Tuesday, April 11, 2023
„Es wird immer schlimmer“: Ein Berliner Makler redet Klartext über die Wohnungsnot
Berliner Zeitung
„Es wird immer schlimmer“: Ein Berliner Makler redet Klartext über die Wohnungsnot
Artikel von Jesko zu Dohna • Vor 5 Std.
„Es wird immer schlimmer“: Ein Berliner Makler redet Klartext über die Wohnungsnot
Eine Wohnung, Altbau, drei Zimmer, etwa 74 Quadratmeter für 1071 Euro warm in der City-West in Berlin-Charlottenburg. Angesichts des überhitzten Wohnungsmarktes in Berlin mit astronomisch steigenden Mieten und immer verzweifelteren Wohnungssuchenden klingt das nach einem Schnäppchen. Und das ist es auch. Der Andrang ist dementsprechend groß.
Kürzlich allerdings gingen dann weniger schöne Bilder um die Welt. Hunderte Wohnungssuchende standen diese Woche für eine Besichtigung in der Leibnizstraße 69 an. Die Schlange reichte zwischenzeitlich von der Wohnungstür 150 Meter weit bis zur Niebuhrstraße. Angeblich interessierten sich auf Immobilienscout24 mehr als 600 Menschen für die Wohnung. Ein Albtraum für alle Wohnungssuchenden, der das Bild vom prekären Wohnungsmarkt in Berlin erneut zu zementieren schien.
Doch ist es wirklich so schlimm in Berlin? Was ist der Grund für lange Schlangen vor den Wohnungen? Und wie kann man solche Situationen verhindern?
Wir haben den Berliner Immobilienmakler Janis Szisch, mit dem zusammen die Berliner Zeitung vor einem Jahr eine Wohnung vermietete, gefragt, wie es zu einem solchen Irrsinn kommen kann und was Vermieter und vor allem Mieter tun können, um ihre Chancen auf eine Wohnung zu erhöhen.
Herr Szisch, was ging Ihnen als Makler durch den Kopf, als Sie die Bilder und Videos von der Wohnungsbesichtigung gesehen haben?
Ich dachte mir, das muss doch nicht sein! Wie unangenehm für die Vermieter, in dem ganzen Durcheinander den einen glücklichen Mieter herauszusuchen. Und vor allem: wie zermürbend für die Mieter. Für mich als Makler und auch für die Interessenten ist eine solche Situation sehr unglücklich. Da scheint etwas gehörig schiefgelaufen zu sein. Leider ist es kein Einzelfall, dass eine viel zu große Anzahl an Interessenten zu einer Besichtigung eingeladen wird. Das höre ich öfters von Interessenten.
Wie sollte so was besser laufen?
Ich suche vorab unter den Anfragenden erst einmal die heraus, die auch zum Vermieter und zur Wohnung passen. Dann lade ich circa 30 bis 35 Interessenten zu einem Besichtigungstermin ein, der in vier Zeitslots á 15 Minuten geteilt ist. So habe ich immer maximal acht Interessenten in 15 Minuten anwesend, was die Situation entspannt. Jeder hat ausreichend Zeit und vor allem auch Platz, die Wohnung in Ruhe zu begehen, und im Anschluss beantworte ich dann außerhalb der Wohnung Fragen und erläutere den weiteren Bewerbungsablauf.
Ich habe durchweg gutes Feedback der Suchenden darauf erhalten und alle sind vor Ort entspannt und gut gelaunt. Und die, die ich nicht einladen kann, da die Zahl der Anfragen immer zu groß ist, bekommen wenigstens eine Absage. Das ist doch das Mindeste, was man als seriöser Dienstleister tun sollte. Die Leute investieren ja sehr viel Zeit und Mühe in die Wohnungssuche.
Wie geht man als Vermieter richtig vor? Und was müssen Mieter beachten?
Man sollte als Vermieter eine Vorauswahl treffen. Man regelt die ersten Anfragen im Portal oder per E-Mail. Dann kann man in Ruhe sortieren und die Favoriten anschreiben und gezielt einladen. Als Interessent würde ich zu einem öffentlichen Besichtigungstermin mit Massenbesichtigung nicht hingehen. Den Stress, das Gedränge und vor allem die Zeit sollte man sich sparen.
Sie suchen die potenziellen Mieter also schon vor der Einladung zur Besichtigung aus?
Ja. Grundsätzlich wichtig ist erst einmal: Verfügen die Interessenten über ein Nettoeinkommen von mindestens dem Dreifachen der Warmmiete? Ansonsten schaue ich noch auf die Personenanzahl oder ist eine Rufnummer angegeben. Hunde als Haustiere sind inzwischen oft nicht gern gesehen. Ich brauche keine Romane, lange Anschreiben und auch noch keine Unterlagen, sondern erst mal nur die wichtigsten Informationen, und gehe davon aus, dass diese dann auch belegbar sind, später.
Aber die richtigen Unterlagen wie Einkommensnachweise und Schufa sind doch ein wesentliches Kriterium?
Ja, aber nach der Besichtigung. Der Interessent muss sich ja erst einmal auf die Wohnung bewerben wollen. Wir arbeiten mit sensiblen Daten und müssen ja auch den Datenschutz beachten. Generell sollten die Unterlagen ordentlich, sauber und vor allem strukturiert sein, denn hier trifft der Vermieter seine finale Entscheidung. Ein „unordentliche“ Bewerbung macht eben auch einen unordentlichen Eindruck.
Sind also viele Mieter selber schuld?
Manchmal ja. Wer organisiert ist, „erzwingt“ sein Glück eher. Ziemlich viele kriegen schon das aber nicht hin. Ich sage es bei jeder Besichtigung. Aber 50 Prozent der Leute schaffen es nicht. Ordentliche Mieter haben auch ordentliche Unterlagen. Das ist das, was ein Vermieter sucht. Die Mieter wollen ja auch einen ordentlichen Vermieter, der sich um ihre Belange und auch das Objekt kümmert. Es beruht also auf Gegenseitigkeit.
Wie viel Zeit und Aufwand muss man investieren?
Früher, bis 2012, war ich als Makler für einen Vermieter ja froh, wenn jemand zur Besichtigung kam. Es gab mehr Angebot als Nachfrage. Manchmal gab es auch einen 500-Euro-Gutschein für Ikea als Motivation für den neuen Mieter. Heute hat sich das komplett geändert. Heute ist die Wohnungssuche ein Teilzeitjob neben dem Hauptjob, mit viel erforderlicher Flexibilität, um zeitlich und örtlich Besichtigungen wahrnehmen zu können. Die meisten Online-Inserate sind ja wegen der großen Nachfrage maximal Stunden online und dann deaktiviert. Ich habe schon gehört, dass sich manche nicht trauen, duschen zu gehen, weil sie dann eine Anzeige verpassen. Das kann zermürben.
Kriegt eigentlich immer derjenige die Wohnung, der am meisten Geld hat?
Nein. Ein kleiner Trost für Wohnungssuchende: Es bekommt nicht immer derjenige die Wohnung, der am meisten Einkommen und Vermögen hat, sondern der, zu dem die Wohnung abgesehen von den finanziellen Grundvoraussetzungen am besten passt. Das bedeutet, die Vermieter suchen meist den gesunden Durchschnittsinteressenten aus. Da gehören viele Faktoren zusammen, die auch sozial bedacht werden sollten.
Wir haben mit Ihnen vor einem Jahr eine Wohnung in Wedding vermietet. Keine besondere Wohnung. Trotzdem gab es mehr als 650 Anfragen. Wie hat sich die Situation in Berlin seitdem entwickelt?
Katastrophal! Ich sehe hier auch keine Verbesserung der Situation in den nächsten Jahren. Anders als vor zehn Jahren ist inzwischen in fast allen Lagen Berlins eine riesige Nachfrage nach Wohnungen. Ich bekomme täglich Nachfragen für Beauftragungen zur Wohnungssuche. Das ist schon nicht handelbar für mich.
Viele tun sich die öffentliche Wohnungssuche ja gar nicht mehr an und warten, bis im Freundeskreis irgendeine Wohnung frei wird.
Ja, funktioniert aber leider meistens auch nicht so richtig, da dort dann auch Absprachen unter Freunden getroffen werden, die der Vermieter nicht akzeptiert, zum Beispiel. Oder die privaten Anzeigen, bei denen Nachmieter gesucht werden, bei Ebay etwa. Das ist das „Darknet der Wohnungssuche“. Man muss sich alleine mal diese Inserate anschauen, wer da alles einen Nachmieter zu welchen Konditionen sucht. Da wollen die Leute manchmal 10.000 Euro für die „Einbauküche“ als Ablöse, obwohl die Küchenzeile nur 1000 Euro Wert ist. Nur damit einer sich seinen Umzug versilbert. Und die Schönheitsreparaturen soll der Nachmieter dann auch noch machen! Das kann doch nicht wahr sein!
Das klingt alles ziemlich katastrophal.
Es gibt noch schlimmere Sachen: Mieter, die ihre Vier-Zimmer-Wohnung, für die sie 500 Euro bezahlen, an vier Untermieter vermieten und dann viermal 500 Euro Untermiete bekommen. Und die stehen dann manchmal vorne bei der Demonstration gegen hohe Mieten. Wir machen uns den Mietmarkt selber kaputt, weil jeder immer nur an sich selber denkt und mit profitieren will. Ich denke, dass das auch unser aktuell größtes gesellschaftliches Problem ist!