Tuesday, April 11, 2023
Kommentar zu Macrons China-Politik: Paris auf Distanz zu Amerika
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kommentar zu Macrons China-Politik: Paris auf Distanz zu Amerika
Artikel von Peter Sturm • Gestern um 18:47
In dem Moment, da die Volksrepublik China gegenüber ihrem angeblichen Landesteil Taiwan klassisch imperialistische Kanonenbootpolitik betreibt, gäbe es Grund genug für den französischen Staatspräsidenten, dass er sich besorgt zeigte. Emmanuel Macron macht sich aber nicht etwa Gedanken über das Schicksal der demokratischen Inselrepublik. Er findet, Europa müsse aufpassen, in dem Konflikt nicht zu eng an die Seite der Vereinigten Staaten zu geraten. Sogar von angeblich drohendem „Vasallentum“ ist die Rede.
Nun wissen die Europäer spätestens seit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten, dass auf Washington nicht mehr in jeder Lebenslage Verlass ist. Eine ähnliche Konstellation kann es schon nach der Präsidentenwahl 2024 wieder geben. Macrons Analyse, Europa müsse nach so etwas wie strategischer Autonomie streben, ist deshalb nicht von vornherein falsch. Und es ist auch richtig, dass ein auf sich allein gestelltes Europa mit dem Krieg in der Ukraine überfordert wäre.
Auf dem Weg in die Geschichtsbücher
Nur sollte ein Politiker, der seit sechs Jahren im Amt ist, wissen, dass Bemerkungen wie diese nicht zu jeder Zeit angemessen sind. Die chinesische Führung jedenfalls wird es gerne gehört haben, dass der Mann, den sie gerade ausgesucht höflich empfangen hatte, auf Distanz zu der Macht geht, die Peking als einzigen ernsthaften Widersacher ansieht.
Emmanuel Macron ist wegen der Rentenreform innenpolitisch in großer Bedrängnis. Er hat außerdem nur noch etwa vier Jahre im Präsidentenamt vor sich. In einer solchen Situation machen sich Politiker schon einmal Gedanken über ihren Platz in den Geschichtsbüchern. Starke Worte wie der angebliche „Hirntod“ der NATO oder der heldenhafte Widerstand gegen einen „Vasallenstatus“ gegenüber Amerika erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dort an prominenter Stelle erwähnt zu werden. Wichtiger wäre allerdings, wenn Macron sagte, was er konkret tun will, damit die Imperialisten in China und Russland in ihre Schranken gewiesen werden.