Saturday, November 26, 2022

Peter Gauweiler über Klimaaktivisten und die Lust am Aufbegehren

Frankfurter Allgemeine Zeitung Peter Gauweiler über Klimaaktivisten und die Lust am Aufbegehren Artikel von Timo Frasch • Vor 11 Std. Herr Gauweiler, jüngst habe ich mit dem Musiker Leslie Mandoki gesprochen, dessen Tochter vor ein paar Jahren gegen die Abholzung des Hambacher Forsts demonstrierte und dabei vom Baum fiel. Mandoki erzählte, seinerzeit hätten Sie ihn bei einem zufälligen Treffen beglückwünscht, dass er die Tochter zum Revoluzzertum erzogen habe. Hört sich an, als hätten Sie Sympathien für die Klimaaktivisten. Findet, der Staat müsse gegen Klimaaktivisten „nicht den Hulk geben“: der ehemaliger CSU-Umwelt- und Innenpolitiker Peter Gauweiler, hier am 25. Januar 2018 in München Die menschliche Barbie schminkt sich ab, und die Ärzte haben keine Worte Hmm. Sie lassen einen jedenfalls nicht gleichgültig – als Vater oder wenn man im Stau steht. Haben Sie wegen der „Letzten Generation“ schon mal im Stau gestanden? Letzten Freitag in Berlin konnte ich mir auf der Fahrt in die Stadt die Akteure anschauen. Da saßen so zehn Buben und Mädchen, und die kraftlose Berliner Polizei stand ratlos in Scharen drum herum. Wenn ich noch politisch tätig wäre, würde ich langsam die Hauptstadtfrage stellen. Was hätten Sie in Ihrer Zeit als bayerischer Innenstaatssekretär gemacht? Wir haben damals bei den Blockaden an der Zufahrt zur atomaren Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf gesagt, es ist mit der Menschenwürde des Polizeibeamten nicht vereinbar, dass er Zwei-Zentner-Leute wie auf einem Kaiserstuhl wegtragen muss. Also: Androhung unmittelbaren Zwangs und dann ein kleiner Armhebel. Dann standen die schon auf. Heute sind sie doch festgeklebt. Wahrscheinlich würde ich heute den Verkehr umleiten und die Demonstranten ein bisschen sitzen lassen. Sie empfinden keine Sympathie für die jungen Leute? Ich war – offen gesagt – immer aufseiten des wehrhaften Staates, es wäre Anbiederei, wenn ich hier was anderes behaupten würde. Aber ganz fremd ist mir ein Gefühl des Verstehens auch wieder nicht. Vor ein paar Jahren haben meine Frau und ich in Paris eine schöne „Gilets ­jaunes“-Demons­tration erlebt, die „Gelbwesten“. Und wir mittendrin und auch gleich mitdemons­triert. Im Nebel von Tränengas auf den Champs-Élysées. Herrlich! Warum mitdemonstriert? Widerstand, Trotz und Aufbegehren sind doch auch ein Teil von einem selber. Kritiker würden sagen: Das ist der Faschist in dir. Andere: der Anarchist. Zusätzlich zum Übermut auch eine fausthafte Verzweiflung: Und seh, dass wir nichts ändern können, das will mir schier das Herz verbrennen. Das Nachdenken darüber ist in mir drin, aber auch der Ärger, das „Hau ab und schleich di“. Ich nenne das die ewige Podiumsdiskussion in mir selbst. Eben die scheint nicht gerade eine Stärke Ihrer Partei, der CSU, zu sein. Da wird nur draufgehauen auf die Aktivisten. „Klima-RAF“, härtere Strafen . . . Also, den Alexander Dobrindt, auf den Sie hier ja anspielen, verteidige ich gerne. Er ist einer der ganz wenigen in der Union, die noch die Traute haben, was Anstößiges zu sagen. Es gehört doch zur ganzen Wahrheit, dass, wenn Leute anfangen, ihre Meinung so absolut zu stellen wie die Klimakleber, ein verantwortlicher Bundespolitiker sagen muss: Wir lassen euch das nicht durchgehen. In der „Süddeutschen Zeitung“ stand jüngst zu lesen: „Wenn Menschen nicht auch das tun, was zwar nicht erlaubt, aber in ihren Augen richtig ist, gibt es keinen Fortschritt.“ Alles wahr, aber die bayerisch-bürgerliche CSU ist nicht gegründet als die Partei für Suffragetten und Bilderstürmer. Zum Bürgerlichen gehört es, auf die Wohltat des Einhaltens von Regeln hinzuweisen. Dafür brauchen Sie so brave Typen, wie wir alten CSUler es waren. Was Mandoki betrifft: Natürlich muss man zur eigenen Tochter stehen. Aber Leslie weiß, wie alle guten Väter, zu sagen: Bitte runter vom Baum. Und würdest du bitte deinen Bachelor fertig machen. Die christlichen Parteien berufen sich ja auf Jesus. Der hat die Einhaltung der Gesetze auch nicht so wichtig genommen. Jesus sagt aber auch: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist.“ Und im Römerbrief 13 steht, dass jede Obrigkeit von Gott kommt. Mein Jesus ist der, der am Schabbat gegen das Gesetz Kranke geheilt hat. Den gibt es auch. Diversity first. Ich finde auch, dass wir als Staat gegen die Klimaaktivisten nicht den Hulk geben müssen. Obrigkeitliche Selbstbeherrschung kann auch etwas Elegantes haben. Wie passt denn der Präventivgewahrsam zur angeblichen Liberalitas Bavariae? Gerade das ist doch bayerisch: „Mir brauchen a Anarchie und an starken Anarchen.“ Ist es ein Unterschied, ob Bauern Blockaden machen, Corona-Leugner oder die „Letzte Generation“? Juristisch natürlich nicht, aber die Macht der Gefühle ist nun eben auch da. Wie haben Sie Franz Josef Strauß im Umgang mit Ruhestörern erlebt? Ich erinnere mich an die Fußball-EM 1988, da hatte es wilde Ausschreitungen in Nordrhein-Westfalen gegeben. Da rief mich der Ministerpräsident an: „Ich mach Sie persönlich verantwortlich, wenn auch nur eine Scheibe in der Fußgängerzone zugrunde geht.“ Wir haben dann tatsächlich ganz wilde Fans, bei denen es Anzeichen auf Gefahr im Verzug gab, für einige Stunden aus dem Verkehr gezogen. Das hat schon Eindruck gemacht. Ein bisschen anders war es bei Protesten von LKW-Fahrern. Da ist der Strauß auch mal hin und hat gefragt: Wie geht’s, habt’s an Kaffee? Die Achtundsechziger können sich mit gewissem Recht als Sieger der Geschichte fühlen. Warum sollte das am Ende nicht auch den Klimaaktivisten gelingen? Stimmt. Der lange Marsch war erfolgreich. Aber die Frage ist ja: Fortschritt wohin? Wird das irgendwann das Ende aller Ordnung sein? Verfassungsschutzpräsident Haldewang sagte, die Klimaaktivisten respektierten sehr wohl die verfassungsmäßige Ordnung. Dem stimme ich nicht zu. Wenn ich Sie auf der Straße blockiere und Sie kriegen Panik, weil der Kindergarten, wo Sie Ihren Sohn abholen sollen, zumacht, dann ist das nicht in Ordnung. Und es ist auch nicht in Ordnung, wenn sich in einem Rechtsstaat mit staatlichem Gewaltmonopol der Verfassungsschutzpräsident auf diese Weise ein Fleißbildchen bei einer woken Regierungspartei und den Medien abholen will. Die Klimaaktivisten sagen, es sei die Regierung, die die Verfassung bricht. Sie können sich auf ein entsprechendes Karlsruher Urteil von 2021 berufen. In dem Urteil ist sehr viel Verfassungslyrik drin. Dass wir uns nicht falsch verstehen: Der Klimawandel ist ein Problem. Aber uns helfen nicht apodiktische Aussagen, für künftige, noch von niemandem gewählte Regierungen. Wir in Bayern waren mal sehr stolz auf unseren Energiemix: Wasser und Kernkraft. Dann haben wir den Ausstieg beschlossen, 2011, auch mit der Stimme von Peter Gauweiler, weil ich aus Bequemlichkeit mir gesagt habe, du kannst dich nicht in allem mit der Merkel-Regierung anlegen. In den Achtzigerjahren war ich als Innenstaatssekretär für die Sicherheit beim Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf verantwortlich und dass trotz der Proteste die getroffenen Regelungen vollzogen werden – letztlich ohne Erfolg. Heute weiß man, dass diese Proteste gefühlsstark-naiv waren und es falsch war, ihnen nachzugeben. Mal davon abgesehen, ob das als gesichertes Wissen gelten kann: Haben Sie manchmal Angst, dass Ihre Enkel dereinst sagen: Opa, warum hast du nicht mehr getan gegen die Zerstörung der Erde? Wie Sie wissen, war ich auch bayerischer Umweltminister – in der Zeit wurde in Bayern jede Woche ein neues Naturschutzgebiet ausgewiesen. Im Übrigen könnte man genauso gut fragen: Warum habt ihr nicht mehr getan gegen die unverantwortliche Geldpolitik der EZB? Ich habe immerhin beim Bundesverfassungsgericht dafür Grenzen durchgesetzt. Da fühlen Sie sich auf der sicheren Seite? Das wird sich später zeigen, vor einem anderen Richter.