Friday, April 21, 2023

Die Grünen und die Angst der Hausbesitzer - Wie man eine Gesellschaft stark verunsichert

Frankfurter Allgemeine Zeitung Artikel von Andreas Nefzger • Vor 1 Std. Derart gefragt zu sein ist neu für Christine Schaller. Auch, dass die Politik in ihrem Job plötzlich eine so große Rolle einnimmt. Über Fördertöpfe und Bauvorschriften musste die Energieberaterin schon immer Bescheid wissen, aber gerade sind die Themen ein paar Nummern größer. Der Krieg in der Ukraine, die steigenden Gaspreise. Dazu noch der Kampf gegen den Klimawandel: In Berlin verbieten sie faktisch Öl- und Gasheizungen, in Brüssel diskutieren sie eine Dämmpflicht für Gebäude. Da suchen viele Schallers Rat. Als sie vor zwanzig Jahren als Energieberaterin für die Verbraucherzentrale Nürnberg anfing, wurde Schaller oft noch belächelt. Jetzt erzählt sie wie viele andere in der Branche von langen Wartelisten und Kunden, die sie mit Onlinekursen vertrösten muss. „Die Leute rennen uns seit dem Krieg die Bude ein, wir können den Andrang kaum bewältigen.“ Die Geschichten, die Schaller gerade erlebt, geben einen Eindruck davon, dass das mit der Wärmewende komplizierter werden könnte, als sich die Bundesregierung das vorstellt. Christine Schaller will, dass es gelingt. Das mit der Energieberatung macht sie aus Überzeugung. Schaller, die als freie Architektin arbeitet, wenn sie nicht gerade als Honorarkraft für die Verbraucherzentrale unterwegs ist, fährt ein E-Auto und engagiert sich ehrenamtlich in einem Eine-Welt-Laden. Als sie 2007 in Schwaig bei Nürnberg ein Haus aus den Fünfzigern kaufte, dämmte sie erst einmal ordentlich, verlegte eine Fußbodenheizung und baute sich eine Photovoltaik- und eine Solaranlage aufs Dach. Bald will sie sich eine Wärmepumpe anschaffen. „Mir geht es schon darum, dem Klimawandel entgegenzuwirken“, sagt sie. Seit zwanzig Jahren Energieberaterin: Christine Schaller im Garten der Familie Kuhl, deren Haus sie vom Keller bis in die Dachspitze untersucht. Was die Politik zurzeit macht, verfolgt Schaller dennoch mit Befremden. „So wie das gerade läuft, schafft das nur Verunsicherung“, glaubt sie. Als Schaller das sagt, ist die Diskussion über die Idee aus dem Wirtschaftsministerium, von 2024 an den Einbau von Öl- und Gasheizungen zu untersagen, gerade in vollem Gange. Seit dem Beschluss des Kabinetts am Mittwoch ist vieles klarer, aber die Unsicherheit damit nicht verschwunden. Wozu diese Verunsicherung führt, merkt Schaller immer wieder. Im vergangenen Jahr etwa hatten viele ihrer Kunden noch Angst, ihre Rechnungen nicht mehr zahlen zu können, und wollten so schnell wie möglich weg vom Gas – jetzt wollen plötzlich viele noch schnell eine Gas- oder Ölheizung einbauen, bevor es verboten wird. Verunsicherung spürt man auch bei Familie Kuhl im Nürnberger Stadtteil Thon, deren Haus Schaller an einem wolkenverhangenen Morgen vom Keller bis in die Dachspitze inspiziert. Im Jahr 2020 haben Dana und Johannes Kuhl die Immobilie gekauft: ein Reihenendhaus, vom Vorbesitzer relativ frisch saniert, mit kleinem Garten. Das, wovon viele junge Familien träumen, findet Dana Kuhl zurzeit „schon auch belastend“, erzählt sie mit Blick auf die vielen Krisen und Debatten. „Man weiß nicht, wo das alles hingeht“, sagt sie. „Auch für uns sind das große finanzielle Belastungen.“ Ihr Mann arbeitet als Ingenieur in der Autobranche, sie ist Ärztin, nach der Geburt der gemeinsamen Tochter gerade aber in Elternzeit. Dana und Johannes Kuhl haben sich nicht wegen Wirtschaftsminister Habeck an die Verbraucherzentrale gewandt, sie wollten sich schon länger einfach mal informieren, was sich an ihrem Haus noch so machen ließe. Er ist technikbegeistert und hat in Gedanken schon das Dach und die Garage mit Photovoltaik-Modulen zugedeckt. Sie nennt sich selbst die „Bremserin“, und jetzt wollen sie einfach mal den Rat einer Fachfrau. Von einer Photovoltaikanlage rät Christine Schaller den Kuhls dann nach wenigen Minuten ab. Nach einem kurzen Blick in die Unterlagen der Familie weiß die Energieberaterin, dass die drei deutlich weniger Strom verbrauchen als der Durchschnitt. „Bei ihrem niedrigen Verbrauch wird sich eine Photovoltaikanlage nicht rentieren“, sagt sie. Die Anschaffung, die Fixkosten, das müsste man erst mal wieder reinholen. „Aber so was kann sich schnell ändern, vielleicht wächst die Familie ja noch mal, und mit einem Teenager verbraucht man gleich viel mehr.“ Anschließend wirft Schaller einen Blick auf den Gasverbrauch, der ebenfalls recht niedrig ist, und dann geht es in den Keller zur Therme, die erst vor einigen Jahren eingebaut wurde. „Die würde ich jetzt nicht gleich rauswerfen wollen“, sagt Johannes Kuhl direkt. „Das wäre jetzt auch nicht ratsam“, sagt Schaller. „Klar ist es nicht ideal, mit Gas zu heizen, aber es wäre Ressourcenverschwendung, diese Heizung so früh wieder auszubauen.“ Der Energieberaterin fallen im Keller aber ein paar andere Dinge auf, mit denen sich Energie sparen ließe. Die Kuhls könnten etwas darüber nachdenken, die Decke im großen Kellerraum unter dem Wohnzimmer zu isolieren: „Das hilft einiges.“ Wenn man mit den Kuhls über ihr Haus in Nürnberg und die Lage in der Welt spricht, stößt man schnell auf einen Zwiespalt. Einerseits wollen sie sich „schon daran beteiligen, dass alles grüner wird und unabhängiger“, sagt Dana Kuhl, denn wenn das etwas werden soll, dann müssten alle mitmachen. Aber: „Das sind auch alles enorme Kosten.“ Ihr Mann äußert zudem Zweifel an den Maßnahmen der Bundesregierung. Klimaschädliche Heizungen zu verbieten und dafür einen klaren Zeitplan zu setzen, hält er prinzipiell schon für richtig. Aber woher soll der ganze Strom für die Wärmepumpen kommen? Woher die Handwerker, um die vielen Pumpen zu installieren? Nach der Heizung nimmt sich die Energieberaterin die Gebäudehülle vor. Als Schaller auf die Terrasse geht und gegen die Außenwand klopft, ist sie überrascht: keine Dämmung – damit hatte sie nach der umfassenden Sanierung nicht gerechnet. Rein optisch sieht die Fassade nicht so aus, als müsste daran etwas gemacht werden. Das zarte Gelb wirkt frischer als der Anstrich der meisten Nachbarhäuser. Schaller sagt: „Das tut mir leid zu sagen, aber das wäre der Hebel. Da müsste man ran, wenn man noch mehr Energie sparen will.“ Auf 40.000 Euro schätzt Schaller die Kosten für eine Außendämmung, es gäbe 15 Prozent Förderung. Die Kuhls haben schon früher darüber gesprochen. Sie zögern, weil sie vermutlich nicht für immer in dem Reihenhaus bleiben wollen. Irgendwann möchten sie selbst noch bauen. Johannes Kuhl hofft, sie könnten die Investition in die Dämmung beim Verkauf des Hauses wieder reinkriegen; seine Frau ist skeptisch. Schaller sagt: „Das Haus hat seinen Wert wegen der Lage, der Lage und der Lage, ob das am Ende gedämmt ist, ist dem Käufer wurscht.“ Gut möglich also, dass im Haus der Kuhls erst der nächste Eigentümer die Außenwände dämmt und eine Wärmepumpe installiert. Christine Schaller kennt viele Geschichten, in denen der politische Anspruch, die Wärmewende schnell einzuleiten, nicht zur Realität derer passt, die mithelfen müssten. Hinzu kommt: „Die Realität ist ja oft auch, dass sich die Leute das nicht leisten können.“ Häufig säßen vor ihr Rentnerehepaare in unsanierten Häusern aus den Siebzigern. „Denen braucht man nicht erzählen, dass sie jetzt noch für das Klima ihr Haus umbauen müssen.“ Gleichzeitig hat Schaller die Erfahrung gemacht, dass es auch eine große Bereitschaft gebe, zu klimaneutralen Alternativen zu greifen, wenn man den Leuten ihre Möglichkeiten gut erkläre. Als Energie­beraterin muss Schaller niemandem etwas verkaufen. Die Beratungen durch die Verbraucherzentralen sind kostenlos, und mit der Umsetzung möglicher Maßnahmen haben die Berater dann nichts mehr zu tun. Schaller sieht ihre Aufgabe darin, zu informieren. Ihre Lehre daraus: Anstatt die Menschen wie jetzt zu überrumpeln, sollte die Politik sie mitnehmen. Noch etwas hat Schaller festgestellt, das wohl einiges über den richtigen Weg zum Ziel verrät. Der große Andrang gerade habe wenig mit einem Bewusstseinswandel in der Gesellschaft zu tun. Eher als um das Klima sorgten sich die Leute um ihre Finanzen. Schaller sagt: „Wahrscheinlich ist es so, dass der Mensch oft erst dann handelt, wenn es unangenehm wird.“