Monday, April 17, 2023

"Das grenzt an Peinlichkeit" - Verdienstorden für Merkel

"Das grenzt an Peinlichkeit" Artikel von T - Online • Vor 9 Std. Verdienstorden für Merkel 16 Jahre lang regierte Angela Merkel Deutschland, nun erhält die frühere Bundeskanzlerin eine hohe Auszeichnung. Zu Recht? Auf keinen Fall, sagt Politikwissenschaftler Klaus Schroeder. Nur zwei Männer haben bislang die für einen Bundeskanzler höchstmögliche Stufe des Bundesverdienstkreuzes erhalten: Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Nun folgt ihnen Angela Merkel, Deutschlands frühere Langzeitregierungschefin. Wie gerechtfertigt ist die Ehrung mit Großkreuz in besonderer Ausfertigung? Politologe Klaus Schroeder ist skeptisch. t-online: Professor Schroeder, Angela Merkel erhält die für sie höchstmögliche Stufe des Bundesverdienstkreuzes. Ist diese Ehrung für die frühere Bundeskanzlerin angemessen? Klaus Schroeder: Das grenzt an Peinlichkeit. Ich halte es für verfehlt, sie mit diesem Verdienstorden auszuzeichnen. Was spricht denn für Angela Merkel – außer ihrer langen Kanzlerschaft von 16 langen Jahren? Die Kernfrage ist, ob Deutschland nach dem Ende von Merkels Amtszeit besser oder schlechter dasteht als zuvor. Deutschland steht nach Merkel viel schlechter da. Früher war die Bundesrepublik wirtschaftlich stark und konnte politisch mitmischen. Heute ist Deutschland nur noch eine Randfigur. Das haben wir Merkel zu verdanken. Klaus Schroeder, Jahrgang 1949, ist Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, zugleich leitet er den Forschungsverbund SED-Staat. Der Politikwissenschaftler ist unter anderem Experte für die Geschichte der DDR und der deutschen Teilung. 2020 erschien Schroeders Buch "Kampf der Systeme. Das geteilte und wiedervereinigte Deutschland". Zumindest in Europa hat Deutschland aber doch einige Bedeutung. Auch aus europapolitischer Sicht halte ich die Ehrung Merkels für falsch. Erinnern Sie sich an ihren Ausspruch "Wir schaffen das"? In der "Flüchtlingskrise" seit 2015 hatte sie sich in ihrer Funktion als Bundeskanzlerin über die Empfehlung der obersten Sicherheitsbehörden hinweggesetzt – und gut eine Million Menschen ins Land gelassen. Damit hat Merkel auch Europa entzweit, weil die meisten europäischen Staaten diese Art der Politik nicht guthießen. Auf der anderen Seite wurde Merkel für ihre damalige Entscheidung gelobt. So von den Vereinten Nationen wie vom damaligen US-Präsidenten Barack Obama. Immerhin ist Angela Merkel nicht Lobbyistin geworden, wie es ihr Vorgänger Gerhard Schröder für Russland getan hat. Bleiben wir bei Vorgängern: Außer Merkel haben nur zwei Politiker dieselbe Ordensstufe erhalten wie nun sie: Konrad Adenauer und Helmut Kohl. Waren diese Auszeichnungen gerechtfertigt? Absolut. Der Christdemokrat Konrad Adenauer hat als erster Bundeskanzler die junge Bundesrepublik in den Kreis der westlichen Demokratien geführt. Und erfolgreich eine eigenständige Rolle für das Land proklamiert. Helmut Kohl hingegen spielte später eine herausragende Rolle bei der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten. Auch wenn ihn die Spendenaffäre 1999 diskreditiert hat. Ohne den Fall der Mauer 1989 wäre Kohls Zeit als Kanzler wohl bald beendet gewesen. Ja, Kohl war damals fast am Ende. Mauerfall und Einheit haben aber dafür gesorgt, dass er es schließlich auf 16 Jahre im Kanzleramt gebracht hat. So wie Angela Merkel, die zu Beginn ihrer Karriere als "Kohls Mädchen" galt. 16 Jahre im Kanzleramt allein sind aber noch lange kein Grund für die nun erfolgende Auszeichnung. Sich so lange an der Macht zu halten, ist allerdings schon ein Kunststück. Was zeichnete Merkels Politikstil denn aus? Merkel war immer sehr geduldig, sehr vorsichtig, in der Regel hat sie versucht, ausgleichend zu wirken. Deshalb hat sie aber manche Entwicklungen, die sich dann zugespitzt haben, auch nicht rechtzeitig erkannt. Wie die Pläne Wladimir Putins in Hinsicht auf die Ukraine? Da war Merkel nicht vorsichtig genug, obwohl man ihr diese Eigenschaft immer nachgesagt hat. Der Fairness halber muss ich aber sagen, dass man hinterher immer schlauer ist. Spätestens seit der russischen Annexion der Krim durch Russland 2014 wurden insbesondere Polen und die baltischen Staaten es nicht müde, Deutschland vor der aufziehenden Gefahr zu warnen. Merkel hätte die Warnungen ernster nehmen müssen, ja. Sie hat nicht erkannt, worauf Putin aus ist: nämlich Russland in den Ausmaßen der alten Sowjetunion zu restaurieren. Daher hätte vielmehr Rücksicht auf unsere östlichen Partnerstaaten genommen werden müssen. Diese hatten sich Führung von Deutschlands als führender europäischer Wirtschaftsmacht erhofft. Wir wollen gerne Führungsmacht sein, sind es aber nicht. Genaugenommen versinkt Deutschland in Bedeutungslosigkeit. Wir sind gar nichts mehr, das ist auch eine Spätfolge der Merkel-Zeit. Sie hat die Rolle, die Deutschland innerhalb Europas hätte einnehmen müssen, nicht angenommen. Nun hat Merkel einmal aber außerordentlich schnell reagiert. 2011 kassierte sie nach der Nuklearkatastrophe im japanischen Fukushima die gerade erst erteilte Laufzeitverlängerung für die deutschen Atomkraftwerke. Das war ungewöhnlich für Merkel, dass sie so schnell und hart reagiert hat. Was bis heute vielen hierzulande nicht klar ist: In Fukushima war ja ein Tsunami ursprünglich verantwortlich. Bis heute wird immer noch erzählt, dass dort ein Atomkraftwerk explodiert wäre. Tatsächlich lehrt Fukushima, dass man besser in derart gefährdeten Regionen kein AKW baut. Merkel aber hat im Kurzschluss reagiert. Nun verstromen wir nach Putins Krieg gegen die Ukraine wieder Steinkohle und die Leute heizen ihre Öfen an. Wie beurteilen Sie Merkels Politik in der Corona-Pandemie? Corona ließ sich so nicht voraussehen, davon sind wir alle in Deutschland überwältigt worden. Merkels Jahre im Kanzleramt neigten sich zu Beginn der Pandemie bereits dem Ende zu. Sind 16 Jahre nicht einfach zu viel? Absolut. Ich bin sehr für eine Begrenzung der Amtszeiten von Bundeskanzlern auf zwei Perioden. Olaf Scholz wird als Merkels Nachfolger eine gewisse Ähnlichkeit zu ihr in der Amtsführung nachgesagt. Was sagen Sie dazu? Ich will es so ausdrücken. Wir bräuchten einmal jemanden im Kanzleramt, der über etwas mehr Charisma und Strahlkraft verfügt. Professor Schroeder, vielen Dank für das Gespräch.