Wednesday, June 29, 2022

Antony Blinken: "Putin hat versagt"

ZEIT ONLINE Antony Blinken: "Putin hat versagt" Samiha Shafy - Vor 9 Min. Westliche Panzer ins Kriegsgebiet? Das müssten Nato-Länder selbst entscheiden, sagt US-Außenminister Blinken. Ziel sei es, der Ukraine zu helfen, den Krieg zu beenden. US-Außenminister Antony Blinken am Freitag in Berlin Zehn Minuten. Mehr sei leider nicht drin, sagt die Mitarbeiterin der amerikanischen Botschaft in Berlin, als sie anruft, um die frohe Nachricht zu verkünden: Der Außenminister der Vereinigten Staaten, Antony Blinken, werde ZEIT ONLINE ein Interview geben. Am Samstag in der Botschaft, von exakt 12 Uhr bis 12.10 Uhr, denn der Außenminister habe natürlich viel zu tun. Am Ende werden es 14 Minuten. ZEIT ONLINE: Secretary Blinken, wann endet der Krieg in der Ukraine? Antony Blinken: Die kurze Antwort ist: Wir wissen es nicht. Ich wünschte, er würde morgen enden, indem Russland sich zurückzieht, aber es fällt schwer, sich das in näherer Zukunft vorzustellen. Präsident Putin erweckt nicht den Anschein, als wollte er die Aggression beenden. Dennoch: Was Putins Ziele angeht, die Unabhängigkeit und die Souveränität der Ukraine zu zerstören, hat er bereits versagt. Er wollte, dass die Ukraine in Russland aufgeht. Das ist ihm nicht gelungen und es wird ihm auch nicht gelingen. Eine unabhängige Ukraine wird es sehr viel länger geben, als Wladimir Putin auf der Bildfläche ist. ZEIT ONLINE: Ist eine unabhängige Ukraine ohne Krim und Donbass vorstellbar? Blinken: Am Ende müssen die Ukrainer diese Entscheidungen für sich selbst treffen, und wir werden sie unterstützen, was auch immer sie beschließen. Die Herausforderung für sie ist, dass sie dieser entsetzlichen Aggression ausgesetzt sind, die zu gewaltiger Zerstörung und enorm vielen Toten führt. Präsident Selenskyj muss sehr schwierige Entscheidungen treffen. Unser Ziel – ebenso wie dasjenige Deutschlands und vieler anderer Länder – ist es, die Ukraine so gut wie möglich zu unterstützen, damit sie mit der russischen Aggression umgehen kann und in einer stärkeren Position ist, wenn es irgendwann an einen Verhandlungstisch geht. »Einzelne Länder entscheiden selbst, welche Waffen sie der Ukraine liefern; das ist nicht Sache der Nato.« Antony Blinken ZEIT ONLINE: Würden die USA auch die Rückeroberung der Krim finanzieren? Blinken: Ich will nicht ins Hypothetische gehen. Wie gesagt, wir überlassen es den Ukrainern, Entscheidungen über die Zukunft ihres Landes zu treffen. Aber unsere grundsätzliche Haltung ist: Wir werden weiterhin eine unabhängige, souveräne Ukraine unterstützen, die sich selbst verteidigen und Aggressionen in Zukunft abwehren kann. ZEIT ONLINE: Der deutsche Bundeskanzler hat angedeutet, dass es eine Absprache zwischen Nato-Mitgliedsstaaten gibt, der Ukraine keine Panzer westlicher Bauart zu liefern. Stimmt das? Blinken: Einzelne Länder entscheiden selbst, welche Waffen sie der Ukraine liefern; das ist nicht Sache der Nato. ZEIT ONLINE: Wird die Ukraine denn von irgendeinem Land Panzer westlicher Bauart erhalten? Blinken: Wie gesagt, das müssen die Länder selbst entscheiden. Was wir von Anfang an versucht haben, ist dies: der Ukraine jene Ausrüstung zu liefern, die sie braucht, um auf die russische Aggression zu reagieren. Ihre Bedürfnisse haben sich im Laufe des Krieges verändert, weil der Krieg sich verändert hat. Um Kiew zu verteidigen, brauchten die Ukrainer anderes Equipment als jetzt, wo sie die Russen im Donbass zurückdrängen müssen. Wir konzentrieren uns darauf, was sie konkret brauchen. Das ist nicht nur Ausrüstung – Training und Wartung sind auch sehr wichtig. Denn für manche Systeme, die der Ukraine jetzt zur Verfügung gestellt werden, sind ihre Streitkräfte nie ausgebildet worden. Und wenn das gelieferte Equipment auseinanderfällt und nicht repariert werden kann, nützt es nicht viel. ZEIT ONLINE: Heißt das: keine westlichen Panzer? Blinken: Ich möchte nicht auf spezifische Systeme eingehen. ZEIT ONLINE: Was müsste passieren, damit die USA direkt in den Krieg eingreifen? Blinken: Präsident Biden hat sich sehr klar darüber geäußert. Unser Ziel ist es, der Ukraine zu helfen, den Krieg zu beenden – und nicht, den Krieg auszuweiten. Daran arbeiten wir. ZEIT ONLINE: Aber bekommt Wladimir Putin nicht exakt das, was er will? Seine Truppen erobern Territorien im Osten der Ukraine und womöglich eine Landbrücke zur Krim. Blinken: Er bekommt nicht, was er will. Was er will, ist in seinen Worten die gesamte Ukraine. Damit meine ich: das Ende der Souveränität der Ukraine, das Ende ihrer Unabhängigkeit, ihr Aufgehen in Russland. Hören Sie sich seine Worte an, erst vor Kurzem, als er versuchte, sich mit Peter dem Großen zu vergleichen, und davon sprach, das ganze Land zu erobern. Darum geht es ihm. Vor dem Krieg hat Putin die Vorstellung zu verbreiten versucht, dass die Ukraine oder die Nato in irgendeiner Weise eine Bedrohung für Russland darstellten. Das war nie seine Motivation. ZEIT ONLINE: Mag sein, dass Putin nicht die ganze Ukraine erobert – aber große Teile davon. Blinken: Wir werden sehen. Das ukrainische Volk wehrt sich mit außergewöhnlichem Mut. Und wir haben immer gesagt, dass es keinen linearen Kriegsverlauf geben würde. Die Grenze zwischen Russland und der Ukraine wird sich in die eine oder in die andere Richtung bewegen. Bedenken Sie auch: Jegliches Territorium, das die Russen im Osten oder im Süden der Ukraine erobern, ist vermutlich Territorium, das sie mit ihren eigenen Bomben in Schutt und Asche gelegt haben. Und die dort verbliebene Bevölkerung hasst die russischen Besatzer. Das ist kein Rezept für Stabilität. »Wir haben eine Menge Flüssigerdgas nach Europa geschickt, auch nach Deutschland.« Antony Blinken ZEIT ONLINE: Wie viel Inflation müssen wir in Kauf nehmen, um die Souveränität der Ukraine zu verteidigen? Blinken: Der Krieg in der Ukraine trägt zur Inflation bei, indem er die Preise für Energie und Lebensmittel steigen lässt. Aber es gibt viele andere Gründe, warum Länder überall auf der Welt unter Inflation leiden. Vor allem ist das eine Folge der Pandemie, die zu allerlei Verwerfungen in den wirtschaftlichen Systemen vieler Länder geführt hat. ZEIT ONLINE: Werden die USA den Deutschen mit einer Art Marshallplan helfen, wenn wir im Winter ohne russisches Gas erfrieren? Blinken: Wir arbeiten seit Monaten eng mit Deutschland zusammen und unterstützen die unglaublich mutigen Entscheidungen, die getroffen wurden, um die Abhängigkeit von russischer Energie zu beenden. Wir wissen, dass dies eine große Herausforderung ist, die einen Preis hat, denn diese Abhängigkeit ist über Jahrzehnte hinweg aufgebaut worden. Da kann man nicht einfach einen Knopf drücken. Wir haben mit der EU eine Taskforce gegründet, die untersucht, wie wir Europa helfen können. Wir haben eine Menge Flüssigerdgas nach Europa geschickt, auch nach Deutschland, und wir schauen weiterhin, was wir tun können, um die negativen Effekte dieser Abnabelung von Russland abzumildern. ZEIT ONLINE: Schaden wir uns mit unseren eigenen Sanktionen nicht mehr, als wir Russland schaden? Blinken: Nein, das ist ein Missverständnis. Russlands Einnahmen werden schrumpfen, wenn Länder sich endgültig von russischer Energie verabschieden. Im Moment profitieren die Russen von steigenden Preisen, das stimmt – aber wegen der Sanktionen und Exportkontrollen kann die russische Regierung das Geld nicht für Dinge ausgeben, die sie haben will. Sie kann zum Beispiel nicht das nötige Equipment kaufen, um die Armee zu modernisieren. Oder um die Energieförderung zu modernisieren. Zudem befindet sich Russland sehr wahrscheinlich in einer Rezession, das Wirtschaftswachstum ist negativ. Über 1.000 wichtige internationale Unternehmen haben Russland verlassen. Es gab einen Exodus von mehreren 100.000 Russen, unter ihnen viele der am besten ausgebildeten. Ausländer, die in wichtigen Branchen tätig waren, sind gegangen. All das wird sich langfristig immer mehr bemerkbar machen. Und eins noch: Manche Leute schauen auf den Rubel und sagen, er sei relativ stabil geblieben. Nun, er wird künstlich stabilisiert, und wir werden in den kommenden Monaten sehen, dass das auf Dauer nicht funktionieren kann.