Tuesday, January 28, 2025
„Wenn der Wohlstand wackelt, wackelt auch die Demokratie“
WELT
„Wenn der Wohlstand wackelt, wackelt auch die Demokratie“
Jan Dams, Andreas Macho, Karsten Seibel, Philipp Vetter, Cornelius Welp, Kevin Culina • 2 Std. • 4 Minuten Lesezeit
Auf dem WELT-Wirtschaftsgipfel steht vor allem der Zustand des Standorts Deutschland im Fokus. Die Top-Manager richten dabei deutliche Appelle nach Reformen an die Politik. Während sich Robert Habeck verteidigen muss, skizziert Markus Söder den Unions-Plan für die erste Zeit nach der Wahl.
Spitzenpolitiker treffen auf Unternehmer-Elite: Die Diskussionsrunde auf dem WELT-Wirtschaftsgipfel im Axel-Springer-Hochhaus
Wirtschaft und Migration waren kurz vor den Bundestagswahlen wichtige Themen beim diesjährigen WELT-Wirtschaftsgipfel (WWG) im Axel-Springer-Hochhaus in Berlin – und immer wieder ging der Blick in die Vereinigten Staaten und zu US-Präsident Donald Trump. Mit einer Bestandsaufnahme der aktuellen politischen Lage in Deutschland hatte Axel-Springer-Vorstandschef Mathias Döpfner die Konferenz eröffnet: eine tiefe Rezession, ideologische Energiepolitik und eine „völlig gescheiterte Migrationspolitik“. Sein Fazit: „Vier Jahre Stillstand kann sich dieses Land unter keinen Umständen mehr leisten.“
Bis auf Olaf Scholz (SPD) waren alle Kanzlerkandidaten ins Axel-Springer-Hochhaus gekommen, von Friedrich Merz (CDU), über Robert Habeck (Grüne) bis Alice Weidel (AfD), um mit mehr als 50 Unternehmern über die Zukunft des Landes zu diskutieren, darunter ein Großteil der Dax-Chefs. „Seit Jahren wurden uns Reformen versprochen, und dennoch haben wir heute eine marode Infrastruktur und liegen in Sachen Arbeitskosten in der Spitzengruppe weltweit“, warf Oliver Bäte den Politikern vor.
Der Allianz-Chef vertrat damit eine Position, die viele Gäste bei ihren Wortmeldungen ähnlich äußerten. Wolfgang Fink, Deutschlandchef von Goldman Sachs, appellierte an eine künftige Regierung: „Die Priorität muss sein, die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands zu stärken, damit die Wirtschaft wieder wachsen kann.“
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne), an den sich die Kritik vornehmlich richtete, nahm den Ball auf. „Wenn wir über Lieferkettengesetz und Nachhaltigkeitsberichterstattung diskutieren: Hier müssen wir genau schauen, was der Umwelt und den Betroffenen wirklich hilft und gleichzeitig radikal vereinfachen“, sagte er.
Habeck weist Kritik von Autobauern zurück
Er verwies auch bei einem anderen Punkt auf die Vereinigten Staaten als Vorbild. „Die staatliche Förderung in Deutschland ist nicht konkurrenzfähig. Wir können keine großen Steuergutschriften geben wie in den USA. Unsere Fiskalregeln sorgen dafür, dass die durch die Steuervorteile entstehenden Investitionen im gleichen Kalenderjahr schon auszahlen müssten. Ich rate dazu, es eher wie die Amerikaner zu machen: Investitionsprämien.“
Kritik von Autobauern, dass die ehemalige Ampel-Regierung mit dem plötzlichen Förderstopp von E-Autos für die Probleme der Branche verantwortlich sind, wies er zurück. „Dass die Marktanteile in China verloren gegangen sind, liegt nicht am Wegfall der Umweltprämie in Deutschland“, sagte er. Eine Prämie wirke nur auf dem europäischen oder deutschen Markt.
Der Grünen-Kanzlerkandidat verhehlte nicht, worin er die Ursachen für die Schwäche sieht: im fehlenden Fokus der heimischen Hersteller auf die Elektromobilität. „Das größte und teuerste Unternehmen ist Tesla – und das ist nicht technologieoffen. Die machen keine Wasserstoffautos, auch keine Verbrenner. Das Unternehmen ist inzwischen so wertvoll, dass wahrscheinlich fast alle anderen Automobilkonzerne da reinpassen“, so Habeck.
Sahra Wagenknecht hingegen sieht die Zukunft der Autoindustrie am Standort Europa nicht im stärkeren Fokus auf E-Autos. „Wir zerstören durch das Verbrennerverbot eine unserer Schlüsseltechnologien. In der E-Mobilität sind wir hingegen nicht wettbewerbsfähig. Europa muss auf verbrauchsärmere Verbrenner als Exportschlager setzen“, sagte die Parteivorsitzende des BSW.
Döpfner warb für eine konstruktive Zusammenarbeit mit der neuen US-Regierung. Er warnte vor europäischen oder nationalen Alleingängen. „Wir brauchen eine transatlantische Interessenallianz, was Sicherheit und Wirtschafts- und Handelspolitik betrifft.“
FDP-Chef Christian Lindner forderte ein selbstbewusstes Auftreten gegenüber dem neuen Chef im Weißen Haus. „US-Präsident Trump muss man ernst nehmen, aber nicht wörtlich“, sagte er. Es gehe ihm um Machtinteressen und Einflusssphären. „Er wird sich durch moralische Appelle nicht beeindrucken lassen, wir müssen nüchtern unsere Interessen vortragen und schauen, dass wir auf einen Nenner kommen“, sagte Lindner.
Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderte ein grundsätzliches Umdenken in der Wirtschaftspolitik nach der Bundestagswahl. „Wir müssen grundlegend an die Dinge herangehen: Wir brauchen eine echte Wirtschaftswende“, sagte Söder. Nur in Deutschland gebe es kein Wirtschaftswachstum. „Unsere Probleme sind hausgemacht: Das liegt an drei Jahren Fehlentscheidungen, Nicht-Entscheidungen und ideologischer Politik“, sagte Söder. „Mit einer Art Stuhlkreis-Philosophie werden wir das nicht lösen.“
Der CSU-Politiker warnte vor einem Erstarken radikaler Parteien. „Wenn der Wohlstand wackelt, wackelt auch die Demokratie“, sagte Söder. Das Erstarken der Nationalsozialisten in der Weimarer Republik sei auch nicht auf ein einzelnes Ereignis zurückzuführen gewesen, sondern sei das Ergebnis eines Prozesses gewesen. „Am Ende führte das zur Kapitulation der Demokraten“, warnte Bayerns Ministerpräsident. „Deshalb müssen wir die Politik für unser Land ändern, sonst werden andere das tun.“
Söder skizzierte auch einen Plan für die erste Zeit nach der Bundestagswahl. „Wenn die Union an die Regierung kommt, müssen wir sofort ans Heizungsgesetz, ans Bürgergeld und die Rücknahme der Cannabisfreigabe ran“, sagte er. „Und wenn wir mit der Abschaffung des Lieferkettengesetzes anfangen, werden alle merken, dass wir es ernst meinen.“ Das Bürgergeld in seiner jetzigen Form lade „manche geradezu zum Nichtstun ein“. Es müsse wieder mehr gearbeitet werden in Deutschland. „Im Fußball ist es so: Wenn man ab der 70. Minute nicht mehr läuft, wird man das Spiel nicht gewinnen. Wir müssen uns der internationalen Konkurrenz stellen.“
Die Energiepolitik der Ampel-Regierung sei „ein Desaster“, sagte Söder. „Anstatt die Kernkraft in der Krise weiterlaufen zu lassen, kaufen wir den Atomstrom in ganz Europa zusammen“, so der CSU-Chef. Grüner Wasserstoff werde auf Jahre hinaus nicht wettbewerbsfähig sein. „Der Ausbau der erneuerbaren Energien ist richtig und wichtig, aber das wird nicht reichen“, so Söder. „Wir brauchen einen schnelleren Ausbau der Leitungen und Netze sowie grundlastfähige Gaskraftwerke und eine Renaissance der Kernenergie.“ Außerdem müsse man den europäischen Green Deal „grundlegend ändern“.
AfD-Chefin Alice Weidel sprach sich wiederum für eine grundlegende Reform der EU aus: „Wir wollen die EU da haben, wo sie Sinn macht. Sie macht Sinn, wenn wir einen starken Kompetenzrückbau haben und einen freien Binnenmarkt“, so die Kanzlerkandidatin. „Wir streben ein Modell einer europäischen Wirtschaftsgemeinschaft an. Ich habe explizit gesagt, dass wir nicht aus der EU austreten wollen, sondern dass wir sie reformieren wollen.“ Die Bürger müssten allerdings die Chance zu einem Volksentscheid über einen EU-Austritt haben, wenn die Geschäftsgrundlage für die Gemeinschaft entfallen sei.
Ein Konter kam von Matthias Zachert, Chef des Chemiekonzerns Lanxess: „Für uns als exportorientiertes Unternehmen würde ein EU-Austritt bedeuten, dass wir im Konzern Tausende Stellen abbauen müssten. Das sage ich auch meinen Mitarbeitern, damit sie dieses Faktum bei ihrer Wahlentscheidung berücksichtigen können.“