Tuesday, November 29, 2022
Warum Nancy Faeser in Qatar vor allem für Verstimmung gesorgt hat
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Warum Nancy Faeser in Qatar vor allem für Verstimmung gesorgt hat
Artikel von Christoph Ehrhardt • Vor 3 Std.
Auftritt mit Sprengkraft: Innenministerin Nancy Faeser mit der „One Love“-Armbinde im Stadion in Doha
Der qatarische Energieminister Saad al-Kaabi lobte die Beziehungen zu Deutschland, als er am Dienstag einen Deal verkündete, der die langfristige Lieferung von verflüssigtem Erdgas aus Qatar nach Deutschland sicherstellt. Es soll an den amerikanischen Konzern Conoco-Phillips verkauft werden, der den begehrten Rohstoff nach Brunsbüttel liefern soll. Kaabi bezeichnete das Geschäft als „eine konkrete Demonstration“ des qatarischen „Engagements für die Deutschen“.
Der staatliche Energiekonzern Qatar Energy, dessen Chef al-Kaabi ist, sei auch im Gespräch mit deutschen Unternehmen über weitere Gaslieferungen. „Wir haben gute Beziehungen zu deutschen Unternehmen und zur deutschen Regierung“, sagte er. Alles in Ordnung, könnte man meinen. Aber der freundschaftliche Ton des Energieministers, der zugleich Geschäftsmann ist, passt nicht so recht zur Stimmung in Qatar.
Das Wohlwollen ist verpufft
Der Gasdeal, um den es auch Irritationen gegeben hat, scheint eher ein Zeichen dafür zu sein, dass in Doha das Geschäft vorgeht, auch wenn es politisch knirscht. Und die warmen Worte al-Kaabis dürften eher als Zeichen der Entspannung verstanden werden, denn als Ausdruck der Harmonie. Solche Töne sind in Doha nämlich derzeit die absolute Ausnahme. Das große Wohlwollen und Vertrauen gegenüber Deutschland, das es in den vergangenen Jahren gab, scheint binnen kurzer Zeit verpufft zu sein. Die bilateralen Beziehungen sind in einer heiklen Phase und beschädigt.
Die Stimmung in der qatarischen Hauptstadt wird treffend durch einen bissigen Witz ausgedrückt, der derzeit unter Einheimischen gerissen wird: „Mal sehen, ob die Deutschen, wenn sie ihren Gasdeal unterschreiben, auch so eine bunte Armbinde tragen.“ Darin steckt der Vorwurf der Doppelmoral, der von den Qatarern als Dauergegenargument gegen – auch in der Sache berechtigte – Kritik ins Feld geführt wird.
Deutschland habe kein Problem mit Energiepartnerschaften oder mit qatarischer Hilfe bei Evakuierungsoperationen wie in Afghanistan, sagte Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani Anfang November der F.A.Z. „Aber wenn wir eine Fußballweltmeisterschaft ausrichten, diesen Moment genießen und zusammen mit der deutschen Mannschaft feiern wollen, dann gelten auf einmal andere Maßstäbe. Das können wir nicht verstehen.“
Der Armbindenwitz ist aber auch eine Referenz an den jüngsten Auftritt der deutschen Innenministerin Nancy Faeser. Sie hat in Qatar, dieses Bild ergibt sich aus vielen Gesprächen, einen diplomatischen Flurschaden hinterlassen. Unter deutschen Wirtschaftsvertretern herrscht Sorge, das schlechte politische Klima könnte sich aufs Geschäft auswirken.
Influencer liefen Sturm
Der Auftritt Faesers mit der Antidiskriminierungsbinde „One Love“ auf der Ehrentribüne, bei dem sie nach glaubwürdigen Berichten großen Wert auf entsprechende Bilder legte, ist die jüngste Episode eines Zerwürfnisses, das in großen Gesten, aber auch kleinen Nickligkeiten Ausdruck gefunden hat. Die Ministerin war nach einem ersten Besuch in den ersten Novembertagen zum zweiten Mal nach Qatar gereist. Sie erreichte dabei vor allem Empörung in der qatarischen Öffentlichkeit, deren Aussagen meist nicht groß von der offiziellen Wahrnehmung abweichen.
Influencer liefen Sturm auf Twitter. „Doppelmoral“ lautete ein Vorwurf. „Arroganz“ ein anderer. Die „schamlose“ deutsche Ministerin sei mit einer „Homosexuellenflagge“ aufgetreten, schrieb ein Sportjournalist. Ein anderer Influencer schrieb, Gott sei stärker gewesen, und habe den Deutschen zur Vergeltung eine Niederlage auf dem Platz beschert. Über die deutsche Nationalmannschaft ergoss sich ebenfalls Häme für die Schweigezwangsgeste vom Mannschaftsfoto. Dass die Spieler sich damit gegen die Bevormundung durch den Fußball-Weltverband FIFA zur Wehr setzten und nicht den Gastgeber kritisieren wollten, ging in der aufgeheizten Stimmung unter. Die Temperatur hatte Faeser tatkräftig mit in die Höhe getrieben.
Irritationen gab es schon, bevor die auch für den Sport zuständige Innenministerin auch nur einen Fuß auf qatarischen Boden gesetzt hatte. Ihr Besuch fiel in eine Zeit, in der in Doha die Stimmung gegenüber der Kritik aus dem Ausland an der Ausbeutung ausländischer Gastarbeiter und der Repression gegen die LGBTQ-Community gekippt war. Die Führung verfolgte die Tonlage westlicher Politiker sehr genau und reagierte empfindlich.
Emir Tamim bin Hamad Al Thani machte das in einer Ansprache wenige Tage vor dem ersten Faeser-Besuch deutlich: Man habe die anfänglich konstruktive Kritik zunächst „in gutem Glauben“ angenommen, sagte er. Bis sein Land mit einer „Kampagne“ konfrontiert gewesen sei, die „Erfindungen“ ebenso beinhalte wie „Doppelmoral“. In Doha wurde in höheren Kreisen damals schon ein historischer Bogen von den andauernden Ermahnungen zum Schutz der Wanderarbeiter und der LGBTQ-Community und dem missionarischen Sendungsbewusstsein der Kreuzfahrer gespannt. Hassan als Thawadi, Chef des WM-Organisationskomitees, der zu den liberalen Vertretern seines Landes zählt, sagte westlichen Vertretern: „Würgt es uns doch nicht ständig rein.“
Das Kanzleramt musste sich einschalten
Der erste Faeser-Besuch war also gewissermaßen das erste Mal, dass eine härtere Haltung gegenüber dem Westen exerziert werden sollte. Entsprechend war die Reaktion auf ihre Äußerungen vor dem Besuch, als sie erklärte, die WM-Vergabe an „ein Land wie Qatar“ sei „total schwierig“, und „Sicherheitsgarantien“ unter anderem für homosexuelle WM-Besucher verlangte. Der Besuch stand danach auf der Kippe. In Doha gab es einige, die ihn absagen wollten; das Kanzleramt musste sich einschalten. Aber die Stimmung war so vergiftet, dass noch vor Ort das Programm beeinträchtigt wurde.
Darin war eine Veranstaltung im Museum für Sklaverei in Doha vorgesehen, die die positive Botschaft hätte überbringen können, dass sich Qatar auch problematischen Aspekten seiner Geschichte stellt. Auf qatarischer Seite muss der Eindruck entstanden sein, man wolle von deutscher Seite eine Verbindungslinie zur problematischen Gegenwart der Wanderarbeiter ziehen. Anders ist es kaum zu erklären, dass im Museum kurzfristig Feueralarm geschlagen wurde und der Termin verlegt werden musste.
Auch die Treffen mit den qatarischen Funktionären halfen nicht, die Stimmung zu verbessern, oder besser: die Auftritte danach. Als Faeser verkündete, sie habe von Regierungschef Khalid bin Khalifa Al Thani die gewünschten „Sicherheitsgarantien“ erhalten, rief sie damit in Doha Verwunderung und neuen Unmut hervor. Der Regierungschef wäre mit einer solchen Zusage ungewöhnlich deutlich von der üblichen qatarischen Sprachregelung abgewichen, die gebetsmühlenartig von allen Funktionären wiederholt wurde: Es sei jeder in Qatar willkommen, niemand müsse um seine Sicherheit bangen, man verlange nur, die Kultur des Gastgeberlandes zu respektieren. Und das, um eine Ministerin zufriedenzustellen, deren Besuch fast abgesagt worden wäre.
Der Außenminister stellte später denn auch in der F.A.Z. „bei allem Respekt“ noch einmal klar, die „Sicherheitsgarantien“ seien überhaupt nicht nötig gewesen. Er sprach von „Fehlinformationen“ und zeigte sich verärgert darüber, dass deutsche Regierungspolitiker versuchten, auf Kosten seines Landes innenpolitisch zu punkten. Auch bei anderen Beobachtern des Besuchs entstand der Eindruck, Faeser habe während ihrer Doha-Visite vor allem den großen Qatar-Verdruss in Deutschland im Blick gehabt.
Tatsächlich war die Sicherheit aller WM-Besucher auch schon von der FIFA verlangt worden. Qatar, auch das war kein Geheimnis, hatte also – gewissermaßen um die Mindestanforderungen der FIFA zu erfüllen – seine Gesetze für die Zeit des Turniers mehr oder minder außer Kraft zu setzen. Das Spiel war schon aus Russland bekannt.
In Doha wurde der Eindruck, Faeser gehe es eher um die deutsche Öffentlichkeit als um die Sache, durch eine weitere Dissonanz verstärkt. „Die Regierung hat sich sehr daran gestört, dass die Ministerin in den Treffen weitaus entgegenkommender und höflicher war als bei ihren öffentlichen Auftritten“, heißt es aus einer regierungsnahen Quelle. Man müsse es genau andersherum machen, wenn man wirklich etwas erreichen wolle.