Friday, April 29, 2022
Drosten zieht sich nach Diskussionen aus Sachverständigenrat zurück
WELT
Drosten zieht sich nach Diskussionen aus Sachverständigenrat zurück
Tim Röhn - Gestern um 16:30
Wie Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) auf dem Nachrichtendienst Twitter bekanntgab, ist Charité-Chefvirologe Christian Drosten kein Teil mehr des Sachverständigenrates, der die Maßnahmen zur Corona-Bekämpfung in Deutschland evaluiert. Drosten selbst habe sich für den Schritt entschieden, was Lauterbach sehr bedauert. Auf Anfrage von WELT teilte die Pressestelle der Charité mit, dass sie noch keine Informationen über die Beweggründe von Drostens Rückzug habe.
Wenige Stunden vor Drostens Rückzug hatte ein Mitarbeiter von FDP-Vize Wolfgang Kubicki eine Anfrage beim Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags gestellt, weil er wissen wollte, ob Wissenschaftler, die selbst an der Beratung zu den Corona-Maßnahmen beteiligt waren, nun auch an der Evaluierung dieser teilnehmen könnten. Kubickis Büro fragte:
„Verfügen Sachverständigen für die Evaluation nach § 5 Abs. 9 IfSG über die im Gesetz genannte Anforderung hinsichtlich Unabhängigkeit (§ 5 Abs. 9 S. 3 IfSG) und inwieweit ist diese Evaluation „extern“ i.S.d. Vorschrift, wenn diese Sachverständigen beim Erlass von den zu evaluierenden Maßnahmen beteiligt waren (insb. durch Beratung von Landes- und Bundesministerien beim Erlass von Corona-Schutzmaßnahmen und Beratung im Rahmen der Bund-Länder-Gipfel, die Beschlussfassung über konkrete Maßnahmen beinhaltete)?“
Damit ist neben Drosten, der seit Pandemiebeginn die Bundesregierung berät, mutmaßlich auch der Bonner Virologe Hendrik Streeck gemeint. Dieser war von Armin Laschet (CDU) in den „Expertenrat Corona“ des Landes Nordrhein-Westfalen berufen worden; beide Wissenschaftler gehören auch dem von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) ins Leben gerufenen Expertenrat der Bundesregierung an.
In seiner Anfrage an den Bundestag bezieht sich Kubicki offenbar auf folgenden Abschnitt des Infektionsschutzgesetzes: „Die Evaluation soll durch unabhängige Sachverständige erfolgen, die jeweils zur Hälfte von der Bundesregierung und vom Deutschen Bundestag benannt werden.“
Kubicki sagte dazu gegenüber WELT: „Der aus dem Prozessrecht bekannte Gedanke zur Befangenheit gilt aus meiner Sicht auch hier: Befangenheitsgründe für Richter und/oder Sachverständige wegen Vorbefassung dürften auch für diejenigen gelten, die Maßnahmen evaluieren sollen, an deren Zustandekommen sie selber mitgewirkt haben.“
Drosten äußerte Zweifel an Maßnahmenevaluation
Drostens Rückzug waren wochenlange Diskussionen vorangegangen: Der Virologe hatte – wie WELT exklusiv berichtete - im März in einer internen Sitzung des Rats dafür plädiert, die einzelnen politischen Corona-Maßnahmen nicht zu evaluieren, da die Datenlage nicht ausreichend sei. Gesundheitsminister Lauterbach hatte daraufhin am vergangenen Montag auf offiziellem Wege Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) informiert, dass der Rat diese Aufgabe vorerst nicht erledigen wolle – was nach Informationen von WELT so nicht korrekt ist. Vielmehr ist die Mehrheit der Mitglieder von der Umsetzbarkeit des gesetzlichen Auftrags überzeugt, und Drosten gehört einer Minderheit an.
Bis Ende Juni muss der Ausschuss einen Bericht der Bundesregierung vorlegen, nach weiteren drei Monaten muss diese die Ergebnisse samt Stellungnahme dem Parlament vorlegen. Ob der Arbeitsauftrag an den Sachverständigenrat – wie von Drosten gewünscht – verändert wird, darüber muss nun der Bundestag entschieden. Aus der Opposition ist zu hören, dass man einem solchen Antrag nicht zustimmen werden würde. FDP-Vize Kubicki als Ampel-Abgeordneter teilte WELT mit, auch er werde den Plan Lauterbachs nicht unterstützen.