Tuesday, November 29, 2022
Kommentar zur Fachkräfteeinwanderung: Im deutschen Interesse
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kommentar zur Fachkräfteeinwanderung: Im deutschen Interesse
Artikel von Johannes Pennekamp • Vor 6 Std.
Wer wissen will, wie es um das Einwanderungsland Deutschland steht, der muss nach Frankfurt schauen: 15.000 unbeantwortete Anfragen stapeln sich bei der Ausländerbehörde. Vor allem ausgebildete Arbeitnehmer, darunter 6700 Akademiker, warten auf die schicksalhafte Entscheidung, ob und wie es für sie hierzulande weitergeht.
An der Turbine: In vielen Arbeitsbereichen werden gute Fachkräfte benötigt – ob aus Deutschland oder dem Ausland
Deutschland, eine Volkswirtschaft, die bis 2035 altersbedingt 7 Millionen Arbeitskräfte verlieren wird und in der schon heute 1,8 Millionen Stellen unbesetzt sind, kann sich solche Zustände nicht leisten. Zumindest dann nicht, wenn sie ihren Wohlstand retten will. Ein neues Fachkräfteeinwanderungsgesetz sollte 2020 Abhilfe leisten. Es ist verpufft.
Im ganzen Land ähneln sich die Klagen der Betroffenen: Es ist zu kompliziert, Berufsabschlüsse aus dem Ausland anerkennen zu lassen. Die Verfahren kosten viel Geld, die Fristen zur Bearbeitung werden dennoch häufig gerissen. Die Behörden sind unterbesetzt, die Visa-Verfahren im Ausland dauern so lange, dass Deutschland für viele Arbeitnehmer von vorneherein unattraktiv ist.
Komplizierte Verfahren
Die Eckpunkte der Ampel-Regierung für eine verbesserte Einwanderung sind ein Lichtblick, aber kein Paradigmenwechsel. Zumindest auf dem Papier adressiert die Regierung die richtigen Themen: Wer im Ausland einen Berufsabschluss und zwei Jahre Berufserfahrung hat, soll in Deutschland arbeiten dürfen. „Gleichwertigkeit“ mit deutschen Abschlüssen soll eine geringere Rolle spielen, die Einschätzung deutscher Arbeitgeber eine größere. Die Verfahren sollen komplett digitalisiert und stärker standardisiert werden, Fristen eingehalten und Deutschland im Ausland durch ein Punktesystem, das unter dem Schlagwort „Chancenkarte“ beworben wird, attraktiver werden.
Ob das alles weitreichend genug ist, um die Fachkräftelücke zu schließen, bleibt abzuwarten. In den Unternehmen gibt es Skepsis, ob die komplizierten Verfahren in der Praxis durch die neuen Ideen tatsächlich entschlackt werden können und ob eine gewisse Willkür aus den Entscheidungen deutscher Behörden verschwinden wird. Viel kommt jetzt darauf an, das Gesetz so auszubuchstabieren, dass zum Beispiel das Votum des deutschen Arbeitgebers tatsächlich eine entscheidende Rolle spielt und die Ankündigung kein Lippenbekenntnis bleibt.
Mindestens genauso wichtig wie die neuen Paragrafen, die im Frühjahr auf den Weg gebracht werden sollen, ist noch etwas anderes: Der Geist, der durch das Papier weht – Fachkräfteeinwanderung muss gefördert statt erschwert werden – muss endlich in alle Ämter einsickern. Ohne diese Mentalität, die von den Führungskräften vorgelebt werden muss, wird es nichts. Es wäre im deutschen Interesse.