Monday, April 4, 2022

Cum-Ex-Skandal: Schwere Vorwürfe der Staatsanwaltschaft – Aber der Angeklagte Hanno Berger gibt sich kämpferisch

Handelsblatt Cum-Ex-Skandal: Schwere Vorwürfe der Staatsanwaltschaft – Aber der Angeklagte Hanno Berger gibt sich kämpferisch Bender, René Votsmeier, Volker - Vor 36 Min. Der Strafprozess gegen Hanno Berger hat begonnen. Die Vorwürfe der Ankläger wiegen schwer – aber ebenso entschieden wirkt Berger, seine Unschuld zu belegen. Dem ehemaligen Steueranwalt drohen bis zu 15 Jahre Haft. Um 10.10 Uhr betritt der Steueranwalt Hanno Berger den Saal S 0.11 des Bonner Landgerichts, geht an den zahlreichen Kameraobjektiven vorbei, dreht den Journalisten und Zuschauern den Rücken zu und bewegt sich in Richtung Anklagebank. Seine beiden Pflichtverteidiger Martin Kretschmer und Carsten Rubarth schirmen Berger so gut es geht vor Blicken ab. Der Angeklagte trägt Handschellen. Bevor Berger sich hinsetzt, nimmt ihm ein Justizwachtmeister die Fesseln ab. Seit Montagvormittag muss sich Berger in Bonn verantworten. Er gilt als zentrale Figur im Cum-Ex-Skandal. Der lateinische Begriff bezeichnet Aktienkreisgeschäfte rund um den Ausschüttungstermin mit (cum) und ohne (ex) Dividende. Einziges Ziel der Beteiligten war es, sich eine nicht abgeführte Kapitalertragsteuer erstatten zu lassen. Berger wird Betrug und Steuerhinterziehung in Höhe von mehr als 278 Millionen Euro vorgeworfen. Er war an Cum-Ex-Deals der Hamburger Bank M.M. Warburg beteiligt. Dem ehemaligen Steueranwalt drohen zehn Jahre Haft. Der 71-Jährige bestreitet die Vorwürfe. Bergers Tag hat sehr früh begonnen. Eine gut 150 Kilometer lange Anreise liegt hinter ihm. Derzeit sitzt er in der Justizvollzugsanstalt Frankfurt-Preungesheim in Untersuchungshaft. Von dort wurde er im Justiztransporter nach Bonn gebracht. Im Landgericht steht Berger neben der Anklagebank und blickt in Richtung der Journalisten, eine weiße OP-Maske bedeckt sein Gesicht. Der Anwalt trägt einen dunkelblauen Anzug und blau-weiß gemusterte Krawatte. Von dem großen Interesse an ihm und diesem Prozess wirkt Berger unbeeindruckt. Auch die Strapazen der Haft in der Schweiz und in Deutschland haben ihn äußerlich im Vergleich zu früheren Jahren kaum verändert. Harte Vorwürfe an Hanno Berger Zu Beginn der Prozesses stellt der Vorsitzende Richter Roland Zickler Bergers Anwesenheit fest – „vorgeführt aus der Untersuchungshaft“, wie er anmerkt. Dann fragt er die Personalien ab. Vor Gericht steht Hanno Ernst Heinrich Kaspar Berger, geboren am 13. November in Frankfurt am Main, verheiratet. Beruf? „Rechtsanwalt und Steuerberater“, sagt Berger. Bevor Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker die Anklageschrift verlesen kann, müssen erst einmal Unterlagen herbeigeschafft werden. Es sind neun Ordner. Nach gut zehn Minuten transportiert ein Justizwachtmeister mit einer Sackkarre einen Umzugskarton in den Verhandlungssaal des Landgerichts. Strafverteidiger Carsten Rubarth schnappt sich die Kiste und überreicht sie seinem Mandanten. Berger greift herein und holt sein mit Anmerkungen versehenes Exemplar der Anklageschrift heraus. „Sind Ihre Unterlagen nun vollständig?“, fragt der Richter den der schweren Steuerhinterziehung und des Betrugs beschuldigten Steueranwalt. „Ich habe die Kiste noch nicht durchsucht, aber ich gehe davon aus“, antwortet Berger. „Aber Sie haben jetzt erst einmal alles, was Sie benötigen?“, will Zickler wissen. „Ja.“ Es ist 10:40, als Chefanklägerin Brorhilker beginnt, die Anklage zu verlesen. Berger macht sich eifrig Notizen und schüttelt immer wieder den Kopf. Man merkt ihm an, dass er nicht einverstanden ist. Von der Justiz hält er nicht viel, das hat er nach einigen für ihn negativen Entscheidungen immer wieder deutlich gesagt. „Schweinebande“, sagte er gegenüber Vertrauten. Auch die Staatsanwaltschaft war bei Berger nie gut gelitten. Vielen Anfeindungen zum Trotz setzte Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker Berger als einen der ersten Verdächtigen auf ihre Beschuldigtenliste. Vor dem Landgericht Bonn liest sie ruhig und zügig die Anklageschrift vor. Im Jahr 2007 habe sich Berger entschlossen, gemeinsam mit der Hamburger M. M. Warburg Gruppe, der Hypovereinsbank und der Unternehmensgruppe Ballance in den folgenden Jahren Cum-Ex-Geschäfte mit deutschen Aktienwerten arbeitsteilig durchzuführen. Der einzige Anreiz der Geschäfte habe darin bestanden, sich Kapitalertragsteuern unrechtmäßig erstatten zu lassen. Die Steuer sei zuvor weder einbehalten noch abgeführt worden. „Dabei war es der Angeschuldigte, der die Idee zur Durchführung von Cum-Ex-Geschäften bei der Warburg Bank vorstellte und erfolgreich platzieren konnte“, heißt es von den Anklägern. Gewaltiger Schaden angerichtet Durch die Taten soll Berger in den Jahren 2007 bis 2011 zusammen mit den anderen Beteiligten einen gewaltigen Schaden verursacht haben: „Die Höhe der unrechtmäßigen Steuerrückzahlungen beziffert sich insgesamt auf einen Betrag in Höhe von 278.586.998,09 Euro“, lautet der Vorwurf der Ankläger. Einen reichlichen Teil der Gewinne aus der Steuerkasse soll sich Berger dabei selbst genehmigt haben. Dieses Detail soll er zudem seinen Mandanten vorenthalten haben – deshalb lautet die Anklage nicht nur auf Steuerhinterziehung, sondern auch auf Betrug. Laut Staatsanwaltschaft Köln verdiente er allein mit den in Bonn angeklagten Cum-Ex-Geschäften mehr als 13 Millionen Euro. Zur Vereinnahmung der Gewinne aus den Cum-Ex-Geschäften hätte Berger zusammen mit einem Kanzleipartner ein verzweigtes Konstrukt mit mehreren im Ausland ansässigen Unternehmen aufgebaut, die über kein operatives Geschäft verfügten. Das Konstrukt diente nach den Erkenntnissen der Ermittler – neben vermeintlichen steuerlichen Vorteilen – einzig dem Zweck, die wahre Herkunft der Gelder zu verschleiern. Der früherer Kanzleipartner Bergers hatte dem Gericht jüngst versichert, seinen Anteil an den Cum-Ex-Profiten zurückzuzahlen. So konnte er eine Beteiligung an dem Prozess abwenden. Die Staatsanwaltschaft ist gegen 12:30 Uhr mit der Verlesung des 36 Seiten langen Anklagesatzes fertig. Richter Zickler übernimmt wieder und betont, es gebe in diesem Prozess „keinerlei Präjudiz, insbesondere nicht aus den zuvor vor der Kammer geführten Verfahren“. In bereits drei Cum-Ex-Prozessen hat Zickler seit März 2020 insgesamt vier der schweren Steuerhinterziehung beschuldigte Angeklagte verurteilt, teils zu langjährigen Haftstrafen. Der Bundesgerichtshof bestätigte das erste Urteil. Zickler fragt bei Berger nach, ob er in diesem Prozess aussagen oder schweigen wolle. „Wir haben das beraten und entschieden, dass sich Herr Dr. Berger zunächst nicht zur Sache äußern wird“, merkt Verteidiger Kretschmer an. Am kommenden Donnerstag geht es mit Zeugen weiter. Zunächst will das Gericht zwei Beamte des Bundeszentralamts für Steuern befragen. Nach Ostern sollen weitere Finanzbeamte sowie ein Sachverständiger gehört werden. Im Mai will das Gericht dann in die Beweisaufnahme um die fraglichen Transaktionen einsteigen. Terminiert ist der Prozess vorläufig bis zum 20. Juli. Gut möglich, dass Berger bis dahin sein Schweigen bricht.