Monday, November 28, 2022
Bei Einbürgerung tappt Ampel in die Gerechtigkeitsfalle - wie beim Bürgergeld
FOCUS online
Analyse von Ulrich Reitz - Bei Einbürgerung tappt Ampel in die Gerechtigkeitsfalle - wie beim Bürgergeld
Artikel von Von FOCUS-online-Korrespondent Ulrich Reitz • Gestern um 17:09
Olaf Scholz und Nancy Faeser wollen es Ausländern leichter machen, Deutsche zu werden. Die Union sagt, die Regierung „verramsche“ den deutschen Pass. Die Debatte wird giftig. Hier die Fakten.
Bevor wir zur politischen Debatte über die Einbürgerungen kommen: Wen bürgert Deutschland eigentlich ein? Laut Statistischem Bundesamt kommen rund viermal so viele Neu-Deutsche aus nicht-europäischen wie aus europäischen Ländern. Die meisten von ihnen stammen aus Syrien und der Türkei.
Die Zahl der Einbürgerungen steigt stark an, weil sich immer mehr Syrer einbürgern lassen. Im vergangenen Jahr war es jeder fünfte. Wenn sich dieser Trend fortsetzt, werden in Deutschland Ende 2022 knapp 100.000 mehr Bundesbürger syrischer Abstammung leben.
Platz zwei bei den Einbürgerungen gehört den Türken, wobei die Zahl türkischer Einbürgerungen stark abgenommen hat. Vor 20 Jahren ließen sich noch mehr als 60000 Türken in Deutschland einbürgern, im vergangenen Jahr waren es noch 12000. Skeptiker sehen darin ein Zeichen zunehmender Abkapselung von Türken in Deutschland, gerade der jungen Generation.
Einbürgerung nicht mehr Ende der Integration
Man sieht jedenfalls an den hohen Zahlen, wie sich Deutschland verändert – ob sich das Deutschtum verändert, ist eine Streitfrage. Denn Voraussetzung für die Einbürgerung ist die Integration, wozu mindestens die deutsche Sprache gehört – plus, finanziell auf eigenen Füßen zu stehen. Einbürgerung steht bislang am Ende der Integration.
Dies will die Ampelkoalition nun ändern. Am besten lässt es sich mit dem Bürgergeld, just beschlossen, vergleichen: so wie die Regierung das Verhältnis zwischen Fordern und Fördern verschob, so will sie jetzt das Verhältnis zwischen Integration und Einbürgerung verschieben. Einbürgerungen sollen schneller kommen, nach fünf statt nach acht Jahren, bei guter Integration nach drei statt nach sechs Jahren.
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Von der Sechsjahres-Regelung profitieren gerade die Syrer aus Angela Merkels „Willkommenskultur“. Und weil Integration die Voraussetzung ist für Einbürgerung kann man festhalten, dass Deutschland geschafft hat, was Merkel versprach als sie den Satz sagte: „Wir schaffen das.“
Es gibt aber auch die andere Seite von „2015“: Zwei Drittel der Syrer stecken sieben Jahre nach dem großen Treck gen Westen immer noch in der Langzeitarbeitslosigkeit, also in Hartz IV, demnächst Bürgergeld, fest. Deren Integration hat also Deutschland nicht geschafft, denn Integration heißt immer auch: Integration in den Arbeitsmarkt.
Ungleichbehandlung bei Bürgergeld
Jene zwei Drittel Syrer in Hartz IV bekommen von Januar an, wie alle Bezieher des Bürgergelds, gut zehn Prozent oder 50 Euro mehr. Mehr als 40 Prozent derjenigen, die „Stütze“ bekommen, sind Ausländer. Damit ist klar: ein erheblicher Teil von Menschen, die nie in das System eingezahlt haben, profitieren von den Einzahlungen anderer. Es ist eine Ungleichbehandlung, auch deshalb war die Debatte um das Bürgergeld so giftig.
Das wird bei der Einbürgerung kaum anders werden. Im Prinzip ist das auch richtig, Streit gehört grundsätzlich zur Demokratie. Und wer hier Deutscher werden kann, ist eine sehr wichtige Frage. Und eine, die ihre ganz eigenen Tücken hat. Viele jener Marokkaner, die gestern nach dem Sieg ihrer Fußballmannschaft in Belgien Krawalle veranstaltet hat, dürften einen belgischen Pass haben. Will sagen:
Ohne Integration keine Einbürgerung. Aber die Einbürgerung ist auch wieder keine Garantie für Integration – vor allem nicht, wenn es um die Kinder früh Eingebürgerter geht. Die können sich auch wieder desintegrieren – oder religiöser werden, was in Bezug auf die meisten heißt: islamischer und damit: kulturfremder. Ein Phänomen, das im Verfassungsschutzbericht steht.
Diskussion wird noch schärfer
Die Debattenfront ist dieselbe wie beim Bürgergeld, vereinfacht gesagt: die Ampelparteien, voran der Bundeskanzler, reden von Vertrauen und Respekt. Die Unionsparteien, voran Friedrich Merz und Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, von Skepsis und Vorsicht und „Pull-Faktoren“, also Anreizen zu weiterer illegaler Einwanderung. In der Tat: Wenn man als Migrant nach kürzerer Zeit als Bisher Deutscher werden kann, ist das das Gegenteil von Abschreckungspolitik.
Die Ampelkoalition plant eine grundsätzliche Änderung, welche die Diskussion noch einmal verschärfen dürfte. Das bisher gültige, von der Großen Koalition aus Union und SPD zuletzt sogar noch einmal verschärfte Einbürgerungsrecht, geht von einer grundsätzlichen Unmöglichkeit von Doppelstaatsangehörigkeiten aus. Das neue Einbürgerungsrecht, dessen Entwurf die Innenministerin Nancy Faeser fertig hat, geht von einer grundsätzlichen Möglichkeit von zwei Staatsangehörigkeiten aus.
Was ein Weniger an Integration bedeuten würde: Wer, auch wenn er Deutscher wird, seinen syrischen oder türkischen oder afghanischen Pass behalten darf, hat weniger Anreize, es mit dem Deutschtum so ernst zu meinen wie mit dem Deutschsein.
Doppelstaatler wären privilegiert
Damit nicht genug: Doppelstaatler sind in gewisser Weise privilegiert. Sie haben mehr Rechte als die „Ur“-Einwohner mit nur einem Pass. Das mag im Fall von Syrern und Türken eine bloß theoretische Möglichkeit sein, aber Politik muss sich eben auch mit dem Gefühl von Benachteiligung auseinandersetzen. Wenig wird so emotional geführt wie Gerechtigkeitsdebatten.
Zumal hier eine Chance liegt für die AfD. Zu deren permanentem Sound, man hört es in sehr vielen Bundestagsdebatten, die These gehört: der linksgelben Koalition lägen Ausländer mehr am Herzen als Inländer. Aus diesem und auch aus anderen Gründen befindet sich einer der Koalitionspartner, die FDP, in einer Zwickmühle.
Die Wirtschaft, landläufig die FDP-„Kundschaft“, befürwortet jeden Schritt zur Integration, ergo auch Einbürgerungen, wobei Doppelpässe für die Industrie keine Rolle spielen. Ihnen geht es um Arbeitskraft, nicht um Staatsangehörigkeit. Aber viele bürgerliche Wähler ist die Einwanderung, die dann folgende Einbürgerung ebenso ein Dorn im Auge wie das Bürgergeld, das leistungslos gewährt wird, ein Verstoß ist also zum liberalen Grundsatz: Leistung muss sich lohnen. Die Zwickmühle wird deutlich an einem Tweet des Bundesjustizministers.
Humanitär statt illegal
Marco Buschmann: „Nach Deutschland führen humanitäre Zuwanderung und reguläre Einwanderung. Bei der Einwanderung gilt, dass alle helfenden Hände im Arbeitsmarkt willkommen sind, aber niemand, der nur die Hand im Sozialsystem aufhalten möchte. Das gilt auch für die Staatsbürgerschaft.“
Buschmann ist Verfassungsminister, das macht seine Stellungnahme wichtig. Von rechts wird Buschmann nun angefeindet, weil er von „humanitärer Zuwanderung“ spricht. Und nicht von: illegaler Einwanderung. Illegal, weil Migranten in anderen europäischen Ländern schon sicher waren, bevor sie nach Deutschland kamen.
Und von links wird dem Liberalen vorgehalten, man dürfe doch nicht eine Verbindung von Einwanderung in Sozialsysteme – die ohnehin von Linken bestritten wird – zum Staatsbürgerschaftsrecht ziehen.
Eine Einbürgerung ist emotional
Diese Verbindung gibt es aber: den Lebensunterhalt für sich und seine Familie kann man als Langzeitarbeitsloser eben auch vom Bürgergeld bestreiten. Und wenn man sechs Jahre unbescholten in Deutschland lebt, kann man sich dann auch zum Deutschen machen lassen. So jedenfalls die Befürchtung vieler in der Union.
Für die Koalition ist nun die Frage, inwieweit der Bundesjustizminister noch in den Gesetzentwurf der Bundesinnenministerin eingreift. Die Sache wird aber ohnehin, wie schon das Bürgergeld, im Vermittlungsausschuss landen. Die unionsregierten Bundesländer werden den Faeser-Entwurf sicher nicht durchwinken. Das hat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann schon klar gemacht.
In einem hat der Bundeskanzler recht, und damit wird Olaf Scholz Politik machen, er hat schon angefangen damit. Eine Einbürgerung ist oft eine bewegende Sache, das hat wohl jeder erfahren, der schon einmal dabei war. Menschen, die zum Teil lange in Deutschland leben, bekommen vom Bürgermeister im Rathaus im Angesicht der Deutschlandfahne eine Einbürgerungsurkunde überreicht – womit sie nun Deutsche sind. Viele von ihnen, Männer haben oft einen Anzug an, Frauen ihr bestes Kleid, erzählen bei diesem „Staatsakt“ herzerwärmende Geschichten. Nicht selten fließen Tränen der Erleichterung.