Wednesday, June 29, 2022

Pillen, Schnaps und keine Feuerpause: Unter welchem Einfluss im Krieg gekämpft wird

TÖTEN UNTER DROGEN Pillen, Schnaps und keine Feuerpause: Unter welchem Einfluss im Krieg gekämpft wird Ein Rundgang durch die Geschichte der Drogen im Krieg führt von Rum über Panzerschokolade bis hin zu den Go-Pills der US-Kampfpiloten Alois Pumhösel 30. Mai 2022, 06:00 Nicht nur Pillen kamen in Kriegen zum Einsatz, um die Leistungsfähigkeit zu steigern. Auch in der Berichterstattung über den russischen Angriffskrieg in der Ukraine taucht der Verweis auf den Alkohol hin und wieder auf. Auf die Droge wird verwiesen, wenn über die niedrige Moral russischer Truppen, über irrationale oder ineffiziente militärische Vorgehensweisen und – was am schwersten zu ertragen ist – grundlose Tötungen von Zivilistinnen und Zivilisten berichtet wird. Das tatsächliche Ausmaß des Alkoholkonsums der Soldaten, das hinter den vereinzelten Erwähnungen in Augenzeugenberichten oder Geheimdienstmeldungen steht, ist kaum zu erahnen. Mutmaßlich ist es sehr hoch. Das liegt nicht nur daran, dass Russland zu den weltweiten Spitzenreitern beim Alkoholkonsum gehört, was etwa auch die Lebenserwartung maßgeblich drückt. Alkohol – und, wenn verfügbar, auch andere Drogen – ist Teil so gut wie jedes Krieges. Die Geschichte militärischer Konflikte ist voll von Beispielen dafür. Töten unter Drogeneinfluss Für die unheilige Allianz von Drogen und Krieg gibt es viele Erklärungen. Eine davon: "Die meisten Menschen wollen nicht wirklich töten. Man muss schon tief in die Psyche eingreifen, um die nötigen Voraussetzungen dafür zu schaffen. Drogen sind ein Mittel dafür." Das hat sich in der Geschichte der Kriegsführung immer wieder gezeigt, erklärt Ilja Steffelbauer. Er beschäftigte sich als Wissenschafter an der Universität Wien und in einschlägigen Büchern mit Militärgeschichte. Heute ist er im Wissensmanagement der Donau-Uni Krems tätig. "Es gibt etwa Versorgungsberichte zum Schnapskonsum britischer Soldaten in den Napoleonischen Kriegen, die offenbar ständig mehr oder weniger besoffen waren", gibt Steffelbauer ein Beispiel. Psychologische Konditionierung Natürlich schadet die Betäubung, die es einfacher macht, die Schrecken des Krieges zu ertragen, der Einsatzfähigkeit der Soldaten. Langfristig gesehen gilt das natürlich auch für aktivierende Substanzen wie Kokain oder Methamphetamine, wie bereits die Geschichte der beiden Weltkriege zeigt. "Heute gilt: Je professioneller eine Armee ist, desto weniger behelfen sich ihre Soldaten mit Drogen", sagt Steffelbauer. Für die nötige psychologische Konditionierung sorgt in modernen Armeen das Ausbildungsregime: "Letztlich wird die Persönlichkeit ,neu aufgesetzt‘, damit sie den Anforderungen des Krieges entsprechen kann", sagt der Militärhistoriker. Damit sinke auch der Bedarf an Drogen. "Ein professionelles Heer sucht auch nicht nach Menschen, die im Kampf und dem einhergehenden Risiko einen natürlichen Rauschzustand suchen." Für fortgeschrittene Ausbildungsprogramme, für die die Soldaten psychologisch intensiv durchleuchtet werden, kämen diese kaum infrage. Leistungssteigerung Dennoch: Ohne chemisch forcierte Leistungssteigerung geht es auch hier nicht. In den USA sind aus den Kriegseinsätzen der vergangenen Jahrzehnte die "Go-Pills" und "No-go-Pills" bekannt, die etwa für Konzentrationsförderung und Schlafmanagement von Piloten eingesetzt werden. "Der Krieg in der Ukraine zeigt wieder, dass ein großer Teil der Kriegsführung aus Logistik besteht. Kann die Einsatzzeit eines Piloten gesteigert werden, entsteht ein Vorteil, der Druck aus der dahinterliegenden Logistik nimmt", sagt Steffelbauer. Auch hier werden Pharmazeutika auf Basis von Amphetaminen eingesetzt. Kritik daran gibt es nicht zu knapp. US-Piloten, die in Afghanistan befreundete Truppen bombardiert haben, gaben etwa an, dass durch die Go-Pills ihr Urteilsvermögen getrübt war. Tägliche Rumration Für Steffelbauer beginnt die Geschichte von Drogen als relevantem Kriegsphänomen erst so richtig im 16. Jahrhundert, als erstmals destillierte Alkoholika zur Verfügung standen. In der Antike galt der Wein, der zwar in Mengen, aber fast ausschließlich stark verdünnt getrunken wurde, als Lebensmittel, das immerhin gesünder als verschmutztes Wasser war. Ähnliches gilt für das Bier im Mittelalter. "Die Rolle als Droge war weniger groß. Der Schnaps gibt dem Ganzen aber eine neue Qualität", sagt der Historiker. Überseekolonien brachten billigen Rum, der die Seekriege jahrhundertelang begleitete. Dass in der britischen Royal Navy erst 1970 die offiziell letzte tägliche Rumration ausgegeben wurde, lässt deren Bedeutung erahnen. "Morphinisten" in der Zwischenkriegszeit Im ausgehenden 19. Jahrhundert veränderte sich die Verfügbarkeit von Drogen fundamental. Neue chemische Verfahren ließen es zu, die Naturstoffe aus Kokastrauch oder Schlafmohn zu extrahieren und zu konzentrieren. Kokain ließ Piloten des Ersten Weltkriegs länger durchhalten. Morphine waren ein willkommenes Schmerzmittel bei Verletzungen. Dass es danach schwer war, von der Substanz wieder loszukommen, davon zeugten die vielen "Morphinisten" der Zwischenkriegszeit. Im Zweiten Weltkrieg begann man in Deutschland schließlich damit, Soldaten systematisch Methamphetamine in Form des Arzneimittels Pervitin zu verabreichen, um Hunger und Schlaf zu unterdrücken und die Stimmung aufzuhellen. Heute kennt man den Inhaltsstoff der damaligen "Panzerschokolade" unter dem Namen Crystal Meth. Die Droge als Feind Die Kontexte, in denen Drogenkonsum betrachtet wird, waren damals andere, Zuschreibungen als Medizin, als leistungssteigernde Hilfsstoffe waren noch stärker ausgeprägt. Eine Zunahme negativer Konnotationen geht mit der Etablierung von Gegenkulturen und eines Antiestablishments in den USA ab den 1950er-Jahren einher. Auch diese Gruppen interessierten sich für Drogen. "Damit beginnt sich das Bild der Drogen zu wandeln. Sie werden zum Feind, zum Distinktionselement, mit dem man Gegenkulturen von Hippies bis zu schwarzen Bürgerrechtlern abwerten kann", sagt Steffelbauer. In den USA mündet die Entwicklung schließlich im bekannten "War on drugs". Er half, das Land zum Spitzenreiter bei der Zahl von Gefängnisinsassen zu machen. Heroin im Vietnamkrieg Klar ist, dass die individuellen und kollektiven Krisen und Belastungen des Krieges den Rauschmittelkonsum ansteigen lassen. Und natürlich bleibt es nicht dabei. Ein gutes Beispiel dafür, wie die Drogenproblematik eines militärischen Konflikts in eine zivile Gesellschaft hineingetragen wird, ist für den Militärhistoriker der Vietnamkrieg. "Die G. I.s in Vietnam hatten ein riesiges Problem mit Heroin. Als die Soldaten ins zivile Leben zurückkehrten, wurden sie nicht positiv aufgenommen. Sie wurden mit ihren Traumata allein gelassen und haben weiter Drogen konsumiert – auch als Selbstmedikation gegen ihre psychischen Probleme", sagt Steffelbauer. "Auch diese Entwicklung war für die Explosion des Drogenhandels damals mitverantwortlich." (Alois Pumhösel, 30.5.2022)