Wednesday, April 19, 2023

Der geselllschaftliche Zusammenhalt in Deutschland wird in Frage gestellt

WELT Artikel von Michael Fabricius • Vor 5 Std. Die Regierung hat sich auf neue Heizungsregeln geeinigt. Die Union kritisiert eine Energiewende „mit der Brechstange“, die Wirtschaft warnt vor hohen Kosten. Leistungsempfänger sind vom neuen Gesetz ausgenommen. Und der Minister selbst? Kann sich privat zurücklehnen. Das Bundeskabinett hat am Mittwoch die umstrittenen Pläne zum Heizungstausch beschlossen. Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck (Grüne) und Bauministerin Klara Geywitz (SPD) bewerteten den entsprechenden Gesetzentwurf als großen Schritt. Von 2024 an soll möglichst jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Mit der entsprechenden Novelle des Gebäudeenergiegesetzes (GEG) soll der Abschied von Gas- und Ölheizungen eingeläutet werden. Die Regeln gelten für sämtliche Wohn- und Nichtwohngebäude in Deutschland. Geplant ist auch ein neues Fördersystem, das unter bestimmten Voraussetzungen einen „Klimabonus“ vorsieht. „Das Gesetz wird nicht dazu führen, dass jemand ohne Heizung dasitzt oder dazu gezwungen sein wird, sein Haus zu verkaufen“, sagte Geywitz. „Es gibt großzügige Übergangsfristen und Ausnahmeregelungen, etwa auch für Häuser unter Denkmalschutz.“ Von einer „Schubumkehr“ sprach Habeck. „Wir haben Handlungsbedarf.“ Der Wärmebereich stehe für 30 Prozent des Energieverbrauchs, davon stammten 80 Prozent aus fossilen Energieträgern. Die FDP forderte indes noch am Tag der Verabschiedung Nachbesserungen, die man im noch anstehenden parlamentarischen Verfahren einbringen wolle. Von der Opposition und Immobilienverbänden kam scharfe Kritik. Das GEG sei nicht sozial verträglich und in vielen Fällen nicht umsetzbar, heißt es. „Verordnen heißt noch lange nicht, dass es in der Praxis auch funktioniert“, lautete eine Stellungnahme des Bundesverbands deutscher Wohnungs- und Immobilienunternehmen GdW. Rein formal können Eigentümer und Immobiliengesellschaften selbst darüber entscheiden, wie sie die 65-Prozent-Regel einhalten wollen. So ist der Anschluss an ein Wärmenetz ebenso möglich wie Stromdirektheizungen, solarthermische Anlagen, Biomasse-Heizungen etwa mit Pellets oder Gasheizungen, die verbindlich auf Wasserstoff umgestellt werden können, sowie Hybridvarianten. In den meisten Fällen dürfte es jedoch auf die Wärmepumpe hinauslaufen, die den Großteil der Energie aus der Umwelt bezieht. Für viele bedeutet das einen doppelten Heizungskauf Eine sofortige Austauschpflicht für Heizungen in Bestandsgebäuden gibt es nicht. Falls ein Gerät kaputtgeht und nicht mehr repariert werden kann, dürfen Hauseigentümer vorübergehend noch einmal eine Gas- oder Ölheizung einbauen – spätestens nach drei Jahren allerdings muss dann die 65-Prozent-Pflicht erfüllt sein. Für die meisten Haushalte dürfte das auf einen doppelten Heizungskauf plus Installation innerhalb weniger Jahre hinauslaufen – erst eine Gasheizung, dann eine zusätzliche Wärmepumpe. Spätestens bis 2045 sollen alle Heizungen nicht mehr mit fossilen Energieträgern, sondern nur noch mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Ausgenommen von der 65-Prozent-Regel sind Bürger, die Sozialtransfers bekommen, also beispielsweise Bürgergeld oder Wohngeld. Auch Hauseigentümer, die 80 Jahre und älter sind, „müssen sich nicht um das Gesetz kümmern“, so Habeck. Alle anderen jedoch, die sich nicht an die GEG-Regeln halten, müssen laut Entwurf mit 5000 Euro Bußgeld rechnen – jedes Jahr. Die Bundesregierung will mit einem neuen Fördermodell soziale Härten abfedern und jene Bürger belohnen, die die neuen Regeln übererfüllen. Grundsätzlich soll es im Rahmen der bestehenden Bundesförderung effiziente Gebäude (BEG) 30 Prozent Zuschuss für eine neue „klimafreundliche“ Heizung geben. Darüber hinaus ist ein „Klimabonus“ geplant: Für Hauseigentümer, die einen alten Öl- oder Gaskessel früher als vorgeschrieben austauschen, die mit der neuen Heizung einen höheren Erneuerbaren-Anteil als 65 Prozent erreichen oder die im Falle einer Havarie gleich auf eine klimafreundliche Heizung umstellen, obwohl sie das nicht müssten. Die Finanzierung des neuen Förderprogramms soll über den Klima- und Transformationsfonds des Bundes erfolgen. Das bestehende Fördervolumen werde aufgestockt. Habeck und Geywitz behaupteten, trotz aktuell höherer Investitionskosten für klimafreundlichere Heizungen werde sich ein Umstieg auf lange Sicht lohnen. Wegen der Ausweitung des EU-Emissionshandelssystems auf den Gebäudesektor werde der Betrieb von Gas- und Ölheizungen in den nächsten Jahren sehr viel teurer. Geywitz meint, Preise für Wärmepumpen dürften sinken Studien zufolge könnte die Emission von einer Tonne CO2 schon ab 2027 etwa 150 Euro teurer werden. Für einen größeren Familienhaushalt könnte das jährliche Mehrkosten von 750 Euro bedeuten. Geywitz sagte zudem, sie gehe davon aus, dass die Preise für Wärmepumpen in den kommenden Jahren angesichts der Förderung deutlich sinken dürften. Die FDP sieht indes erheblichen Nachbesserungsbedarf am Gesetzentwurf. In einer Protokollerklärung zum Kabinettsbeschluss forderte Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner eine „praxistaugliche und finanzierbare“ Umsetzung des Grundsatzes der Technologieoffenheit. Lindner trug die Protokollerklärung im Namen der FDP-Minister vor, wie es hieß. In der Erklärung heißt es, das Finanzministerium stimme dem Gesetzentwurf „im Bewusstsein“ zu, dass die Fraktionen des Bundestages im parlamentarischen Verfahren den Entwurf intensiv beraten und auch „weitere notwendige Änderungen“ vornehmen werden. „Klar ist, dass dieses Gesetz im parlamentarischen Verfahren weiter überarbeitet werden muss. Viele Fragen zur Umsetzbarkeit sind noch offen“, sagte Daniel Föst, wohnungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion. Die Union warf der Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP eine Wärmewende mit der „Brechstange“ vor. Fraktionsvizechef Jens Spahn (CDU) sagte, auf Eigenheimbesitzer und Mieter kämen große Kosten zu. Die genaue finanzielle Förderung sei unklar. Niemand könne zudem sagen, woher die Handwerker für den Einbau klimafreundlicher Heizungen kommen sollten. Der CDU-Energieexperte Andreas Jung sagte, zwar stehe im Gesetzentwurf eine Technologieoffenheit. In Wahrheit gebe es eine Einseitigkeit zugunsten der Wärmepumpe. Teils heftige Kritik kam aus der Immobilien- und Wohnungswirtschaft. „Die geplanten Eingriffe sind massiv“, sagte Axel Gedaschko, Präsident des Wohnungswirtschafts-Verbands GdW. „Die Bezahlbarkeit der Energiewende und mit ihr der gesellschaftliche Zusammenhalt in Deutschland stehen auf dem Spiel.“ Fernwärme wäre oft die bessere Variante Der GdW fordert mehr Förderung für energetische Sanierung, aber auch längere Übergangsfristen für Wärmenetze. Für Hauseigentümer und Wohnungsgesellschaften gelten die Austauschpflichten schon ab 1. Januar 2024, doch Kommunen sind erst ein Jahr später zu einer Wärmenetzplanung verpflichtet. Gerade für ältere Mehrfamilienhaus-Siedlungen ist ein Anschluss ans Fernwärmenetz jedoch häufig eine technisch bessere Variante. Auch beim Verband kommunaler Unternehmen VKU, der unter anderem die Stadtwerke vertritt, ist man skeptisch: „Die Zeit für die Umstellung ist viel zu knapp“, sagte VKU-Hauptgeschäftsführer Ingbert Liebing. „Netzbetreiber können die Vorgaben unmöglich fristgerecht erfüllen. Deshalb sollten die Fristen verlängert werden. Zumindest Übergangsfristen sind dringend notwendig – zum Beispiel für Wärmenetze beim Einsatz von KWK-Anlagen, beim Vorliegen einer Transformationsplanung sowie bei Härtefällen.“ Die Grünen-Co-Vorsitzende Ricarda Lang sprach hingegen von einem guten Tag fürs Land und einem guten Tag fürs Klima. „Wir machen uns auch dort unabhängig von fossilen Energien.“ Greenpeace-Energieexperte Andree Böhling sagte, das Gesetz sei ein Meilenstein für den Klimaschutz in Deutschland. „Für 41 Millionen Haushalte, die zum überwiegenden Teil noch mit Öl und Gas heizen, gibt es jetzt eine klare Richtung für einen sozialverträglichen Weg zum klimafreundlicheren Heizen.“ Wirtschaftsminister Habeck jedenfalls kann sich zurücklehnen. Seine Privatwohnung in Flensburg werde bereits mit Fernwärme geheizt. Ob das allerdings so klimafreundlich ist, wie sich Greenpeace das wünscht, ist fraglich: Der Fernwärme-Energiemix in Flensburg bestand 2022 aus 71 Prozent Steinkohle und 23 Prozent Erdgas. mit dpa