Friday, August 25, 2023
Migranten in Südafrika: Das raue Ende der Gastfreundschaft
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Migranten in Südafrika: Das raue Ende der Gastfreundschaft
Artikel von Claudia Bröll •
2 Std.
Mitglieder der berüchtigten fremdenfeindlichen „Operation Dudula“ demonstrieren gegen Einwanderer im südafrikanischen Durban im vergangenen Jahr.
Hinter dem hohen Empfangstresen ist Oswald Kucherera kaum zu sehen. Jeden Tag nimmt der 37 Jahre alte Simbabwer in dem Kapstädter Bürogebäude auf einem wackligen Drehstuhl Platz. Er bewacht den Aufzug, begrüßt Besucher und schreibt Literarisches: Ein kurzer Roman, mehrere Kurzgeschichten und Gedichte sind über die Jahre hinter dem Tresen entstanden. Der schmächtige Mann, an dem die meisten in dem Bürogebäude vorbeigehen, hat eine Fangemeinde unter seinen Landsleuten, tritt auf Buchfestivals auf.
Der Simbabwer Oswald Kucherera lebt mit Frau und Sohn im Zentrum von Kapstadt.
Seine Geschichten handeln von den Erfahrungen von Migranten in Südafrika wie ihm, von großen Hoffnungen und noch größeren Enttäuschungen. In ihnen stehen Sätze wie „I am now a shadow of a man. A piece of anthropology to many. Here where my spirit knows no peace“ (Ich bin nur noch ein Schatten eines Menschen. Ein Stück Anthropologie für viele. Hier, wo mein Geist keinen Frieden kennt). Das Gedicht heißt Kwerekwere. Das ist ein Schimpfwort für schwarze Migranten aus afrikanischen Ländern.
Versuch des Grenzüberschritts: Südafrikanische Behörden machen Migranten aus Simbabwe an der Grenze nahe Musina fest,
Mehr als 700.000 Simbabwer leben nach simbabwischen Statistiken im Nachbarland Südafrika, andere Schätzungen sind noch höher. Sie arbeiten als Hausangestellte, Gärtner, Wachleute, Taxifahrer, Essenslieferanten, Kaffee-Barista oder Kellner. Es ist eine der größten Gruppen von Einwanderern aus afrikanischen Staaten, und sie sind aus Südafrikas Alltags- und Wirtschaftsleben kaum wegzudenken.
Simbabwe erlebt einen rapiden wirtschaftlichen Niedergang
Bei den Parlaments- und Präsidentschaftswahlen am 23. August in Simbabwe durften die Staatsbürger in der Diaspora nicht mitwählen. Trotzdem zog der Urnengang vor allem in Südafrika die Aufmerksamkeit auf sich. Viele Simbabwer wissen nicht, ob und wie lange sie noch in dem Land bleiben dürfen. Vor zwei Jahren hat die Regierung das Ende einer besonderen Aufenthaltsgenehmigung mit dem sperrigen Namen „Zimbabwe Exemption Permit“ (ZEP) angekündigt und damit eine Welle von Protesten losgetreten. Ein Gericht erklärte das Vorhaben unlängst für verfassungswidrig. Endgültig vom Tisch ist es nicht.
Simbabwe, ein rohstoffreiches Land und einst als „Kornkammer Afrikas“ gepriesen, erlebt seit dem Jahr 2000 einen rapiden wirtschaftlichen Niedergang. Nicht nur Kritiker des Regimes des früheren Diktators Robert Mugabe flüchteten, sondern auch Zigtausende Menschen, die in der „Kornkammer“ ihr Leben kaum noch bestreiten können. Als Präsident Emmerson Mnangagwa 2018 nach dem erzwungenen Rücktritt des greisen Mugabe die Macht übernahm, war das für viele ein Hoffnungsfunke. Doch er erlosch gleich wieder. Denn die desaströse Wirtschaftslage blieb, ebenso wie die Angst vor dem autoritären Regime und der Traum von einem besseren Leben in Südafrika. Wer dort heute einen Simbabwer nach der Lage „auf der anderen Seite“ fragt, also in seinem Heimatland, erhält als Antwort meist nur ein resigniertes Kopfschütteln.
Oswald Kuchereras Geschichte ist beispielhaft für die vieler seiner Landsleute. Seine verwitwete Mutter hatte seinerzeit alles darangesetzt, seinen Geschwistern und ihm trotz mageren Einkommens die Ausbildung an einer angesehenen Internatsschule zu ermöglichen. Kucherera hatte gute Noten, las jedes Buch, das er in die Hände bekam. Aber das Geld reichte nur für eine kurze Ausbildung in einer Bank. Als die simbabwische Zentralbank den amerikanischen Dollar als Ersatz für den nahezu wertlosen Zim-Dollar einführte, wurde seine Stelle als „Transactions Clerk“ überflüssig. Zuvor war die Inflation auf Prozentwerte mit so vielen Nullen geklettert, die kaum noch zu überblicken waren. Ausgerechnet die Währungsreform, die Besserung bringen sollte, kostete Kucherera seinen Job.
„Es ist eine Sache des Stolzes“
Motiviert von Freunden und anderen Ausgewanderten beschloss er wegzuziehen. „Alle sprachen damals von Südafrika, schickten schöne Fotos“, erinnert er sich. Jetzt weiß er, dass die Bilder nicht die Wahrheit zeigten. „Niemand lässt sich vor einer Wellblechhütte oder einem von Migranten besetzten Haus ohne Strom und Wasser fotografieren. Es ist eine Sache des Stolzes.“ In Südafrika angekommen, folgte ein Job auf den anderen, viele knochenhart und schlecht bezahlt. Trotzdem blieb Kucherera am Ende mehr zum Leben als in Simbabwe, obwohl er auch die Familie daheim unterstützte.
Heute wohnt er mit seiner Frau und dem zwei Jahre alten Sohn im Zentrum von Kapstadt, unweit des berühmten früheren „District Six“. Die Apartheid-Regierung hatte das Viertel mit seiner bunt gemischten Bevölkerung in den Sechzigerjahren über Nacht plattmachen lassen. Seitdem ist die Fläche unbebaut, eine Narbe im Stadtbild. Sie erinnert an die Zeiten, als schwarze Menschen, unter ihnen Einwanderer aus anderen afrikanischen Staaten, in Südafrika staatlich angeordneter Gewalt und Vertreibung ausgesetzt waren.
Die Kuchereras teilen sich drei karge Zimmer mit Küche mit einer siebenköpfigen Familie aus dem Kongo. Außerhalb, in den Townships, wo viele Südafrikaner mit ähnlichem Einkommen leben, wäre die Miete niedriger, sagt Kucherera. Trotzdem hat er sich dagegen entschieden. Nicht nur, weil die Pendelkosten beträchtlich wären. Wie ihre kongolesischen Mitbewohner fühlt sich die Familie in der Innenstadt auch sicherer. „Man lebt permanent in der Angst, der Nächste zu sein“, sagt er. Der Nächste, der auf dem Heimweg beschimpft, ausgeraubt und vielleicht niedergestochen wird.
Knapp 30 Jahre nach dem Ende der Apartheid und der Übernahme der Regierung durch die frühere Widerstandsbewegung Afrikanischer Nationalkongress (ANC) schwappt eine Welle der Fremdenfeindlichkeit über das „Land von Nelson Mandela“. Angriffe auf ausländische Migranten sind kein neues Phänomen. Neu aber ist, dass die Hatz heute besser organisiert ist und seit Kurzem unter dem Deckmantel der Bekämpfung illegaler Beschäftigung stattfindet. Das macht die Fremdenfeindlichkeit salonfähig.
Die bekannteste Bewegung hat den Namen „Operation Dudula“. Mit Slogans wie „South Africa First“ machen die Anführer und ihre Gefolgsleute Jagd auf illegale Migranten, durchkämmen in selbst organisierten „Razzien“ die Mitarbeiterlisten von Arbeitgebern und verbreiten Angst und Schrecken. Unlängst kündigte die „Operation Dudula“ an, sich zu einer Partei wandeln zu wollen. Der „Kampf gegen illegale Einwanderung“ solle künftig im Parlament ausgetragen werden. Ähnliche Töne kommen auch von bestehenden Oppositionsparteien. Im kommenden Jahr wird in Südafrika gewählt, und der ANC bangt um seine absolute Mehrheit.
Zurück nach Simbabwe wollen die wenigsten
Als Südafrikas Innenminister Aaron Motsoaledi bekannt gab, die Aufenthaltsgenehmigung ZEP für Simbabwer nicht weiter zu verlängern, lag die Vermutung nahe, es handle sich um ein Wahlkampfmanöver. Der Minister wiederum verwies darauf, dass die 2009 eingeführten Genehmigungen, die anfangs „Zimbabwean Special Dispensation Permit“ (ZSP) hießen, ursprünglich nur sechs Monate lang gültig sein sollten. Immer wieder wurden sie verlängert. Jetzt sollen die ZEP-Besitzer Visa beantragen wie andere Ausländer. Unerwähnt aber bleibt, dass Südafrikas Einwanderungsbehörde unter dem Ansturm fast kollabiert und Visa selbst für hoch qualifizierte Fachkräfte ausländischer Konzerne kaum zu bekommen sind.
Heute besitzen rund 180.000 Männer und Frauen das besondere Visum. Zurück nach Simbabwe wollen die wenigsten. Über die Jahre hinweg haben sie im Gastgeberland Jobs gefunden, Familien gegründet, sich ein neues Leben aufgebaut. Meist sprechen ihre Kinder außer Englisch keine der 16 simbabwischen Amtssprachen. Unterstützung für ihren Verbleib kommt auch aus der Wirtschaft. Die Arbeitslosenquote in Südafrika ist hoch. Trotzdem ließen sich die vielen Stellen nicht problemlos neu besetzen, wenn plötzlich Tausende Beschäftigte aus Simbabwe das Land verlassen müssten oder illegal in Südafrika blieben. Bei Arbeitgebern genießen die Simbabwer einen guten Ruf.
Es kommen verführerische Töne von jenseits der Grenze
Die südafrikanischen Verfassungsrichter, die das Ende der Sonder-Visa für die Simbabwer vorläufig stoppten, argumentierten, die Betroffenen hätten keine Möglichkeit zu einer Stellungnahme gehabt. Die Regierung hätte die Auswirkungen auf Familien und Kinder berücksichtigen und längere Fristen setzen müssen. Jetzt muss Innenminister Motsoaledi alles noch einmal prüfen.
Derweil kommen verführerische Töne von jenseits der Grenze. Das Ende der Sonder-Visa sei ein „Segen“, warb Simbabwes Präsident Mnangagwa. „Hier zu Hause“ gebe es für die Rückkehrer viele Möglichkeiten, „einen Beitrag zu leisten“. Zugleich profitiert der simbabwische Staat aber auch von denjenigen, die im Ausland bleiben. Geldüberweisungen aus der Diaspora sind eine wichtige Devisenquelle für das heruntergewirtschaftete Land.
Neue Visaanträge, wie es sich der südafrikanische Innenminister wünscht, haben bisher nur wenige ZEP-Besitzer eingereicht. Klagen über absurde Bürokratie, hohe Kosten und Korruption sind zu hören. Vor der simbabwischen Botschaft in Kapstadt kam es zu Protesten, weil die Behörde angeblich Bestechungsgelder für die Ausgabe von Identifikationsdokumenten verlangt hatte. Womöglich verfliegt aber auch langsam das Interesse an Südafrika. In den Netzwerken von Simbabwern finden sich dieser Tage viele Posts über die Chancen außerhalb Afrikas. Vor allem Großbritannien taucht dort oft auf.
Oswald Kucherera erwägt, sich um ein Künstler-Visum in Südafrika zu bemühen. Aber eigentlich hat auch er genug davon, immer wieder Anträge auszufüllen, von einer Behörde zur nächsten zu laufen, mit der Angst vor Ausweisung zu leben. „Mir kam in den Sinn, dass Grenzen nach der Sklaverei möglicherweise das Zweitgrausamste sind, was Afrika je widerfahren ist“, hat er auf den Bucheinband seines Romans drucken lassen.
In der Ecke hinter dem Tresen denke er oft an eine Rückkehr, erzählt er. Nicht mehr Kwerekwere genannt zu werden, etwas Eigenes aufzubauen. Seine Familie hat ein Stück Land in Simbabwe. Kucherera spart für einen Brunnen. Diese Träume aber zerplatzen, wenn er von seinen Landsleuten in der Heimat hört. Sie sagen, sie könnten sich kaum noch Brot und Öl zum Kochen leisten.