Friday, April 8, 2022
Auch Oetker verlässt Russland – doch diese deutschen Konzerne zögern noch immer
WELT
Auch Oetker verlässt Russland – doch diese deutschen Konzerne zögern noch immer
Christoph Kapalschinski - Gestern um 16:30
Oetker trennt sich endgültig von seinem Russlandgeschäft. Gut sechs Wochen nach Beginn des Ukraine-Kriegs schafft der Lebensmittelkonzern damit Klarheit: Das Nahrungsmittelwerk in Belgorod nahe der Grenze zur Ukraine habe keine Zukunft innerhalb der Oetker-Gruppe, teilten die Bielefelder am Freitag mit.
Das Familienunternehmen verkauft das Werk, das unter anderem Backpulver und Hefeprodukte herstellt, an das lokale Management. Die Region Belgorod ist ein Aufmarschgebiet für den Angriff auf die Ukraine. Kürzlich war dort ein Treibstofflager explodiert.
Etliche andere deutsche Unternehmen zögern noch mit dem finalen Aus für ihr Russlandgeschäft. Hintergrund der Unsicherheit: Zwar kündigten viele Manager wenige Tage nach Kriegsbeginn Konsequenzen an, meist jedoch nur temporäre Importstopps oder – wie anfangs auch Oetker – lediglich den Verzicht auf Werbung und weitere Investitionen.
Inzwischen zeichnet sich jedoch ab, dass der Krieg wegen der überraschenden Stärke des ukrainischen Widerstands länger dauert als zunächst erwartet. Langfristig dürfte die Strategie, das Geschäft während des Kriegs lediglich teilweise herunterzufahren, daher nicht aufgehen: Ohne Investitionen und Werbeausgaben drohen in Russland mittelfristig Marktanteilsverluste, die das Geschäft unattraktiv machen. Zudem gerät Russland in eine Wirtschaftskrise.
Das erhöht den Druck auf die Unternehmen, dauerhafte und schmerzhafte Lösungen zu finden.
So hat Obi angekündigt, seine 27 Läden in Russland dauerhaft zu schließen. Wie das konkret aussehen soll, ließ ein Sprecher am Freitag auf Anfrage jedoch offen: Die Lage sei noch zu wechselhaft. Offenbar hat die Konzernmutter Tengelmann noch nicht entschieden, ob das Geschäftsfeld verkauft oder abgewickelt wird.
Die Warnung aus Moskau verfängt bei anderen deutschen Konzernlenkern
Im Raum steht zudem die Drohung aus dem Kreml, ausländische Unternehmen zu enteignen, wenn sie ihren Geschäftsbetrieb einstellen. Tengelmann-Chef Christian Haub hatte bereits Mitte März in einem Interview mit dem „Manager Magazin“ erklärt, er rechne mit solch einem Schritt, könne aber moralisch nicht vertreten, weiterhin in dem Land aktiv zu sein.
Die Warnung aus Moskau verfängt hingegen bei anderen deutschen Konzernlenkern: Henkel-Chef Carsten Knobel nannte die Drohung Anfang der Woche bei der Hauptversammlung erneut als einen der Gründe dafür, dass der Persil-Hersteller seine Werke in Russland offenlässt. Dazu kommt, dass das Land für den Konzern besonders wichtig ist.
So hatte der damalige Henkel-Chef Kasper Rorsted noch 2015, also kurz nach der Annektion der Krim, im WELT-Interview erklärt: „Wir glauben langfristig an Russland, wo wir ein hervorragendes Managementteam, 3500 Mitarbeiter und acht Fabriken haben. Genauso stehen wir zu unserem Geschäft und dem Team in der Ukraine.“
Bislang hat sein Nachfolger Knobel lediglich mit der Ankündigung reagiert, Werbung und Investitionen zu stoppen. Die Werke produzieren mit ihren inzwischen noch 2500 Mitarbeitern weiter – etwa Heimwerker-Baustoffe unter der Marke Ceresit. Für die Verbraucher in Russland ist daher kaum etwas spürbar. So heißt es auf der Marken-Seite von Ceresit bei der russischen Facebook-Variante VK: „Henkel setzt seine Produktion und Aktivitäten auf dem russischen Markt fort, um Verbraucher mit lebenswichtigen Gütern zu versorgen. Unsere Mitarbeiter, Büros und Fabriken arbeiten normal… Wir unterstützen Kunden weiterhin.“
Zu Überlegungen, wie es mit dem Landesgeschäft weitergehen kann, wollte sich ein Henkel-Sprecher am Freitag nicht weiter äußern.
Auch der Nivea-Hersteller Beiersdorf, der drei Prozent seines Umsatzes in Russland und der Ukraine macht, hat bislang nur einen Teilrückzug angekündigt. Die Luxusmarke La Prairie und der Klebestreifenspezialist Tesa stellen den Verkauf ein, nicht aber die Hautpflegemarken wie Nivea. Werbung gibt es allerdings nicht mehr.
Ein Beiersdorf-Sprecher sagte auf Anfrage, Beiersdorf bleibe unverändert dabei, mit den 230 Mitarbeitern in Russland knapp ein Drittel des bisherigen Sortiments anzubieten. Eine Produktion betreibt Beiersdorf in Russland nicht.
Wie bei Henkel galt der Markt auch noch nach der Krim-Annexion als Hoffnungsträger. So sagte der damalige Beiersdorf-Chef Stefan Heidenreich im Sommer 2015 in einer Telefonkonferenz zu Halbjahreszahlen: „Wir haben in Russland mit Sicherheit ein Bombengeschäft im Augenblick…. Das freut uns besonders. Wir werden sehen, wie Russland sich insgesamt entwickelt, aber im Augenblick – wenn‘s so weitergeht, wären wir sehr zufrieden.“
Anders haben vor allem US-Konzerne reagiert: Marken wie Coca-Cola und McDonald’s haben ihr Geschäft bereits vor Wochen stillgelegt. Europäische Konsumgüterkonzerne wie Unilever und Nestlé schränken ihr Geschäft lediglich ein. Nestlé verteidigte seine Entscheidung, einen Teil seiner Produkte weiterhin anzubieten, diese Woche erneut: Nahrung sei ein Grundrecht.
Trotz heftiger Kritik in den sozialen Medien hält auch Ritter Sport am Russlandgeschäft fest. Ähnlich wie bei Henkel macht Russland bei dem Schokoladenhersteller einen signifikanten Teil des Auslandsgeschäfts aus.