der Predigerton, den ich aus manchen Beiträgen heraushöre? Rei­nes Geraune von mir, klar doch. Peter Voß war von 1993 bis 2007 Intendant des Südwestfunks, dann des fusionierten Südwestrundfunks. Zwischen 1971 und 1993 wirkte er für das ZDF, als Chef der Nachrichtenredaktion, als Moderator des „heute journals“ und stellvertretender Chefredakteur.