Thursday, April 20, 2023
Arbeitgeber drohen Heil mit „Fundamentalopposition“
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Arbeitgeber drohen Heil mit „Fundamentalopposition“
Artikel von Dietrich Creutzburg • Gestern um 23:35
Arbeitgeberpräsident Stefan Wolf legt sich mit Arbeitsminister Hubertus Heil an.
Dass Hubertus Heil (SPD) von Arbeitgebern üblicherweise nicht als Verbündeter wahrgenommen wird, liegt nahe. Dennoch wurde der Bundesarbeitsminister über weite Strecken seiner mittlerweile fünfjährigen Amtszeit auch in der Wirtschaft für politische Professionalität und einen gewissen Pragmatismus respektiert. Neuerdings aber scheint kritische Distanz gegenüber Heil zunehmend häufiger in offenen Ärger umzuschlagen. Allein seit Ostern hat Heil zweimal politische Pflöcke in einer Art eingeschlagen, die von Arbeitgebervertretern als Affront aufgefasst wird. Die aktuellen Stichworte lauten: Arbeitszeitgesetz und Mindestlohn.
Für die Arbeitgeber der Metall- und Elektroindustrie, deren Verbände gut 7000 Unternehmen vertreten, macht Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf nun diesem Ärger in klaren Worten Luft. „Der Bundesarbeitsminister ist eindeutig wortbrüchig geworden“, sagte Wolf der F.A.Z. „Mit Respekt vor Tarifautonomie und Sozialpartnerschaft hat eine solche Politik nichts mehr zu tun.“ Und er warnt: „Falls die Politik nicht aufpasst, erreichen wir bald einen Kipppunkt, an dem unser Wirtschaftsmodell so nicht mehr funktioniert.“
Der Vorwurf des Wortbruchs bezieht sich vor allem auf Heils jüngste Äußerungen zur Arbeit der Mindestlohnkommission, in der die Sozialpartner unabhängig von politischer Einmischung Vorschläge zur regelmäßigen Anpassung der Lohnuntergrenze erarbeiten sollen: Heil hatte zu Ostern in der Zeitung „Bild am Sonntag“ und dann auch vor Fernsehkameras die Erwartung geäußert, dass die Kommission in diesem Jahr eine „deutliche Erhöhung“ des Mindestlohns beschließen werde. Der nächste Beschluss des Gremiums, in dem je drei Gewerkschafts- und Arbeitgebervertreter einen Interessenausgleich finden sollen, steht zum 30. Juni an und betrifft die Anpassung zum 1. Januar 2024.
Politische Einmischungen regen auf
Die Empfindlichkeit gegenüber solchen Einmischungen ist ohnehin erhöht, da die Ampelkoalition gerade erst die Mindestlohnerhöhung auf 12 Euro zum 1. Oktober 2022 über die Kommission hinweg durchgesetzt hat, im Vorjahresvergleich ein Plus von 25 Prozent. Dazu hatte es viele politische Beteuerungen gegeben, dass dieser Eingriff eine einmalige Ausnahme bleibe, auch von Kanzler Olaf Scholz (SPD). Die Kommission solle frei und unabhängig arbeiten – so hätten es im Übrigen die SPD und ihre frühere Arbeitsministern Andrea Nahles bei der Einführung des gesetzlichen Mindestlohns im Jahr 2015 versprochen, erinnert Wolf.
Umso mehr Unmut löst vor diesem Hintergrund auch der von Heils Ministerium soeben vorgelegte Entwurf für ein neues Arbeitszeitgesetz aus. Damit soll künftig im Prinzip für alle Arbeitsverhältnisse elektronische Zeiterfassung vorgeschrieben werden – sogar für solche, in denen die Arbeitszeit „wegen der besonderen Merkmale der ausgeübten Tätigkeit nicht gemessen oder nicht im Voraus festgelegt wird“, wie es im Entwurf heißt. Nur mit expliziter Zustimmung einer Gewerkschaft wäre es in solchen Fällen künftig noch erlaubt, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer einvernehmlich auf Zeiterfassung verzichten.
Wolf ist nicht alleine
Nicht nur Gesamtmetall sieht in dem geplanten Paragraphenwerk faktisch die Abschaffung sogenannter Vertrauensarbeitszeit. „Das ist ein Affront gleichermaßen für Arbeitgeber und Beschäftigte, die dieses Instrument seit Jahrzehnten nutzen“, urteilt dazu der Maschinenbau-Verband VDMA. Und von „Politik für eine Werkstor-Republik“, die „keinerlei Rücksicht auf Praxistauglichkeit“ nehme, spricht Thomas Dietrich, Bundesinnungsmeister des Gebäudereinigerhandwerks. Gesamtmetall-Chef Wolf fasst sein Urteil mit diesen Begriffen zusammen: „Bürokratie hoch zehn“, „total widersprüchlich“ und „Verstoß gegen den Koalitionsvertrag“.
Tatsächlich hatten die Ampelparteien dort vereinbart, dass „flexible Arbeitszeitmodelle (z. B. Vertrauensarbeitszeit) weiterhin möglich sein“ müssten. Der Gesetzentwurf löst dies formal zwar ein – aber dazu definiert er den Begriff „Vertrauensarbeitszeit“ anders, als er im Alltag meist verstanden wird: Demnach bezeichnet der Begriff nicht einen einvernehmlichen Verzicht auf Zeiterfassung, wie es bisher etwa in Kreativ- oder Vertriebsberufen weit verbreitet ist. Vielmehr handelt es sich laut Gesetzentwurf um „Vertrauensarbeitszeit“, wenn der Arbeitgeber die Uhrzeit von Arbeitsbeginn und -ende nicht genau vorgibt. Und das soll erlaubt bleiben – aber verknüpft mit der neuen Pflicht, die Zeiten so zu dokumentieren, dass sie zwei Jahre lang behördlich kontrolliert werden können. Sonst drohen Bußgelder.
Schluss mit neuen umständlichen Vorgaben
„Das ist nicht Vertrauensarbeitszeit, sondern Gleitzeit“, stellt Wolf fest. „Sollen wir dem Arbeitsminister etwa dafür danken, dass Gleitzeit nicht verboten wird?“ Zugleich legt er Wert darauf, dass hinter aller Kritik der Arbeitgeber nicht das Ziel stehe, den Rahmen der wöchentlichen Arbeitszeit auszudehnen. Es könne aber nicht angehen, dass die Regierung Betrieben in einem ohnehin immer schwierigeren ökonomischen Umfeld schon wieder neue umständliche Vorgaben mache – zumal ihnen gerade erst das neue „Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz“ übergestülpt worden sei.
„Das alles kostet unsere Unternehmen ständig noch mehr Zeit, mehr Geld und mehr Personal – Ressourcen, die dann Innovation und Investitionen fehlen“, kritisiert der Gesamtmetall-Präsident. Zu den deutschen Stärken gehöre bisher die Kultur eines sozialpartnerschaftlichen Interessenausgleichs, fasst Wolf sein Lagebild zusammen. „Aber auf eine Politik, wie sie der Arbeitsminister derzeit ansteuert, können wir im Grunde nur mit Fundamentalopposition antworten.“