Sunday, November 26, 2023
Adventszeit: Das Glühwein-Grauen: Warum ich Weihnachtsmärkte ätzend finde
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Adventszeit: Das Glühwein-Grauen: Warum ich Weihnachtsmärkte ätzend finde
Kester Schlenz • 1Tage
Ich habe es versucht: Aber erneut muss ich nach einem weiteren Selbstversuch deutlich sagen: Weihnachtsmärkte sind einfach das Letzte.
Vor einiger Zeit habe ich schon einmal geschrieben, warum ich Weihnachtsmärkte ätzend finde. Ich wurde daraufhin wüst beschimpft. Mir ginge jede Romantik ab, und ich sei abnorm kritisch und ungemütlich. Das gab mir zu denken. War ich auf einem Irrweg? Ich beschloss, mich erneut dem Grauen zu stellen und bin noch mal auf zwei Weihnachtsmärkte gegangen. Auf einen in der Hamburger Innenstadt und einen auf dem Gelände eines Gutshofs in der Nähe. Letzterer war vor allem matschiger (und noch teurer) als der erste. Ansonsten – alles beim Alten.
Es ist kalt. Es ist eng. Es ist nass. Es ist teuer.
Auf Weihnachtsmärkten ist es kalt. Es ist eng. Es ist nass. Es ist teuer. An zahllosen Glühweinständen stehen dick eingemummelte frierende Passanten und löten sich systematisch die Birne mit fiesem Fusel aus der Kategorie "Château Schädel" zu. Irgendwann torkeln sie hilflos zwischen "lichtdurchwirkten Tannengirlanden" umher. Es ist erwiesen, dass der gezuckerte, heiße Wein schneller besoffen macht. Das ist nicht gut. Aber genau darum scheint es vielen ja zu gehen. Man muss sich das Ganze halt schön saufen.
Triefendes Fettgebäck wird auf allen Märkten zu überhöhten Preisen feilgeboten. Verkohlte Würste und Fleischspieße müssen im Stehen runtergewürgt werden. Gigantische Schwenkpfannen an Eisenketten über offenem Feuer, in denen Bratkartoffeln und sehnige Fleischbatzen kokeln, simulieren mittelalterliche Gemütlichkeit. Pfannen mit mutierten Riesen-Champignons simmern traurig vor sich hin. Allüberall preisen Leute mit roten Mützen auf dem Kopf Tinnef an, der dann nach dem Glühwein-Genuss von willenlosen Sedierten für Unsummen erstanden wird. Zu Hause steht man kopfschüttelnd vor dem chinesischen "Kunsthandwerk aus dem Erzgebirge", den klobigen Kerzen, den rüschigen Rauschgold-Engeln, den sündhaft teuren Holzbrettern aus der hinteren Pfalz und dem Christbaumschmuck zum Eierabschrecken. Gut, dass man den entfesselten Glasbläsern und Bernsteinschleifern noch entkommen ist. Aber halt – was piekst da in der Tasche? Misteln aus dem Elsass. Gute Güte, was mag man noch alles im Suff erstanden haben!
Soll der kleine Torben doch ruhig noch brechen
Karussells mit blaugefrorenen Kindern drehen sich. Einigen ist von der vielen Zuckerwatte, den "Zyklopen-Fleischspießen" und den fettigen Waffeln schon schlecht. Egal, noch 'ne Runde auf dem Feuerwehrauto. Man will ja in Ruhe seinen Glühwein schlürfen. Soll der kleine Torben doch ruhig noch ein bisschen brechen.
Und irgendwo steht immer ein armer, frierender Student und bläst "Leise rieselt der Schnee" in ein Saxophon. Nicht weit davon schüttelt ein Zirkusmann rhythmisch fordernd eine Spendendose und bittet um milde Gaben für das Winterfutter seines träge neben ihm äpfelnden Ponys. Und über allem schwebt wie eine Abgaswolke der Sound grauslich-kitschiger Weihnachtsmusik. Und in jedem Song - in jedem! – hört man das enervierende Geräusch dieser Jingle Bells am Schlittens von Santa Claus.
Auch Silvester ist mir ein Graus
Aber immer, wenn man sich über Weihnachtsmärkte beschwert, dann sagt einer: "Aber der in (tragen Sie hier den Namen irgendeiner malerischen Stadt in Ihrer Nähe ein), also der soll wirklich schön sein." Und dann lässt man sich überreden, fährt da hin, parkt auf einem gigantisch teuren Parkplatz, steigt aus dem Auto - schreitet durch lichtdurchwirkte Tannengirlanden, steht vor der mittelalterlichen Schwenkpfanne, riecht das Bratfett und hört die Jingle Bells, den lustlos blechblasenden Studenten und das Gelalle der Glühwein-Benebelten. Na, dann Prost!
So, und in den kommenden Wochen werde ich mich einem weiteren, massiv überschätzten Phänomen widmen: Silvester – dieser grausigen Pflicht zur erzwungenen kollektiven Fröhlichkeit, wüstem Geballer, entfesselten Fressorgien und sinnlosem Suff. Ich hasse Silvester und werde ausführlich begründen, warum. Wenn mich nicht vorher der Kanonenschlag trifft. Ich weiß, ich habe mächtige Feinde. Allen voran Santa Claus und sein Clan. Vielleicht hätte ich mich mit denen nicht anlegen sollen. Gestern fand ich eine abgesägte Pferdewurst in meinem Bett!