Wednesday, November 30, 2022
Kommentar zur Einbürgerung: Ein unwiderrufliches Signal
Frankfurter Allgemeine Zeitung
Kommentar zur Einbürgerung: Ein unwiderrufliches Signal
Artikel von Reinhard Müller • Gestern um 12:15
Die Klage ist so alt wie berechtigt: Es fehlt in Deutschland an Fachkräften ebenso wie an Integration. Eine weitere Mahnung ist ebenso berechtigt: Die Flüchtlingskrise von 2015 soll sich nicht wiederholen. Gemeint ist: unkontrollierter Zustrom, Überforderung, Missachtung bestehender Regeln.
Die Regierung heißt willkommen
Eine Million Kriegsflüchtlinge allein aus der Ukraine befinden sich zurzeit in Deutschland – zehnmal mehr als in Frankreich. Zahlreiche weitere kommen aus anderen Teilen der Welt. Die Netto-Zuwanderung ist auf dem höchsten Stand seit der Wiedervereinigung. In den Kommunen ist die Lage angespannt. Zudem sind Hunderttausende Migranten in Deutschland ausreisepflichtig, werden aber nicht abgeschoben. Zigtausende befinden sich in langen Asylverfahren.
Hürden senken?
Und was plant die Ampelkoalition ausgerechnet jetzt? Hürden für die Einbürgerung sollen fallen, die Fristen zum Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit verkürzt werden; die Möglichkeiten, mehrere Staatsangehörigkeiten zu haben, sollen erweitert werden. Die Koalition betont den „riesigen“ Bedarf an Fachkräften und das vermeintlich dringende Bedürfnis nach einem „modernen“ Staatsangehörigkeitsrecht. „Wer auf Dauer hier lebt und arbeitet“, so Bundeskanzler Olaf Scholz, „der soll auch wählen und gewählt werden können, der soll Teil unseres Landes sein.“
Das ist jetzt schon so. Es kann keine Rede davon sein, dass, wer hier auf Dauer lebt und arbeitet, geradezu davon abgehalten wird, Deutscher zu werden. Es gibt allerdings in der Tat erstaunliche Hürden, die auch westliche Ausländer treffen. Aber dass es um eine Entscheidung geht, dass man nicht alles haben kann, auch das ist Teil der Wahl, die Staatsangehörigkeit eines Landes anzunehmen. Wer hier nie wirklich seine Heimat sah, wer – was sein Recht ist – jeden Cent in sein Herkunftsland schickt, wer auch sonst in jeder Hinsicht nie hier angekommen war, der wollte auch nicht wirklich Deutscher werden. Er sollte es auch nicht.
Es ist zu befürchten, dass die Ampel, wenn ihre Pläne verwirklicht werden, kaum eines ihrer Ziele erreicht und noch Öl ins Feuer gießt. Doch was für Ziele eigentlich genau? Wenn es wenigstens eine Idee gäbe. Eine Idee von diesem Land. Warum wir gute Leute brauchen. Was aus Deutschland werden soll. Warum es gute Gründe gibt, sich hierzulande für etwas – was? – zu engagieren.
Aber nein. Es geht darum, wie die SPD-Vorsitzende exemplarisch sagt, „den konservativen Muff von diesem Land abzuschütteln“. Das Einwanderungsrecht, denn darum geht es eigentlich, wird also als ideologische Spielwiese gesehen. Das ist so, als wenn die Bundeswehr in eine woke Quotentruppe mit 30-Stunden-Woche und Sabbatical-Anspruch just in dem Moment umgewandelt würde, in dem der Feind vor der Tür steht.
Zum Glück ist die FDP aufgewacht, wenn auch erst ein Jahr nach Unterzeichnung des Koalitionsvertrags. Sie pocht nun auf ein „Gesamtpaket“. Die Großwetterlage muss tatsächlich berücksichtigt werden. Es wäre staatspolitisch fatal, einen weiteren Anreiz zu setzen, nach Deutschland zu kommen, koste es, was es wolle. Die Staatsangehörigkeit lässt nämlich dann, so die aktuelle Botschaft, nicht lange auf sich warten.
Kein ernstes Wort bisher dagegen von Regierung und Ampel zu massenhafter Einwanderung nach Deutschland, die dem Geist europäischen und deutschen Rechts widerspricht und das Asyl- und Einwanderungssystem (das kaum voneinander zu trennen ist) als Schönwetterhaus offenbart. Die Anstrengungen, den sinkenden Anteil deutscher Staatsangehöriger partout zu erhöhen, sind offenbar wesentlich größer als die dringend erforderlichen Mühen, sich um eine nationale und europäische Lösung der Eindämmung der Migration zu bemühen und Verfahren wirklich zu beschleunigen. Es dürfen nicht gut Integrierte abgeschoben und gar nicht Integrierte eingebürgert werden.
Die echten Probleme
Zumal die echten Integrationsprobleme nicht damit behoben werden, dass ein deutscher Pass ausgestellt wird. Weder Rassismus in der deutschen Gesellschaft noch solcher in Migrantenkreisen hängen am Pass, der ja auch niemandem ins Gesicht geschrieben steht. Eine flächendeckende Einbürgerung schafft aber Fakten. Wer Deutscher ist, gehört dazu. Er sollte keine Gefahr darstellen, keine Loyalitätskonflikte verspüren und fremde Konflikte nicht ins Land tragen.
Ausbaden müssen eine falsche Einwanderungspolitik und ein Wegducken vor den wahren Problemen weniger die aktuellen Ampelpolitiker, wohl aber zunächst Schüler, Lehrer, Sozialarbeiter, Polizisten. Manche alten Fehler können wir nicht durch neue wiedergutmachen – vor allem nicht durch fundamentale Weichenstellungen, die sich nicht rückgängig machen lassen.